"Jetzt renn doch nicht so!" Mühsam versuchte Jolene, mit ihr mit zu halten, aber Ruby verlangsamte ihren Schritt nicht.
"Sei still und lauf schneller!", fauchte sie das andere Mädchen an. "Ich wäre gern hier raus, bevor Dad klar wird, dass mein Hausarrest seit heute morgen zu Ende ist und er mir noch eine Woche dran hängt!"
"Gutes Mädchen!", johlte Jolene vergnügt und mit einem mal fiel es ihr gar nicht mehr so schwer, an Rubys Seite zu bleiben. "Was machen wir jetzt?"
Sie waren am Aufzug angekommen und Ruby drückte ungeduldig auf den Knopf. "Keine Ahnung. Ich gehe nicht so oft aus. Schlag du doch was vor!" Das Summen des Aufzugs kam viel zu langsam näher und sie hämmerte erneut auf den Rufknopf, bis Jolene ihren Arm fest hielt.
"Jetzt beruhige dich doch mal!", sagte die brünette Schattenjägerin entnervt. "Wir wollen das Ding schließlich noch benutzen!"
Ruby schnaubte. Sie wusste nicht, warum sie plötzlich so schlecht gelaunt war. Vielleicht lag es daran, dass ihr das Institut noch beengter und stickiger vor kam, seit ihr klar geworden war, dass sie jetzt nicht mehr hier drin bleiben musste. Jede Sekunde, die sie länger warten sollte, schien ihr wie eine Zumutung.
Als die Türen des Aufzugs sich öffneten, marschierte sie grimmig hinein. Jolene tänzelte hinter ihr her. Sie hatte wenigstens gute Laune und plapperte unaufhörlich darüber, wohin sie gehen könnten, was sie machen könnten und so weiter. Um wenigstens ein halbwegs glaubhaftes Lächeln vorzutäuschen, stellte Ruby sich vor, wie ihr dabei das Make up Stück für Stück vom Gesicht abblättern würde. Es funktionierte fast zu gut.
Als sich die Tür des Aufzugs endlich schloss, schob jemand im letzten Moment seine Hand in den kleiner werdenden Spalt und Victor drängelte sich zu ihnen herein. Er grinste, die Hände in den Hosentaschen. Über seiner engen schwarzen Jeans, deren Hosenbeine er wie üblich in die hohen Schäfte seiner ausgelatschten Stiefel gesteckt hatte, trug er heute ein Shirt mit etwas, das aussah wie Blutflecken, und eine mit Nieten übersäte Lederjacke.
"Na wir haben uns aber schick gemacht", knurrte Ruby ihn an. Sie und Jolene hatten nur noch Geld geholt, als ihr Vater verschwunden war, also musste er sich sehr beeilt haben.
"Wir haben wohl unsere Tage", gab Victor zurück, und beide starrten sich grimmig in die Augen, bis Jolenes fuchtelnde Hände das stumme Duell unterbrachen.
"Wir haben keine Lust auf diesen Scheiß", erklärte sie dramatisch. "Wir haben nämlich frei und wollen Spaß."
Ruby schnaubte und starrte die Wand des Aufzugs an. Die Türen hatten sich inzwischen wieder geschlossen und sie fuhren nach unten.
"Wo wollt ihr denn hin?", fragte Victor nach einigen Sekunden. Jolene hatte schon den Mund geöffnet, um ihm zu antworten, doch Ruby kam ihr zuvor.
"Sorry, kein Zutritt ohne Kriegsbemalung", erklärte sie mit süffisantem Grinsen. "Außerdem - seit wann hast du denn beschlossen, wieder Zeit mit mir zu verbringen?"
Victor zog amüsiert die Augenbrauen hoch. "Wer sagt denn, dass ich Zeit mit dir verbringen will? Außerdem hab ich diese seltene Krankheit. Sobald jemand versucht, mir was zu verbieten, muss ich einfach das Gegenteil tun." Er stopfte die Hände in die Hosentaschen, und sah sie an, auf diese unnachahmliche Weise, die einfach jeden zur Weißglut treiben konnte.
Mit einem wütenden Knurren schüttelte Ruby den Kopf. "Hab ich gemerkt. Aber danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, rechtzeitig zurück zu kommen, bevor wir gestorben sind." Sie bereute es schon, noch ehe das letzte Wort ihren Mund verlassen hatte, doch es war zu spät, das Gesagte zurück zu nehmen.
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Right by your Side
FanfictionWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...