Kapitel 76 ~ Senatum vocat

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Erleichtert registrierte Aurelia, dass Vespasius sein Versprechen gehalten hatte und auf sie vor dem Eingang des Tempels wartete. Sofort ebbte ihre Nervosität ein kleines bisschen ab. Interessiert musterte er sie von Kopf bis Fuß. Natürlich wusste Aurelia, dass es klare Vorschriften gab und der Senat nur in einer Toga betreten werden durfte. Aber da dieses spezielle Kleidungsstück an Frauen Hinweis auf ihre Arbeit mit der käuflichen Liebe war, hatten Gaius und sie eine Alternative gesucht. Nun verstieß sie zwar immer noch gegen die Regeln des Senats, aber immerhin konnte sie niemand mit einer Prostituierten verwechseln. Als sie stumm neben ihn trat, verlor er kein Wort über ihren Aufzug.
„Denk immer daran, wenn irgendetwas ist, schau einfach zu mir", flüsterte Vespasius ihr ins Ohr und Aurelia schenkte ihm ein nervöses Lächeln. Gemeinsam betraten sie den Tempel, den Gaius ihr für die heutige Sitzung empfohlen hatte und sofort richtete sich die Aufmerksamkeit der Magistrate auf sie. Eine Welle der Missgunst und der Abscheu schwappte ihr entgegen. Das Schlimmste war, dass sie die Gefühle der Männer nur zu gut nachempfinden konnte. Was gab ihr das Recht sie anzuführen? Sie war eine Frau und noch dazu hatte sie, anders als die Mitglieder des Gremiums, nie ein öffentliches Amt innegehabt. Für die Männer war sie ein politischer Frischling, der es ohne einen nennenswerten Grund an die Spitze des Staates geschafft hatte. Elegant setzte sie sich auf den kurulischen Stuhl, auf dem sonst ihr Mann saß und lächelte in die Runde. Ein Sklave reichte ihr eine Wachstafel, auf der die Tagesordnung festgesetzt war. Auf den ersten Blick wirkte alles sehr unspektakulär. Sie gab dem Praetor das Zeichen, dass er mit seinem Thema anfangen konnte, aber er blieb stur auf seinem Platz sitzen. Nach einer Weile wurde das Geraune der Anwesenden lauter und Aurelia unterdrückte einen Fluch. Mit einem Ruck stand sie auf und trat in die Mitte der freien Fläche vor die Sitzplätze der Senatoren. Sofort verstummten die Gespräche.
„Meine Herren, diese Situation ist für mich genauso befremdlich wie für Euch", sagte sie laut und deutlich. „Aber solange mein Mann fort ist, um Rom an einem anderen Ort zu dienen, werde ich innerhalb dieses ehrwürdigen Gremiums seinen Platz einnehmen. In unserem Staat gibt keine wichtigere Institution als diese und ich werde niemanden dulden, der deren Macht infrage stellt oder sie gar ins lächerliche zu ziehen versucht. Ich nehme diese Aufgabe sehr ernst, denn es gibt keine größere Errungenschaft der Menschheit als politische Partizipation. Der Senat und das Volk Roms – diese beiden Institutionen sind das Fundament unseres Staates. Der Princeps ist das Bindeglied, welches beide Teile der Gesellschaft zusammenhält. Aber wie unsere Gesellschaft, befinden sich auch unsere Institutionen im stetigen Wandel der Zeit. Doch nur weil sich Dinge weiterentwickeln, müssen diese Veränderungen nicht negativ sein. In Euren Augen mag ich vielleicht nur eine Frau sein und bei den Göttern, Ihr habt recht – ich bin tatsächlich eine Frau. Aber ich bin so viel mehr als das. Denn vor allem anderen bin ich eine Bürgerin dieses Staates und ich habe geschworen, dass ich diesem Staat bis zu meinem letzten Atemzug dienen werde. Wenn mein Mann zurückkehrt, werde ich wieder meinen Platz in seinem Schatten einnehmen, aber bis dahin müssen wir, meine Herren, zum Wohle des römischen Volkes und unseres wunderschönen Staates zusammenarbeiten. Also lasst uns diesen Staat gemeinsam regieren!"
Der donnernde Applaus der Senatoren dröhnte in jeder Faser ihres Körpers. Dankbar lächelnd setzte sie sich zurück auf ihren Platz und gab dem Praetoren erneut das Zeichen mit seinem Thema anzufangen. Der Praetor erhob sich mit glühenden Wangen und langsam kehrte Stille in das Gebäude ein. Der römische Senat begann zu arbeiten. Mit einem feinen Lächeln lehnte sich Aurelia auf Gaius' Stuhl zurück und beobachtete faszinieret das Schauspiel. Vielleicht war Rom doch schon bereit für eine Frau in der Politik.

