Kapitel 39

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Die ersten paar Stunden vergingen mal wieder schneller, als ich gucken konnte. Achterbahn für Achterbahn klapperten wir durch. Die langen Wartezeiten machten uns nicht besonders viel aus, weil man sich in dieser Zeit wunderbar unterhalten konnte. Auch wenn uns das ein oder andere Mal der Gesprächsstoff ausging, war das selten unangenehm. Eng beieinander standen wir in den Warteschlangen und quetschten uns nebeneinander in die Züge. Er war zwar wahnsinnig schmal, meckerte aber ab und zu darüber, dass es als Mensch mit großen Füßen nicht besonders angenehm war. Ich konnte mit meiner Größe 38 nicht verstehen, was er meinte, aber es belustigte mich zutiefst, wie verzweifelt er in einer der beiden neuen Achterbahnen war.

Irgendwann entschlossen wir uns dazu, die andere der beiden Neuen noch ein weiteres Mal zu fahren und stellten uns in die ewig lange Schlange. Wir hatten bereits die Hälfte der Schlange hinter uns gelassen, als auf einmal eine Durchsage durch den gesamten Wartebereich schallte, dass es aufgrund einer Störung im Betrieb zu einer längeren Wartezeit kommen würde. Zunächst herrschte noch Ruhe, niemand nahm die Ansage wirklich ernst. Nachdem ein paar Minuten vergangen waren und sich immer noch nichts getan hatte, verließen die Ersten bereits die Schlange und gaben auf. Benny und ich allerdings entschlossen uns dazu, noch ein bisschen zu warten, weil wir unbedingt nochmal mit der Achterbahn fahren wollten und uns sonst später nochmal ganz hinten anstellen mussten. Minute um Minute verging und es tat sich nichts. Alle paar Minuten wurde die Durchsage wiederholt, sodass Benny und ich uns mittlerweile ein Duell lieferten, wer den größeren Teil auswendig aufsagen konnte. Man merkte, wie die allgemeine Stimmung immer weiter den Bach herunter ging. Kaum jemand redete oder lachte noch, weil alle einfach nur müde vom langen Stehen waren. Viele gaben zwischendurch auf und verließen die Schlange, sodass wir immer weiter nach vorne kamen. Je näher wir der Achterbahn kamen, desto weniger wollten wir jetzt auch gehen. Ich hätte es mir nie verziehen, wenn wir gegangen wären, obwohl wir uns so weit gekämpft hatten und die Achterbahn dann wieder fuhr. Man konnte uns keine Auskunft geben, ob sie heute noch fahren würde und wenn ja, wann. Dennoch ging die Schlange immer weiter nach vorne, weil immer mehr Menschen den Bereich verließen. Nachdem Benny und ich mittlerweile fast zwei Stunden anstanden, waren wir bis ganz nach vorne gekommen. Nur noch fünf Leute standen vor uns.

Seufzend stützte ich meine Arme auf den Zaun neben mir und legte meinen Kopf darauf. Für einen Moment schloss ich die Augen, da ich bereits spürte, dass ich Kopfschmerzen bekam. Auch wenn es nicht sehr heiß war, hatte die Sonne die letzten Stunden ungehindert auf meinen Kopf geschienen und ich hatte nicht einen Schluck getrunken seit wir hier anstanden. Als ich meinen Kopf langsam zur Seite drehte, sah ich, dass er neben mir stand und mich anschaute. In seinem Blick lag neben der Erschöpfung auch eine gewisse Sänfe, die mich zum Einen enorm beruhigte, aber auch ein bisschen nervös machte. Wir verstanden uns gut, ja, aber war da auch mehr?

"Was ist los?", fragte er besorgt. "Nichts, alles gut, ich bin nur müde und erschöpft." Er bekräftigte meine Worte sogleich mit einem Gähnen. Im darauffolgenden Moment kam eine Mitarbeiterin wieder zu den Anstehenden. Sie sagte den Leuten vor uns, dass sie an deren Stelle den Bereich verlassen würde, weil sie nicht weiß, wie lange das noch dauern würde und dass es sein könnte, dass die Störung den ganzen Tag anhielt. Benny und ich schauten uns traurig an. Wir hatten so unendlich lange gewartet, um mit einer blöden Achterbahn fahren zu können, auf die wir uns so gefreut hatten. Auch wenn wir beide wussten, wie banal das war, konnten wir uns nur schwer eingestehen, dass wir lieber auch gehen sollten. Eine gefühlte Ewigkeit schauten wir uns so in die Augen. Keiner wollte und doch wussten beide, dass wir wohl kaum eine andere Wahl hatten. Es wäre noch frustrierender, wenn wir den ganzen Tag warten würden und die Achterbahn trotzdem nicht fuhr. "Wir können die Zeit besser nutzen", sagte er. "Wir können noch andere Achterbahnen fahren." Und doch rührte er sich nicht von der Stelle. Auch als die Leute vor uns den Bereich durch den Notausgang verließen, konnten wir uns nicht überwinden. Ich schaute ihn an und wusste, er würde hier nicht von sich aus weggehen. Ich hatte so oft davon geredet, wie sehr ich diese Achterbahn liebte, also würde er nicht hier weggehen, wenn ich nicht ging.

Ich schaute noch einmal zu der Mitarbeiterin herüber und dann zurück zu Benny. Ich nahm all meinen Mut zusammen, griff nach Bennys Hand und zog ihn hinter mir her durch den Notausgang. Meine kleine Hand in seiner Großen fühlte sich ungewohnt und doch richtig schön an. Als würde er mich beschützen, als würde er auf mich aufpassen, obwohl er gerade hinter mir hergezogen wurde. Ich konnte nicht leugnen, dass ich seine Hand am liebsten nie wieder los gelassen hätte.

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