45 - Zwischenspiel

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"Junge... mein Junge..."

Der Hexenmeister presste sich gegen die Wand, bemüht darum, nicht zu atmen. Ihre Aufmerksamkeit nicht auf sich zu ziehen. Etwas tropfte auf ihn herab, warm und träge, hätte ihn beinahe zum Kreischen gebracht. Zweihundert Jahre alt war er und er hätte fast geschrien wie ein kleines Mädchen.

"Mein Junge!", klagend hallte die Stimme durch den düsteren Raum. Er konnte ihre Bewegungen sehen, ihren nackten, weißen Körper, Haut wie helles Elfenbein. Das Blut darauf ließ sie noch heller erscheinen. "Mein Junge!" Sie richtete sich auf und er wollte nicht, durfte nicht! Aber konnte nicht weg sehen. Der Schwung ihrer runden Hüften zog ihn magisch an. Er spürte, wie er sich die Lippen leckte, und war doch starr vor Angst.

"Ich kann dich hören!", sang die Dämonin kichernd. Ihre nackten Füße traten in Blutlachen, hinterließen perfekte Abdrücke bei jedem Schritt. Sie hatte die Augen geschlossen, während sie durch den Raum schwebte, das schöne Gesicht überzogen von blutigen Spritzern. "Komm zu deiner Mutter!" Ein Tropfen fiel auf ihre üppigen Brüste herab wie eine rote Träne. Er verfolgte ihn mit den Augen, er wollte nicht hinsehen. Er musste weg sehen! Und konnte nicht.

Gedanken rasten in seinem Schädel. Wie sie erschienen war im Kreis, eine marmorblasse Statue, die roten Lippen wie zum Kuss gespitzt hatte sie ihn angelächelt. Jeden um sie. Gelächelt wie ein Engel, so dass er fast zu spät gespürt hatte, wie sie die Barriere durchbrach. Ihm die Magie aus den Händen riss. Um ihn herum war die Hölle losgebrochen. Fleisch zerfetzte, Blut tränkte die Wände. Er hatte sich retten können. Er als einziger. Und jetzt wollte er am liebsten schon tot sein.

"Ich höre dich...!" Sirenentöne. Er fühlte die Angst, die sein Herz umfasste wie eine geballte Faust, aber er zog sich hoch. Schwankte. Sein Mund verzerrte sich in lautlosem Schrecken, als er auf sie zu taumelte. Ihr schöner, roter Mund verzog sich zu einem trägen Lächeln.

Als ihre Augen sich öffneten, konnte er kaum atmen. Sie erfasste ihn mit einem Blick, als hätte sie ihn an sich gezogen. Blut tränkte seine Schuhe, als er auf sie zu ging. Der Boden war glitschig von den Überresten seiner Kameraden. Ihre langen, schlanken Finger hatten sie zerrissen wie Papier. Er sah noch die Fetzen von Fleisch unter ihren langen, perfekten Nägeln.

"Komm zu deiner Mutter." Sie schloss ihn in die Arme. Er sah ihre Zähne blitzen, als sie die Lippen öffnete, den Mund aufriss, als wollte sie ihn verschlingen. Scharf wie Säure bohrten sie sich in seine Haut und er schrie, alles in ihm wollte weglaufen, doch seine Muskeln gehorchten ihm nicht. Seine Arme umfingen sie, während er kreischte. Seine Stimme wurde schriller und schriller, während sie ihm das Fleisch von den Knochen riss.

Und er wusste es schon. Dass er nicht schnell sterben würde. Er nicht.


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Edward konnte die glitzernden Augen sehen, die ihn durch das kleine Gitterfenster betrachteten. Jeden Tag kam er, starrte ihn stumm an und gab keinen Laut von sich. Aber er konnte ihn trotzdem spüren, seinen bohrenden, angstvollen Blick. Er hätte reden können. Schreien. Aber er lächelte nur. Seine Hände spielten geistesabwesend mit den schmalen Elektrumbändern, die man ihm um die Arme gelegt hatte, um ihn an der Flucht zu hindern. Sie wirkten. Oh, wie gut sie wirkten...

Sie sperrten ihn ein, verschlossen die Tür, aber genauso gut hätten sie sie offen lassen können. Da war dieses Kraftfeld, das ihn zurück warf wie ein Stromschlag, wenn er sich der offenen Tür nur näherte. Einmal hatte ihm gereicht. Das runenbedeckte Metall klirrte, als er die Arme hinter dem Kopf verschränkte und lächelnd die Augen schloss.

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