"Gott, ich hätte es besser wissen müssen!" Isabelle tigerte in der Bibliothek auf und ab, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Augen blitzten wild. "Sie ist wirklich genau wie ihr Vater!" Einen kurzen Moment lang wurde ihr Gesicht weich und liebevoll, aber das wich ganz schnell wieder eine heißen Wut. "Du hättest besser auf sie aufpassen müssen!", raunzte sie Alec an.
Er hatte sich auf einem der Sessel niedergelassen und sie beobachtet, während sie wild vor sich hin schimpfte. "Ich denke, das war ihnen eine Lehre", erklärte er ruhig, ohne auf ihren Vorwurf einzugehen. "Die beiden werden so schnell nicht wieder abhauen. Immerhin hast du ihnen ja auch alles abgenommen." Er lächelte friedlich, auch wenn ihm innerlich nicht danach zu mute war.
Am liebsten hätte er die Mädchen angeschrien. Sicherlich, sie waren Schattenjäger und sie hätten sich selbst zu helfen gewusst. Es gab kaum Schattenjäger, die im Angesicht ihres möglichen Todes nicht irgendwann die eiskalte Ruhe gefunden hatten, sich selbst und das Leben anderer zu verteidigen. Er war sicher, dass die Mädchen es auch allein geschafft hätten, wenn er sich nicht eingemischt hätte. Aber es war nicht der Moment gewesen, das zuzulassen.
Seit Wochen häuften sich die Übergriffe von Dämonen rund ums Institut und er war sich bis zum letzten Moment nicht sicher gewesen, dass der Dämon in der Gasse allein war. Der Vorfall im Garten der Kathedrale war der bisher heftigste gewesen. Immerhin hatten es zwei Forsaken in das Gebäude geschafft. Da sich kein Irdischer hier aufhielt, hätten sie kaum Schaden anrichten können und Victor war auch allein mit ihnen fertig geworden. Aber sie waren in der Kathedrale gewesen, in einem geweihten Gebäude! Jemand musste sie dazu gezwungen haben, sonst wären die Forsaken niemals freiwillig dem jungen Schattenjäger gefolgt.
Er hatte schon mehrfach versucht, Isabelle dazu zu bringen, den Rat zu informieren, doch sie wollte nicht auf ihn hören. Das ist nur eine Phase, hatte sie gesagt. Du weißt genau, dass das schon oft vorgekommen ist. Nächtelang, jeden Abend. Das geht vorbei. Und sie hatte ja recht. Manchmal gab es eine ungünstige Mondkonstellation, starke Sonnenstürme oder einfach zu viele Sparangebote im Supermarkt - wer kannte den Grund schon? - und dann schliefen sie ein, zwei Wochen lang fast gar nicht, weil sie zu viel zu tun hatten. Doch inzwischen waren es sechs Wochen. Sechs. Und Isabelle bestand darauf, dass es vorbei gehen würde.
"Du hättest sie aufhalten müssen!", setzte sie jetzt ihre Vorwürfe fort und Alec besann sich wieder auf seine Umgebung.
"Dann hätten sie es am nächsten Abend wieder versucht", erinnerte er sie unbeeindruckt. "Denk mal an uns. In ihrem Alter durften wir schon allein hinaus und jagen."
"Aber wir sind auch damit aufgewachsen!", erwiderte sie unversöhnt. "Wir durften schon mit vierzehn mit unseren Eltern mitgehen! Die zwei haben heute das erste mal in ihrem Leben einen echten Dämon gesehen!"
"Und sie haben sich ziemlich gut geschlagen." Alec stand auf und nahm seine Schwester in den Arm. Obwohl sie sich beherrscht gab, zitterte sie und er wusste, dass sie sich Sorgen machte. Auch ihr gingen die Vorfälle nicht aus dem Kopf.
"Wir lassen sie einfach ein paar Tage schmoren, bis sich die Sache wieder beruhigt hat", fuhr er fort. "Die kleine Blackthorn wird sich selbst bemitleiden und ihren verletzten Stolz und Ruby ist hoffentlich nicht so leichtsinnig wie ihre Eltern. Und wir sollten endlich den Rat benachrichtigen!"
Isabelle schob ihn von sich. "Es wird vorbei gehen!", sagte sie fest und drehte sich um, als wollte sie ihm bei ihren nächsten Worten nicht in die Augen sehen, damit sie sich nicht eingestehen musste, dass sie sich selbst belog: "Es ist eben diesmal eine längere Phase. Die stehen wir auch durch."
"Und was, wenn es diesmal Absicht ist? Es könnte doch sein, dass..."
"Ich weigere mich, zu glauben, dass das Absicht ist!", fauchte Isabelle. "Wir haben das alles endlich hinter uns! Valentin ist tot, Sebastian ist tot. Und kein Schattenjäger ist so verrückt, weitere Kinder zu züchten, die so sind wie er! Das ist alles vorbei!"
![](https://img.wattpad.com/cover/212358783-288-k848551.jpg)
DU LIEST GERADE
Right by your Side
FanfictionWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...