Die Blätter der Bäume leuchteten in den schönsten Herbsttönen. Die Schwüle des Sommers hatte Rom verlassen und in dieser kurzen Zeit zwischen Hitze und Winterkälte erstrahlte die Stadt in einem besonderen Glanz.
Der Triumphzug war nun bereits vier Monate vergangen und die Bauarbeiten für seinen Triumphbogen waren in vollem Gange. Der Senat hatte darauf bestanden ihren Princeps auf diese Art zu ehren.
Vor einem Monat hatte der Senat seine Sommerpause beendet und das neue Semester an der Universität hatte begonnen. Aurelia liebte ihren Beruf. Sie hatte schon immer gern unterrichtet. Immerhin hatte sie in ihrer alten Zeit Lehrerin werden wollen. Sie liebte es ihr Wissen weiterzugeben, mit anderen über Dinge zu diskutieren und ihr eigenes Wissen zu erweitern. Obwohl sie hauptsächlich im Institut für Geschichte für ihren Lehrstuhl der Zeitgeschichte arbeitete, gab sie mittlerweile auch einen Lektürekurs, welcher ihr Seminar ergänzte und abrundete.
Wie auf Wolken schwebte Aurelia durch ihr Leben und fühlte sich zum ersten Mal vollkommen komplett. Sie hatte einen Mann, den sie über alles liebte. Sie hatte zwei bezaubernde Kinder, mit denen sie ihre freie Zeit verbrachte und sie hatte einen Job, der sie begeisterte.
Es gab nur eine Kleinigkeit, die ihrem Glück einen Dämpfer versetze: Valeria Messalina, Claudius' Ehefrau. Plötzlich war sie überall und funkelte Aurelia wütend an. Wenn Aurelia nur ihre Wut verstehen könnte, aber sie hatte nie auch nur ein böses Wort über Messalina verloren.
Auch an diesem Abend bedachte Messalina sie immer wieder mit giftigen Blicken, die Aurelia zu ignorieren versuchte. Nach einer Weile kam ihr die Luft des Tricliniums so stickig vor, dass sie Gaius eine Entschuldigung ins Ohr flüsterte. Besorgt stich er über ihren Rücken und als sie die besorgte Frage in seinen Augen las, die er nicht laut auszusprechen wagte, schüttelte sie kaum merklich den Kopf. Unauffällig nickte Gaius einem Prätorianer zu, als Aurelia sich erhob und aus dem Raum huschte.
Sobald die milde Abendluft des Peristyls ihre Haut liebkoste, hielt sie inne und sank gegen eine Säule. Mit einem leisen Seufzen senkten sich ihre Lider und Aurelia genoss die abendliche Ruhe.
Plötzlich erklang das Geräusch von näherkommenden Schritten und ihr Beschützer trat aus dem Schatten vor sie. Aurelia schlug alarmiert die Augen auf und entdeckte Messalina. Wortlos gab sie dem Prätorianer ein Zeichen sich zurückzuziehen. Augenblicklich verschmolz er mit dem Schatten des Säulenganges.
Als Messalina ins bleiche Mondlicht trat und sich suchend nach ihr umblickte, stieß sich Aurelia von ihrer Säule ab und trat hoch erhobenen Hauptes in ihr Sichtfeld. Sofort funkelten Messalinas Augen vor Wut wie zwei frisch gezückte Dolche auf. Gelassen erkundigte sich Aurelia, ob sie etwas für die Frau des Onkels ihres Mannes tun konnte. Messalina schnaubte entrüstet.
„Das sieht dir ähnlich", zischte Messalina und schlich näher an sie heran. Äußerlich ruhig hob Aurelia eine Augenbraue und sah auf die kleine Frau hinab.
„Deine Selbstgefälligkeit widert mich an!", fuhr Messalina aufbrausend fort. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was du getan hast? Jahrhundertelang haben wir Frauen im Schatten unserer Männer agiert und dann taucht so eine dahergelaufene Wilde aus Germanien auf und plötzlich ist alles anders! Du scherst dich nicht um unsere Traditionen! Wegen dir haben die Frauen Roms ihre Macht verloren! Bevor du aufgetaucht bist und auf unsere Methoden gespuckt hast, konnten wir Frauen unseren Männern nützlich sein! Aber welchen Nutzen haben wir noch, wenn Männer sich direkt an die Frau des Princeps wenden können? Welchen Nutzen haben Frauen wie ich, wenn mein Mann seine Zeit mit einer germanischen Hure in diesem Schandfleck verbringt? Hast du überhaupt ein Gewissen? Hast du auch nur einen einzigen Gedanken an deine Kinder verschwendet, die unter deiner Vernachlässigung leiden? Wie schaffst du es, sie jeden Tag aufs Neue im Stich zu lassen, hm? Wie kann man nur freiwillig eine derart schlechte Mutter sein? Sag mir, Aurelia, wie kannst du dir im Spiegel noch in die Augen schauen?"
Noch eine ganze Weile ließ Messalina ihrem Ärger Luft, aber während ihre anderen Vorwürfe an Aurelia abprallten, wiederholte ihr Geist immer wieder die gleichen Worte. Schlechte Mutter. Egoistisch. Schlechte Mutter. Jeden Tag aufs Neue im Stich lassen. Schlechte Mutter. Vernachlässigung. Schlechte Mutter. Schande. Schlechte Mutter.
Ihr Inneres schrie vor Schmerz und brannte lichterloh, während sie äußerlich ruhig wartete. Ihre Ruhe befeuerte Messalinas Zorn nur immer weiter. Irgendwann konnte Aurelia die Gegenwart dieser Frau nicht mehr ertragen.
„Wenn das alles ist, was du zu sagen hast, solltest du zurück zu deinem Mann gehen und dich um den Zustand deiner Ehe sorgen", erwiderte Aurelia stoisch, drängte sich an der vor Wut zitternden Messalina vorbei und schritt ohne Hast zurück zu ihrem Mann.
Gaius bemerkte sofort, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Aber er legte nur seine Hand auf ihr Kreuz und Aurelia versuchte sich auf seine Nähe zu konzentrieren. Doch in ihrem Kopf wisperte Messalinas gehässige Stimme immer noch die gleiche, verletzende Dauerschleife. Irgendwann wurde die Stimme zu ihrer eigenen.Sobald der letzte Gast das Atrium verlassen hatte, ließ sich Aurelia wie eine Schlafwandelnde von Gaius durch die Gänge des Palastes zu ihrem Zimmer führen. Sie war zu sehr in ihren eigenen Zweifeln versunken, als dass sie die tiefe Sorge bemerkte, die in sein Gesicht geschrieben stand.
Sie kam erst wieder zu sich, als sie an ihrem Schminktisch saß und in den Spiegel blickte. Wie kannst du dir immer noch selbst in die Augen sehen? Sie wusste es nicht. Die Frau im Spiegel wirkte so verloren und klein, dass sie sich selbst nicht erkennen konnte.
Plötzlich legte sich eine starke Hand auf ihre Schulter und sie riss den Blick von dieser unglücklichen Frau im Spiegel los. Hilflos drehte sie den Kopf zu ihm und versank in seinen himmelblauen Augen.
Mit bebender Stimme wollte sie verzweifelt von ihm wissen: „Findest du, dass ich eine schlechte Mutter bin?"
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Aurelia
Tarihi KurguIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...