Warm glänzte Gaius' Haar im weichen Licht der Öllampen. Über die Köpfe ihrer Gäste hinweg schenkte er ihr ein schiefes Lächeln, dann richtete er seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch mit seinen Onkel Claudius und Gemellus. Die leisen Töne, welche die Musiker ihren Instrumenten entlockten, verschmolz sanft mit den Gesprächen, die überall geführt worden. Es war Gemellus letzter Abend in Rom und in Gedanken staunte Aurelia über die vielen ihr mittlerweile vertrauten Gesichter – nur ein kleines Abendessen im engsten Kreis der Familie hatte Gaius geplant. Dennoch hatten die Mitglieder ihrer Familie nicht darauf verzichtet, dass ihre Sklaven und Klienten sie an diesem Abend begleitet hatten. Der kleine Raum kam ihr so voll vor, zumal sie alle Fenster zum Garten schließen mussten, damit die kalte Winterluft ihnen nicht in die Knochen fuhr.
In diesem Moment gesellte sich Claudius' Frau Messalina zu ihr und meinte: „Was für ein wunderschönes Fest für eine so schöne Täuschung"
Eingehend musterte Aurelia diese Frau, welche von den römischen Historikern in den düstersten Farben dargestellt worden war. Ihr Augen funkelten scherzhaft, doch ihr sonst so zartes Gesicht wirkte runder als gewöhnlich und Aurelia ertappte sich bei der Frage, ob Messalina bereits mit Britannicus schwanger war. Aus dem Augenwinkel registrierte sie Agrippina, die ihrem kleinen Sohn einen Kuss auf den Kopf hauchte. Lucius war das Zentrum der weiblichen Aufmerksamkeit und plötzlich überkam Aurelia eine tiefe Traurigkeit. Sofort bemerkte Messalina ihre veränderte Stimmung und auch ihre Unbeschwertheit wich aus ihren Zügen.
„An manchen Tagen wünsche ich mir, wir könnten dieses Spiel aufgeben und einfach eine ganz normale Familie sein", murmelte Messalina und legte ihre Hand auf Aurelias Oberarm.
„Was ist in Zeiten wie diesen schon normal?", fragte Aurelia und Messalinas Mundwinkel zuckten. Nachdenklich nippte sie an ihrem Kelch und ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen. Gaius war von allen Männern umgeben und klopfte seinem Onkel stolz auf dem Rücken. Julia und Agrippina waren in ein Gespräch mit ihrer Großmutter vertieft, dem Clementina mit höflichem Interesse folgte, ohne sich daran aktiv zu beteiligen. Drusilla stand am Rand, ihr Blick ging ins Leere und wirkte verloren.
„Bitte entschuldige mich", meinte Aurelia besorgt und entzog Messalina sanft ihren Arm, bevor sie sich unauffällig zu Drusilla gesellte. Drusilla bemerkte sie nicht. Ohne Umschweife packte sie Drusillas Handgelenk und zog sie sanft aus dem kleinen Raum voller Menschen in einen schmalen, stillen Gang. Selbst die leise Musik war nicht mehr zu hören. Als sie sich sicher war, dass niemand ihnen gefolgt war, drehte sie sich zu ihrer Schwägerin um, ließ ihr Handgelenk los und wollte von ihr wissen, was sie bedrückte. Drusilla versuchte eine undurchdringliche Maske aufzusetzen, wie auch Gaius sie in der Öffentlichkeit zu tragen pflegte. Aber Drusillas Augen verloren nicht diesen gehetzten, verlorenen Ausdruck, der Aurelia nun, da Drusilla direkt vor ihr stand, noch mehr beunruhigte.
„Ich kann dir helfen", versprach Aurelia sanft. „Wenn du mir nur sagst, was dich bedrückt"
„Niemand kann mir helfen", murmelte Drusilla hoffnungslos und strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Nachdenklich musterte Aurelia ihre Schwägerin und wartete. Wenn sie über Drusilla eins gelernt hatte, dann dass sie ein gewaltiges Bedürfnis hatte sich anderen mitzuteilen. Leise gestand Drusilla, dass sie schwanger war und wich ihrem Blick aus. Aurelia schloss die Augen und versuchte sich den Stammbaum der julisch-claudischen Dynastie in ihrem Geiste in Erinnerung zu rufen. Blinzelnd öffnete sie die Augen und erkundigte sich sanft nach ihrem Mann.
