Kapitel 105

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Die Zeit in Brüssel tat mir unwahrscheinlich gut. Zwar dachte ich noch jeden Tag an Benny, fragte mich jeden Tag, warum er mir das angetan hatte, doch allgemein ging es mir schon deutlich besser. Zumindest bildete ich mir das ein.

Ich vermisste es extrem, jemanden zu haben, dem ich abends davon erzählen konnte, was wir den ganzen Tag gemacht hatten. Ich vermisste es, mich bei jemandem darüber auszuheulen, dass meine Füße vom vielen Laufen weh taten. Am traurigsten jedoch machte es mich, dass es keine Person gab, zu der ich wieder nach Hause kommen konnte. Es gab keine Person, die zuhause auf mich wartete und mich vermisste.

So blieb mir nichts anderes übrig, als mich um meine dreckige Wäsche zu kümmern und mich an meine Schulsachen zu setzen. Schon in wenigen Tagen würde ich meine erste Klausur schreiben, was jetzt doch schneller ging als gedacht. Ich wusste nicht, wie ich es schaffen sollte, mich zum Lernen zu motivieren, damit ich nicht komplett schlecht abschnitt. In Deutsch las ich jetzt eine Lektüre, über die ich vorher schon so oft mit Benny geredet hatte. Ich wusste noch, dass er mindestens 13 Punkte geschrieben hatte, weswegen es mich ein wenig traurig machte, dass er mir jetzt nicht dabei helfen konnte. Mir blieb keine Wahl als alleine klar zu kommen. So wie immer.

Ich musste schon sagen, dass ich extrem stolz auf mich war, dass ich seit der Trennung nicht einen Tropfen Alkohol getrunken hatte. Normalerweise war ich ein Typ, der seine Trauer gerne in ordentlich viel Wodka ertrinken ließ. Generell trank ich super gerne alkoholische Getränke und wenn diese auch noch ihren Zweck erfüllten, was gab es dann noch besseres?

Dennoch wusste ich auch nur zu gut, dass die Stimmung mit Alkohol intus sehr schnell umschlagen konnte. Sich zu betrinken wenn man verletzt war, war in den meisten Fällen einfach keine gute Idee. Am Wochenende jedoch feierte ein Freund von mir in seinen 18. Geburtstag herein, weswegen es schon fast eine Pflicht für mich war, Alkohol zu trinken. Dennoch nahm ich mir vor, nur in Maßen zu trinken, weil ich mir zu gut vorstellen konnte, dass ich sonst am Ende einfach nur heulen würde.

Dieser Plan war schon dann Geschichte als ich auf der Party ankam. Obwohl ich Kayla auf meiner Seite hatte, die ebenfalls keinen Alkohol trinken wollte, weil sie vorher eine Ibuprofen geschluckt hatte, wurde ich von meinen anderen Freunden überredet. Ich war schon immer schlecht darin, mich zu weigern, wenn jemand mit mir Alkohol trinken wollte, doch jetzt in diesem Moment war es für Lina noch viel einfacher mich für Shots zu begeistern. Ich wusste nicht, ob ich einfach viel zu früh war, doch die Party war wirklich so langweilig, dass ich irgendwann umkommen würde, wenn ich nicht zumindest ein bisschen intus hatte. Dass ich mich damit dazu verschrieb, den ganzen Abend über mit Lina zu trinken, wusste ich in diesem Moment natürlich nicht.

Und so kam, was kommen musste. Zuerst war ich wirklich froh darüber, Alkohol getrunken zu haben. Ich konnte die Stimmung, die immer noch nicht richtig da war, zumindest ein bisschen genießen. Hin und wieder gelang es irgendjemandem sogar, mich zum Lachen zu bringen. Mit einem angemessenen Alkoholpegel hatte die schüchterne Becca sogar den Mut mit völlig fremden Menschen zu reden. Unter ihnen auch Antonio, der ein guter Freund von Luis war. Glücklich konnte ich ihm ein Versprechen entlocken, dass er mir demnächst Karten für eine Party abkaufen würde. Unsere Stufe nahm bei einem Battle teil, bei dem wir Geld für unseren Abiball gewinnen konnten. Einzelne Runden fanden in einem Club statt und dafür mussten wir eben Karten verkaufen, wodurch wir wiederrum auch jede Menge Punkte sammeln konnten. Eigentlich wollte ich Benny Karten verkaufen, doch da dieser jetzt vermutlich nicht mehr kommen und erst recht keine Karten bei mir kaufen würde, war ich ganz froh darüber, dass Antonio vielleicht noch ein paar Leute zusammentrommeln konnte. Er selbst hatte über Luis eine Karte bei Kayla gekauft.

Nach einer Weile jedoch verschwand meine anfängliche gute Laune. Irgendetwas triggerte mich auf einmal so heftig, dass mir beim Tanzen plötzlich die Tränen übers Gesicht liefen. Sobald Kayla davon Wind bekam, packte sie mich am Arm und zog mich nach draußen an die frische Luft. Sobald sich meine Lunge mit dem kalten Sauerstoff der Nacht füllte, brach ich gänzlich zusammen. Es war mir egal, dass um mich herum mehrere Menschen standen, die mir alle dabei zusehen konnten, wie ich auf den Boden fiel und heftig anfing zu weinen. Kayla versuchte mich wieder hoch zu bekommen und führte mich mit der Hilfe ihres Freundes Elias ein bisschen von den anderen weg.

Ich war ihr mehr als dankbar dafür, dass sie sich einfach nur neben mich setzte, mir den Rücken kraulte und für mich da war, ohne ein einziges Wort zu sagen, während ich vor mich hin schluchzte. Verzweifelt versuchte ich mich unter Kontrolle zu bekommen, doch das war gar nicht so leicht. In meinem betrunkenen Zustand wurde mir immer deutlicher, wie naiv ich gewesen war, mich so auf Benny einzulassen. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich einen so tollen Menschen aus meinem Leben verloren hatte. Irgendetwas in meinem kaputten Kopf sagte mir, dass es einzig und allein meine Schuld war, dass man mich einfach nicht lieben konnte und dass es niemanden wundern sollte, dass Benny keine Gefühle für mich hatte.

Ich konnte die Tatsache nicht ignorieren, dass ich emotional kaputt war.

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