In den nächsten Wochen hetzte Aurelia von einem Programmpunkt zum Nächsten und bewunderte Gaius' Ausdauer noch mehr. Sie stand sehr früh auf, um seinen Klienten Audienzen zu gewähren, eilte in den Senat, um mit den Magistraten zu beraten, zu diskutieren und zu regieren. Wenn sie nach Hause kam, hatte sie nur wenige Minuten, um sich auf das Abendessen vorzubereiten, auf dem sie ihr Netzwerk pflegte und wenn der letzte Gast gegangen war, schlich sie sich in Julius' Zimmer, der meistens schon schlief oder vollkommen übermüdet auf seine Gute-Nacht-Geschichte wartete, über die sie beide einschliefen.
Aurelia war so sehr in die Geschicke Roms eingespannt, dass sie kaum Zeit fand ihren Mann zu vermissen. Nur nachts, wenn sie allein war, wurde sie sich der gewaltigen Lücke vollkommen bewusst, die er hinterlassen hatte. Seitdem schlief sie jede Nacht bei ihrem Sohn. Ihr Verhältnis zu den Senatoren wurde immer besser und schon nach wenigen Sitzungen hatten sich alle Magistrate mit ihrer Position abgefunden. Sie hatte es geschafft, diese versnobten und sexistischen Männer durch ihren Arbeitseifer und ihre Entscheidungen für sich zu gewinnen. Die Senatoren hatten verstanden, dass es besser war mit ihr zu arbeiten und nicht gegen sie. So herrschte im Senat eine Art Waffenstillstand. Hoffentlich würde es aus der gezwungenen Akzeptanz eine auf Respekt und Toleranz basierende Partnerschaft entstehen.
Ungefähr vier Wochen nach Gaius' Abmarsch wachte Aurelia das erste Mal davon auf, dass ihr schlecht war. Hektisch sprang sie aus Julius' Bett und schaffte es gerade noch zur nächstgelegenen Latrine, bevor sie sich übergab. Sofort ging sie in Gedanken durch, was sie am Abend zuvor gegessen hatte und erinnerte sich an den seltsamen Geschmack des Huhns. Langsam schwand ihre Übelkeit und sie erhob sich mit einem Seufzen. Sie hatte einen langen Tag vor sich und würde sich von einer kleinen Magenverstimmung nicht abhalten lassen. Aber ihre Übelkeit kehrte seitdem jeden Morgen zurück und mit der Zeit verlor Aurelia die Hoffnung, dass es sich nur um eine kleine Lebensmittelvergiftung handelte. Jetzt kam es darauf an stark und unantastbar zu wirken und ihr eigener Körper ließ sie im Stich. Aber ihr Geist würde sich nicht ihrem Körper unterwerfen.
So ließ sie ihr Frühstück ausfallen und versuchte sich in ihrer Arbeit zu vergraben. Denn wenn sie arbeitete, beschäftigten sich ihre Gedanken nicht mit den verschiedenen Ursachen. Sie konnte es sich nicht leisten sich von der Situation des Reiches ablenken zu lassen.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ Aurelia von den Berichten über die zu erwartenden Getreidelieferungen aus Ägypten aufblicken. Im nächsten Moment steckte Prunia, ihre Privatsekretärin, die vor ungefähr einem halben Jahr ihre Ausbildung bei Caenis abgeschlossen hatte, ihren Kopf durch die Tür und kündigte ihren nächsten morgendlichen Besucher an. Rasch legte Aurelia das Dokument zurück an seinen Platz, während Prunia ein Notizbuch zückte und sich in den Hintergrund des Zimmers zurückzog, als der Besucher eintrat.

Am nächsten Morgen war endlich ihr erster, offizieller freier Tag und Aurelia konnte es gar nicht erwarten in den Trainingsraum zu kommen. Das wochenlange Herumsitzen und die viele geistige Arbeit hatten sie von ihren Übungen mit Clemens abgehalten. An diesem Morgen schlug die Übelkeit zum ungünstigsten Zeitpunkt ein. Sie war gerade dabei sich aufzuwärmen, als sie das mittlerweile vertraute Gefühl überkam. Hastig sprang sie auf und eilte aus dem Raum. Verwirrt rief Clemens ihren Namen, aber sie wusste, dass sie ihre Übelkeit nicht kontrollieren konnte.
Zu ihrer Erleichterung war die Latrine leer, als sie sich übergab. Als der Brechreiz abklang, setzte sie sich langsam auf den kalten Boden, lehnte ihren Kopf gegen die kühle Steinwand und schloss die Augen. Angeekelt wischte sie sich ihre Lippen mit einem Taschentuch ab und versuchte den Geschmack in ihrem Mund auszublenden. Eine starke, schwielige, unbekannte Hand legte sich auf ihre Schulter und erschrocken schlug sie die Augen auf. Aber vor ihr hockte nur Clemens und musterte sie voller Sorge.
„Was hast du?", wollte der Prätorianerpräfekt leise wissen und Aurelia wich seinem Blick aus. Mittlerweile es gab nur noch eine logische Erklärung für ihren Zustand. Alles würde sich nun ändern.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt