Kapitel 26

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Am nächsten Morgen wachte ich mit einem seltsamen Lächeln im Gesicht auf. Das lief gestern besser als ich zuerst angenommen hatte. Schnell erklärte ich Benjamin, dass ich gestern Abend eingeschlafen war und entschuldigte mich dafür, dass ich ohne Erklärung nicht mehr geantwortet hatte. Tatsächlich passierte mir das ziemlich häufig, dass ich abends einfach so einschlief. Doch meistens hatte ich einfach nur Netflix geschaut, was mich auch ziemlich nervte, weil ich dann nicht mehr wusste, wo ich war. Noch nie war ich eingeschlafen, während ich mit jemandem geschrieben hatte. Mit wem hätte ich auch schreiben sollen? Irgendwie war das alles komplett neu für mich. Immer wieder realisierte ich, wie wenig Erfahrung ich im Bereich Jungs hatte.

Ich war schon mal verliebt gewesen, so war es nicht. Zumindest dachte ich das. Ich hatte meinen ersten Korb bekommen, hatte mich tagelang vor Liebeskummer ausgeheult. Ich habe in der Grundschule jemanden geküsst, der nicht aus meiner Familie kam. Doch so richtig zählen konnte man das alles nicht. Ich hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung mit jemandem, wo beide Teile gleiche Gefühle für jemanden hatten. Wenn ich überhaupt Erfahrung in Sachen Jungs hatte, dann war das bisher immer einseitig verlaufen. Auch ich hatte schon einmal jemanden gefriendzoned. Im Nachhinein wünschte ich mir manchmal ich hätte es nicht getan, einfach um zu wissen, wie sich sowas anfühlte, doch irgendwie wusste ich auch, dass es so besser war. Ich wollte meine ersten Erfahrungen mit jemandem machen, für den ich auch etwas empfand und seltsamerweise war Benjamin auf einem gutem Weg dahin.

"Kommst du frühstücken, Becca?", riss mich meine Mutter aus meinen Gedanken. Stöhnend stand ich auf und zog mir statt meines Schlafanzuges eine Leggins inklusive Hoodie an und machte mir schnell einen neuen Zopf. Die Freundin meines Bruders hatte bei meinem Bruder geschlafen, was auch der einzige Grund war, warum wir an einem Sonntagmorgen alle zusammen frühstückten, um ehrlich zu sein. Seit er und ich einen komplett anderen Rhythmus als meine Eltern hatten, aßen wir eigentlich kaum noch zusammen. Lukas und Elena waren mittlerweile über ein Jahr zusammen. Ich hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass mein Bruder so lange eine feste Beziehung aushielt. Früher war er nie der Typ gewesen, der überhaupt nur über Mädchen redete und heute verbrachten die beiden mehr Zeit miteinander, als ich mit Kayla, und das hieß schon was.

Die nächsten paar Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse. Ich kam ganz gut in die Osterferien herein, bearbeitete hin und wieder ein paar Sachen für die Schule und kümmerte mich ansonsten um sehr viele Dinge, die im Alltag einfach liegengeblieben waren. Nach guten drei bis vier Monaten kam ich endlich dazu, meinen Kleiderschrank komplett auszuräumen, Sachen auszusortieren und alles andere wieder strukturiert und ordentlich einzuräumen. Herrschte außen Chaos, herrschte meistens auch innen Chaos und damit kam ich einfach nicht klar.

Natürlich schrieb ich auch weiter mit Benjamin. Er war unheimlich lieb und es machte einfach nur wahnsinnig Spaß, mit ihm über Gott und die Welt zu philosophieren. Das erste Mal seit Monaten fühlte ich mich wirklich gut. Ein paar Dinge hatten mich zuvor völlig aus dem Konzept geholt, ich hatte gar nicht mehr gewusst, wer ich eigentlich war, doch durch Benjamin schien ich irgendwie wieder zu mir zurückzukommen. Ich wusste mich selber wieder ein bisschen mehr zu schätzen und allein dafür war ich ihm schon jetzt sehr dankbar.

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