Als Ruby und Victor aus dem Aufzug stiegen, wurden sie schon von Isabelle erwartet. Die Institutsleiterin trug die hautenge, schwarze Ledermontur der Schattenjäger und begrüßte sie verärgert. "Du hättest Bescheid sagen sollen!", herrschte sie Victor an und winkte dann nachlässig in Richtung des nach links abzweigenden Ganges. "Edward ist schon in der Waffenkammer. Geh dich umziehen."
Der junge Schattenjäger nickte ergeben und zwinkerte Ruby zum Abschied zu. Sie beobachtete ihn, wie er im Gang verschwand und als seine Schritte verhallt waren, sagte die bis dahin schweigende Isabelle: "Das war nicht okay." Sie verschränkte die Arme. "Du bist neu hier. Das ist eine irdische Stadt. Irdische sind ganz anders als wir. Du kannst nicht einfach das Institut verlassen, ohne jemandem Bescheid zu sagen! Deine Eltern bringen mich um, wenn dir was passiert!" Sie hob die Hand, als Ruby etwas einwenden wollte. "Ja, ja ich weiß. Du bist eine Schattenjägerin! Keine Ahnung, was deine Eltern dir alles über diese Welt gesagt haben. Aber merk dir! Um dich zu erschießen, muss ein Mundie nicht direkt vor dir stehen! Und wenn du allein unterwegs bist, kann dich keiner schnell genug heilen." Sie schnaubte noch einmal wütend und wandte sich zum Gehen. "Und jetzt ab in dein Zimmer. Du hast Hausarrest."
Ruby starrte ihr verblüfft hinterher. Damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Sie hatte sich nicht mal verteidigen dürfen!
Hinter ihr kicherte es und als sie sich umdrehte, stand Jolene im Gang. Sie trug ebenfalls ihre Schattenjägerkleidung, allerdings hatte sie die Hose gegeneinen modischen, aber sicherlich unpraktischen Lederrock getauscht. "Das hätte ja nicht mal ich mich getraut", spöttelte sie und kam auf Ruby zu. "Ich weiß ja nicht, was sie dir heute Morgen in der Bibliothek erzählt hat, aber mich zumindest hat es überzeugt, doch erstmal abzuwarten." In ihrem Blick lag eine Mischung aus widerwilliger Anerkennung und Schadenfreude.
"Mir war eben danach", murmelte Ruby und fragte sich im Stillen, ob sie jetzt doch noch die Küche suchen oder einfach schlafen gehen sollte. Aber Jolene schien ganz andere Pläne zu haben.
"Sie gehen jagen", nörgelte sie und zog Ruby am Arm mit sich. "Da hinten irgendwo ist die Waffenkammer. Ich weiß, wir sollten nicht raus gehen, aber gucken wird doch erlaubt sein." Sie verströmte einen blassen, verführerischen Duft und war so geschminkt, als wolle sie ausgehen und nicht Dämonen jagen. "Wir können ja nicht ewig hierein gesperrt bleiben."
"Ich hab keine Lust auf noch mehr Ärger", knurrte Ruby und versuchte, sich loszumachen, aber Jolenes Finger waren stählern.
"Es wird keiner merken!", sagte sie eindringlich und bog in den nächsten Gang ab. Stimmen wurden lauter. "Da vorn ist es!", sie flüsterte jetzt.
Ruby konnte sich nicht vorstellen, wie man mit hohen Absätzen leise sein wollte, doch Jolene gelang es, sich auf Zehenspitzen an die halb offene Tür zu schleichen. Man konnte Isabelle hören, die Victor einen Vortrag darüber hielt, wie gefährlich es war, mit einem Neuling das Institut zu verlassen, und ihn, wie er sich scheinbar einsichtig entschuldigte.
Als die beiden Mädchen vorsichtig in den Raum blickten, konnten sie Isabelle sehen, die mit verschränkten Armen vor einem Waffenregal stand. Victor saß mit offenem Hemd auf dem Tisch, man konnte die Runen auf seiner Brust sehen. Vor ihm stand andere Junge - Edward hatte Isabelle ihn genannt -, der gleichmütig der Unterhaltung lauschte. Sein nachsichtiges Lächeln schien Victor zu gelten, der gerade eine Rune auf Edwards Rücken auftrug.
Ruby schluckte, während sie den nackten Oberkörper des stillen, jungen Schattenjägers anstarrte. Die silbrigen Linien verblasster Runen hoben seine perfekten Muskeln hervor und sie konnte es nicht verhindern, ihn mit Alexej zu vergleichen. Obwohl ihr Freund dabei nicht schlechter abschnitt, hatte sie Schuldgefühle und biss sich auf die Lippen, als Edwards Augen plötzlich direkt in ihre starrten.
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Right by your Side
FanfictionWas macht man, wenn man trotz einer Extraportion Engelsblut keine besonderen Fähigkeiten hat? Zum ersten mal verknallt und todunglücklich im öden Alicante zögert Ruby (fast) gar nicht, als sie die Chance bekommt, ins New York Institut zu wechseln. U...