Seventy • DIE VERGANGENHEIT

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"Komm schon nur noch ein mal!"

"Nein, ich kann nicht mehr..." seufzte ich und ließ mich auf meine Knie sinken. Meine Hände waren wund, meine Knie schmerzten und mein Rücken fühlte sich an, als würde er in zwei Hälften zerreißen.
"Toni bitte."

"NEIN!"

"Wenn du es nicht tust, dann- "

"Frag doch Harry." sagte ich zu Coco, die bettelnd an meinem Fuß zog und ihn dann endlich los ließ.
Es war mal wieder so weit, Weihnachten stand vor der Tür. Nachdem wir letzte Woche Cocos Geburtstag im kleinsten Kreis gefeiert hatten, befanden wir uns jetzt mitten in den Weihnachstvorbereitungen. Meine Mum stand in der Küche und backte Kekse, Harry telefonierte mal wieder und ich musste mich mit Coco um den Tannenbaum kümmern. Dabei war mir das kleine Monster allerdings keine besonders große Hilfe.
"Hab ich da grade meinen Namen gehört?" sagte Harry küsste meine Wange und betrachtete den Baum stirnrunzelnd.
"Der steht aber etwas schief."
Ich seufzte laut auf und ging weg vom beschissenen, ins Bad, um mir die Hände zu waschen. Gleichzeitig wusch ich mir auch mein Gesicht, was schon leicht verschwitzt war.
Die Entscheidung, wo wir Weihnachten feiern würden, war schnell getroffen. Nach dem 24. mit meiner Familie würden wir am 25. zu Harrys fahren und am 26. ging es wieder an die Arbeit. Da musste ich mit Niall zum Weihnachtsball. Juhuuu....
Immerhin würden die anderen auch dabei sein.
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, waren Coco und mein Freund schon dabei den Baum zu schmücken und ich beobachtete sie dabei amüsiert. Immer wieder lachten sie über etwas oder erschrak, weil eine Kugel auf den Boden fiel und meine Mum erschrocken rief, ob alles in Ordnung sei.
Das war also meine kleine Familie.

"Hilf uns doch wenigstens und steh da nicht nur so doof rum!" rief Harry und warf mir eine Kugel zu. Grade noch so fing ich sie auf und ging zu den beiden um ihnen zu helfen. Als der Baum dann fertig geschmückt war, setzten wir uns mit Mum auf die Couch, tranken Kakao und sahen uns die Lichter an.
"Das ist das erste Weihnachten, dass wir ohne euren Dad feiern." sagte meine Mum etwas wehmütig und lächelte traurig. Ich nahm ihre Hand in meine, genau wie Coco.
"Dafür haben wir dieses Mal Harry." sagte Coco und wir mussten alle lachen. Aber es stimmte. Dieses Weihnachten war unser erster gemeinsames und ich freute mich schon wie ein Honigkuchenpferd auf Heilig Abend. Nicht auf die Geschenke, sondern auf die Gesichter, die die anderen machen würden, wenn sie ihre Geschenke sahen!
Meiner Mum hatte ich einen Wellnessgutschein für ein ganzes Wochenende geschenkt, Coco bekam das größte Fanpaket von One Direction, was ich besorgen konnte mit allem Drum und Dran und für Harry musste ich mir noch etwas ganz besonderes überlegen.
"Lass uns schlafen gehen. Ich muss morgen zum letzten Mal ins Studio, wie immer schon früh." sagte Harry, gähnte und zog mich an der Hand zur Treppe. Oben erwartete mich ein relativ leeres aber immer noch bewohnbares Zimmer.
"Ich war lange nicht mehr hier." sagte ich und trat vor Harry ins Zimmer ein. Er folgte mir schweigend, seine Hand in meiner gab mir Kraft.
"Irgendwie erinnert es mich an schöne Dinge, aber auch an...." sagte ich und riss ein Foto von meiner Wand ab. Es war eins von mir und Mara.
"Das sind alles Dinge, die du hinter dir lassen kannst." flüsterte Harry, nahm mir das Foto aus der Hand und küsste meinen Nacken.
"H-harry, kann ich wenigstens duschen gehen?" stotterte ich und drehte mich zu ihm um.
"Nur, wenn ich mitkommen darf." lachend gab ich auf, schnappte mir ein paar Handtücher und tappste mit Harry an der Hand ins Bad.
"Das ist mal ne fette Badewanne." staunte er und ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen.
"Wenn ich die hätte, würde ich nie wieder duschen." lachend zog er sich das T-Shirt über den Kopf. Ich beobachtete ihn dabei, bis er nur noch seine Socken und seine Boxershorts an hatte.
"Wenn du mich weiter so anstarrst, dann wird das mit dem Duschen oder Baden nichts mehr!"
Ich senkte den Blick und ließ das Wasser in die Wanne ein. Während ich mich auszog wühlte Harry sich durch die Schubladen und wählte eins der duftenden Bade aus, die meine Mum immer kaufte.
"Riecht wie Weihnachten." schwärmte ich und zog die zweite Socke auch noch aus.
"Heißt auch so." Ich drehte mich um und Harry saß schon gemütlich in der bis zum Rand mit Schaum gefüllten Wanne. Leise schaltete ich das Radio auf dem Schrank an und ließ mich dann langsam in das warme Wasser zwischen Harrys Beine sinken. Meine Händen fingen an zu kribbeln, weil sie bis eben noch ziemlich kalt gewesen waren und wärmten sich dann, wie der Rest meines Körpers, schlagartig auf.
"Sowas hat mir gefehlt." Harrys Stimme war so harmonisch, dass man glatt denken konnte, dass sie zur Musik dazu gehörte. Verträumt spielten meine Hände mit dem Schaum und striffen dabei immer wieder Harrys. Die Wärme in diesem Moment, kam nicht nur vom Wasser, sondern auch von unseren Körpern. Es war keine Hitze, weil wir uns körperlich so nahe waren, sondern weil wir einfach in einer Weise miteinander harmonierten, die die Luft knistern ließ.
Sanft massierte Harry meinen Rücken und glitt immer weiter hinab, bis er an die Stelle kam, wo meine Narben waren. Ich zuckte kurz zusammen und schon wurde die angenehme Stille zwischen uns zur Qual.
"Toni? Ich weiß, dass du nicht drüber reden willst und du musst es auch nicht, aber diese Ungewissheit bringt mich um."
Er hatte Recht, ich wollte nicht über die Herkunft der Narben reden. Das hatte ich noch nie gewollt. Auch damals, als sie 'entstanden' waren, hatte ich mit niemandem darüber geredet, auch nicht mit meiner Mum.


