In Gedanken versunken lief Aurelia den mittlerweile vertrauten Strandabschnitt entlang ohne auf ihre Umgebung zu achten. In der vergangenen Nacht hatte sie kein Auge zu machen können, weil die Musik des kaiserlichen Festes noch weit nach Morgengrauen durch das ganze Haus getönt war. Als es endlich ruhig geworden war, hielt die aufgehende Sonne sie vom Schlafen ab. Deshalb hatte sie beschlossen bereits vor ihrem täglichen Spaziergang mit Julia sich aus der Villa zu schleichen und Ruhe am Meer zu finden. Um sich vor der Kälte des Märzmorgens zu schützen, hatte sie sich in einen warmen Umhang gehüllt.
Sobald sie ihren Lieblingsstein erreicht hatte, den sie vor ein paar Wochen entdeckt hatten, kletterte sie vorsichtig darauf und setzte sich in den Schneidersitz. Reglos beobachtete sie, wie die Sonne weiter aus den Wellen emporstieg. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung zu ihrer Linken wahr und schreckte aus ihren Gedanken auf. Hastig fokussierte sie sich auf ihre Beobachtung und stellte beunruhigt fest, dass sich ein Prätorianer näherte. Gelangweilt widmete sie sich wieder der Betrachtung der Natur. Wenn er sie wieder zur Villa zurückbringen sollte, dann sollte er gefälligst raufkommen und sie zurücktragen. Freiwillig ließ sie sich dieses Spektakel nicht entgehen. Instinktiv streckte sie ihre Beine, umfasste ihre Knie und zog sie schützend zu sich heran. Müde legte sie ihr Kinn auf ihren Knien ab.
Tatsächlich hörte sie unter sich das Kratzen von Metall auf Stein, dann setzte sich jemand neben sie. Trotzig ignorierte sie ihn und schloss die Augen.
„Hier einzuschlafen ist nicht gerade empfehlenswert", versuchte der junge Prätorianer zu scherzen und Aurelia blickte ihn genervt an. Natürlich hatte sie ihn von Weitem schon erkannt.
„Warum bist du hier, Clemens?", fragte sie leise und ließ den Blick wieder über das friedliche Meer schweifen. „Müsstest du nicht in der Villa sein und auf Gaius aufpassen?"
Statt einer Antwort seufzte der Prätorianer nur und machte es sich neben ihr bequemer. Nach einer Weile murmelte er, dass sie zu seiner Familie gehören würde und er sich für sie verantwortlich fühle. Überrascht blickte sie auf.
„Meine Schwester Clementina ist die Frau des Neffens deines Adoptivvaters", erklärte er schlicht und Aurelia brauchte eine Weile um seine Worte zu verstehen.
„Redest du von Sabinus? Ist er nicht der Ältere meiner Cousins? Es fühlt sich noch so unwirklich an eine neue Familie zu haben", meinte sie nachdenklich. „Ob sie mich mögen werden?"
Schnell bejahte er ihre beiden Fragen. Offen erwiderte er ihren Blick und ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinem bleichen Gesicht ab.
„Ich kenne keine besseren Menschen als die Flavier", murmelte er und sie nickte etwas beruhigt. „Können wir bitte wieder zurückgehen, bevor unser Fehlen auffällt? Ich könnte in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, wenn Gaius unbeaufsichtigt herumläuft"
Widerwillig nickte Aurelia und gemeinsam sprangen sie von dem kleinen Felsen. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg. Auf einmal war sie furchtbar müde. Lange konnte sie diese Tatsache vor Clemens wachsamen Blick nicht verbergen. Ohne zu fragen nahm er sie hoch und trug sie vorsichtig in ihr Zimmer.
„Ich kann allein gehen!", protestierte sie schwach, doch er schnaubte nur.
„Lass mich einfach meine Arbeit erledigen, Cousinchen", erwiderte er. Dann wisperte er so leise, dass sie glaubte es sich einzubilden. „Gaius würde mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustieße"
Vorsichtig legte er sie auf ihrem Bett ab und sobald ihr Kopf das Kissen berührte, schlief sie selig ein.Aurelia erwachte erst, als Nara sie sanft an der Schulter berührte. Verschlafen setzte sie sich auf und registrierte, dass die Sonne bereits sehr weit im Westen stand.
„Herrin, es ist an der Zeit Euch für das Fest fertig zu machen", erklärte Belana entschuldigend. Auf ihre Frage, wie lange sie denn geschlafen habe, antworteten die beiden: „Den ganzen Tag"
Während die Sklavinnen sie für das Fest zurecht machten, registrierte Aurelia erleichtert, dass Belana und Nara mit ihr ein stockendes Gespräch führten, ohne dass sie ihnen ständig Fragen stellen musste. Bereitwillig erzählten sie ihr schüchtern von ihren Familien. Belana erzählte Aurelia eifrig von einem der Sklaven, die für das Kerzenlicht verantwortlich waren, auf den Nara ein Auge geworfen hatte. So machte das Lockendrehen, Haare hochstecken und Schminken wirklich Spaß.
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...