„Mein Ehemann", lachte Drusilla hysterisch. „Ihn habe ich seit Jahren nicht mehr angerührt und deshalb will er jetzt die Scheidung. Ausgerechnet jetzt"
Beruhigend legte Aurelia ihre Hand auf Drusillas Schultern und gab ihr Zeit sich zu beruhigen. Dann erst bohrte sie nach, wer dann der Vater sein konnte. Zaghaft hob Drusilla den Kopf und erwiderte ihren Blick. Marcus Aemilius Lepidus. Nur ein geflüsterter Name in einem dunklen Gang und dennoch lief Aurelia ein Schauer über den Rücken. Ein weiteres Puzzleteil rückte an seinen Platz und vervollständigte das Mosaik.
„Ist er verheiratet?", wollte Aurelia nachdenklich wissen, obwohl sie die Antwort bereits zu wissen glaubte. Drusilla schüttelte den Kopf und bestätigte Aurelias Gedanken. Lächelnd steckte Aurelia Drusilla die widerspenstige Haarsträhne zurück in ihre kunstvolle Frisur.
„Vielleicht ist es ein Segen, dass dein Mann die Scheidung will", sagte Aurelia und sie konnte beobachten, wie Drusilla ihre Gedanken aufgriff und aus ihrer Dunkelheit auftauchte. Lächelnd hakte sich Drusilla bei ihr unter und gemeinsam schlenderten sie fröhlich plaudernd zurück zu ihrer Familie. Als sie den Saal betraten legte sich plötzlich eine Hand auf ihre Hüfte und zog sie sanft an einen warmen Körper. Begierig sog sie seinen vertrauten Geruch ein und lehnte sich entspannt gegen ihn. Sofort vergaß sie alles andere um sich herum.
„Danke, dass du dich um meine Schwester gekümmert hast", raunte er ihr ins Ohr und sein Atem strich warm und kitzelnd über ihren Nacken. Lachend drehte sie sich zu ihm um und schlang die Arme um seinen Hals. Seine himmelblauen Augen funkelten wie zwei Edelsteine im matten Licht der Öllampen. Automatisch legte er seine Arme um sie und augenblicklich fühlte sie sich sicher.
„Wo du Gaius bist, bin ich Gaia", wisperte sie. Sofort verdunkelten sich seine Augen und er zog sie enger an sich. Ein Finger, der Gaius auf die Schulter tippte, zerplatzte ihre kleine Blase und erinnerte sie daran, dass sie nicht allein waren.
„Deine Gäste sind am Verhungern und das Essen kann ohne dich nicht aufgetragen werden", mahnte Claudius mit gespieltem Tadel und zwinkerte Gaius belustigt zu. Gaius seufzte leise, als Aurelia sich von ihm löste und schnappte sich ihre Hand. Lächelnd zog er sie zu ihren Plätzen und das Abendessen konnte beginnen.
Kaum war der letzte Gang abgetragen, warf Gaius ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie verstand, was er dachte. Worauf sollten sie noch warten? Ein anderes Mal würde nicht die ganze Familie beisammen sein. Doch ihr Blick huschte über Gemellus, Drusilla und Messalina und irgendwie kam es ihr nicht richtig vor. Glücklich versuchte Gaius sich aufrechter hinzulegen, aber ihre zarte Hand drückte ihn unauffällig zurück in das weiche Polster. Sie lächelte noch immer, ihre Augen fixierten warm ihre Familie, die ihre üblichen Gespräche führte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Gaius sie fragend musterte und als sie entspannt ihren Kopf auf seiner Schulter ablegte, wich langsam die Anspannung aus seinem Körper. Wenig später betrat Gaius' Sekretär Hesiod und erinnerte Gaius diskret daran, dass in wenigen Minuten Gemellus' Strafe beginnen würde. Gaius nickte ausdruckslos und erhob sich. Dann wandte er sich mit einem traurigen Lächeln an Gemellus. Gemellus nickte, sprang von seiner Liege und schritt gemeinsam mit Gaius aus dem Speisezimmer. Schnell erhoben sich alle Anwesenden von ihren Plätzen und folgten den beiden durch die dunklen Gänge. Ohne Gaius Wärme begann Aurelia zu frieren und legte fröstelnd die Arme um sich. Als sie zusammen mit den anderen in den Innenhof hinaustrat, schloss sie zu Gaius und Gemellus auf, die neben zwei wunderschönen Pferden standen. Zu ihrer Überraschung löste sich eine weitere Gestalt aus der Menge und schwang sich auf eines der Pferde. Erst jetzt fiel Aurelia auf, dass sie bereits gesattelt waren.
„Mach dir um uns keine Sorgen", beschwor Gemellus Gaius eindringlich und Aurelia spürte, dass Gaius gern etwas erwidert hätte, aber die vielen Zuschauer in ihren Rücken hielten ihn davon ab.
„Alles Gute", wünschte Aurelia und gab sich innerlich einen Tritt, weil ihr nichts Besseres als eine solche Phrase zum Abschied einfiel. Doch Gemellus schenkte ihr ein warmes Lächeln, dann nickte er Gaius zu, hob zum Abschied von seinen anderen Verwandten die Hand. Danach wichen alle Gefühle aus seinem jungen Gesicht. Ernst stieg Gemellus auf sein Pferd und betrachtete die Stadt, die das Zentrum ihrer aller Welt bildete. Demonstrativ wendete er sein Pferd und ritt hinaus in die Nacht, ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen. Der zweite Reiter folgte ihm mit wehendem Umhang. Hinter ihnen schloss sich das Tor mit einer solchen Endgültigkeit, dass Aurelia Tränen in die Augen stiegen. In wenigen Stunden würde sein Schiff von Ostia ablegen. Hoffentlich würde Gemellus den Frieden finden, den es in Rom nicht gab.
Gaius holte einen tiefen Atemzug, dann schob er seine warmen Finger zwischen ihre kalten und zog sie zurück in die Wärme der Villa.
Die meisten Verwandten warteten bereits im Atrium auf sie. Nun, da Gemellus fort war, war das Abendmahl beendet und sie wollten nach Hause.
Als Gaius und Aurelia sich endlich in ihre Gemächer zurückzogen, kam ihr der vergangene Tag plötzlich unendlich lang vor. Am liebsten hätte sie sich einfach auf ihr Bett fallen gelassen und wäre auf der Stelle eingeschlafen. Widerwillig kämpfte sie gegen ihre Müdigkeit an, setzte sich an ihren Schminktisch und begann die Nadeln aus ihren Haaren zu ziehen.
„Warum hast du mich abgehalten?", fragte Gaius leise und sie hob überrascht den Kopf. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Langsam nahm sie den anderen Ohrring ab und legte ihn vor sich auf den Tisch. Schützend legte sie ihre Hand auf die kleine Wölbung und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.
„Für Gemellus war dies der letzte Abend mit seiner Familie, unser Glück ist sein Fall", murmelte sie rasch. Aber Gaius schnaubte verächtlich.
„Gemellus hat seine Fehler erkannt und trägt die Konsequenzen für seine Handlungen. Außerdem hat er mittlerweile eine sehr hohe Meinung von dir. Er hätte sich bestimmt für uns gefreut", sagte er wenig überzeugt. „Also was beunruhigt dich wirklich, mein Herz?"
„Ich weiß es nicht, Gaius", murmelte Aurelia verlegen. „Findest du nicht auch, dass es nicht der richtige Zeitpunkt für diese Neuigkeit ist? Ganz Rom tratscht bereits über die Hinrichtung unseres Prätorianerhauptmannes und die Verbannung deines Vetters und bald auch noch über Drusilla. Sobald Gemellus weg ist, werden sie sich nur noch mehr um dich reißen, in der Hoffnung zu deinem Erben ernannt zu werden. Ich möchte nicht, dass unser Kind im selben Atemzug mit zwei Hochverrätern genannt wird. Denn ich fühle, dass unser Kind alles überstrahlen wird und ich glaube, dass wir den Moment der Bekanntgabe besser inszenieren können als bei einem privaten Abendessen im Kreis der Familie"
Bedächtig trat er hinter sie und legte sanft eine Hand an ihre Wange, die andere auf ihre Schulter. Ihre Blicke trafen sich in ihren Spiegelbildern und ein stolzes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.
„Ich bin so froh, dass ich dich habe", raunte er und während sie ihr Gesicht an seine warme Handfläche schmiegte, schloss sie die Augen und genoss die Geborgenheit und Liebe, die sie beide umgaben.
„Erzählst du mir, was Drusilla so aus der Bahn geworfen hat?", bat er sie leise. Mit einem Seufzen schlug sie die Augen auf und begegnete seinem besorgten Blick im Spiegel. Langsam drehte sie sich zu ihm um und begann ihm von ihrem Gespräch mit seiner Schwester zu erzählen.
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...