Kapitel 58

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In der darauffolgenden Woche bekam Benny endlich seine Noten, was eventuell über seinen beruflichen Werdegang der nächsten Jahre entscheiden würde. Er war wahnsinnig aufgeregt, was das anging, weil er unbedingt Arzt werden wollte.

Ich hatte Recht gehabt, dass es in wenigen Stunden keinen Unterschied mehr machte, ob seine Gefühle für mich für eine Beziehung reichten oder nicht. Ich war nicht mehr sauer, hatte das Ganze quasi komplett vergessen - oder bildete mir das zumindest ein. Alles was jetzt gerade zählte, war das hier und jetzt.

Eigentlich wollte ich Benny nicht belästigen, doch die Chance ihn in der Schule zu sehen, konnte ich mir nicht nehmen lassen, auch wenn ich damit das Risiko einging, dass es ihm irgendwie unangenehm war. Abgesehen von seinem besten Freund Paul hatte er niemandem von mir erzählt, da war ich mir irgendwie sicher. Als wir durch die Innenstadt zum Hauptbahnhof gegangen waren, hatten wir ein paar Mädels aus seiner Stufe gesehen. Benny an meiner Hand hatte mich sofort weggezogen und statt durch die Fußgängerzone gingen wir über einen Parkplatz. Ich hinterfragte gar nicht erst, warum er so Angst davor hatte, dass sie uns sehen konnten, weil mir die Antwort im Grunde genommen klar war. Natürlich wollte er nicht, dass andere ihn über mich ausfragten, wenn er sich selber nicht einmal mit mir sicher war. Das war nur das I-Tüpfelchen des Tages gewesen.

Deshalb wollte ich eigentlich nicht in der Schule auf ihn warten. Weil ich aber selber extrem aufgeregt war und wissen wollte, was er für einen Schnitt hatte, konnte ich mir das nicht nehmen lassen. Gemeinsam mit Karla, die auf eine andere Freundin wartete, stand ich bei all den frisch gebackenen Abiturienten und beobachtete gespannt, wie die Einen ihre Noten resigniert entgegennahmen, während die Anderen vor Freude schrien.

Ich konnte Benny in der anstehenden Menge nicht ausmachen, weil weder er noch ich besonders groß waren. Aufgrund seines Nachnamens musste er aber in der Nähe seines besten Freundes Paul stehen, den ich relativ weit am Ende ausmachen konnte. Meine Reli Lehrerin würde mich umbringen, wenn ich zu spät kam, doch das war mir in dem Moment relativ egal. Ebenso wie die Tatsache, dass seine Freunde sehen würden, dass er etwas mit mir zu tun hatte. Dennoch würde ich ihm die Entscheidung lassen, wie er sich mir gegenüber gab und ob er mich küsste oder nicht.

Irgendwann als Karla längst wieder in ihren Unterricht gegangen war, sah ich ihn mit Philipp aus dem Büro des Schulleiters kommen. Er unterhielt sich noch mit ein paar Freunden, bevor er mich sah und kurze Zeit später auch zu mir kam. "Was hast du?", fragte ich euphorisch, während er mich zur Begrüßung kurz umarmte. Noch waren unsere Küsse nicht wirklich zur Normalität geworden, weshalb ich mich nicht besonders über eine Umarmung wunderte.

"1,1", sagte er glücklich. "Oh mein Gott, Benny! Ich freue mich so für dich", schrie eine quietschende Mädchenstimme neben mir und umarmte ihn stürmisch. Ich war nicht wirklich eifersüchtig auf sie, dennoch fühlte ich in meiner Brust ein seltsames Gefühl aufgrund der Tatsache, dass ich mich irgendwie nicht so für ihn gefreut hatte, wie sie es tat.

Ich beglückwünschte ihn ebenfalls und schaute mir dann den Zettel an, den er bekommen hatte. 15 Punkte in beiden seinen Leistungskursen und 13 Punkte im dritten Fach. Ich konnte es kaum glauben. Wie um alles in der Welt hatte er das hinbekommen? Für seine Lks hatte er kaum gelernt, wie konnte man dann einfach so 15 Punkte schreiben? Es war mir ein Rätsel, wie man so klug sein konnte.

"Freut mich ehrlich für dich", sagte ich und umarmte ihn nochmal. Mir war das Ganze ein bisschen zu blöd und außerdem musste ich langsam echt in den Unterricht. Ich wusste, dass Benny nicht ganz so glücklich war, wie er den anderen gegenüber tat. Er hatte immer von einer 1,0 geträumt, wollte unbedingt perfekt sein, um Arzt werden zu können. Mit 1,1 konnte er das zum Glück auch noch so gerade, doch für seinen Geschmack wäre eine 1,0 trotzdem besser gewesen. Ich nahm mir vor, ihn später zu trösten, denn offensichtlich war er hier gerade beschäftigt.

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