Flashback

"Antonia, sag mir sofort, was du gemacht hast!" schrie meine Mum. Ich lag weinend auf dem Boden. Alles schmerzte, auch wenn die Wunden verbunden waren. Die Tränen flossen in Strömen aus meinen Augen und ich konnte sie nicht aufhalten. Wie sehr ich es auch wollte, ich konnte meiner Mum nicht erzählen, was grade passiert war.
"WER HAT DIR DAS ANGETAN?" sie war wütend, aber nicht auf mich, sondern auf die Person, die mir das angetan hatte. Immer wieder deutete sie auf die Wunden, die durch die Pflaster hindurch bluteten und einfach nicht verheilen wollten.
Zu tief waren die Wunden in mir drinnen, als das ich jemanden verraten konnte, egal, was er getan hatte.
"Nein." sagte ich leise ein letztes Mal und wurde ohnmächtig.

Flashbackende


"Toni? Bitte sag doch etwas?" Langsam drehte ich mich zu Harry um und ließ mich in seine Arme fallen. Ich weinte nicht, zumindest nicht sichtbar. Der Teil von mir, von meinem kleinen Ich, der damals verletzt worden war, weinte innerlich. Ich löste mich von Harry und sah ihn an, gefühlslos.
"Ich habe noch nie jemandem erzählt, was damals passiert ist. Auch nach all den Jahren fiel es mir zu schwer, an diese Nacht zu denken und sobald ich daran dachte, kehrten die Albträume wieder zurück."

Bevor ich weiter erzählen konnte, verließen wir die Badewanne und zogen uns schnell etwas an. Eingemummelt in Decken setzten wir uns in meinem Zimmer auf das Bett und machten leise Musik an, damit niemand hören konnte, was ich Harry zu erzählen hatte.
"Wenn es für dich zu schmerzhaft ist, dann musst du es mir nicht erzählen!" sagte Harry inzwischen zum dritten Mal und griff nach meiner Hand. All das blendete ich aus und versuchte die Wörter in meinem Kopf zu sortieren. Ich atmete tief ein und aus. Harrys Hand gab mir den Halt, den ich zum Erzählen dieser Geschichte brauchte. Auch wenn ich nach Außen in diesem Moment nicht so wirkte, war ich aufgewühlt und durcheinander.

"Ich war damals 9 Jahre alt. Weil ich die Schule gewechselt hatte, kannte ich noch nicht sehr viele Leute aus meiner Klasse und war eher der Einzelgänger. Irgendwann hat mich dann so ein Typ angesprochen und wollte meine Nummer haben. Er war echt nett und dann irgendwann hab ich mich in ihn verliebt. Hätte ich damals gewusst, wie er wirklich war, hätte ich mich nie mit ihm getroffen. Damals, in dieser Nacht...."


Keep Calm and hate One Direction (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt