Kapitel 70 ~ Bonis cum ominibus incipit

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Der Blitz löste in Gaius eine derartige Nervosität aus, dass er am liebsten nach Hause geeilt wäre. Intuitiv trat er hinaus in den Regen, als eine Hand seinen Arm packte und ihn energisch zurück in das trockene Innere des Tempels zerrte.
„Was machst du denn?", zischte Vespasian ihn gereizt an und konnte nur mit Mühe seine Stimme dämpfen. „Da drinnen predigst du das Gebäude nicht zu verlassen, aber selbst willst du in dieses Gewitter hinausstürmen? Verdammt, hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, was mit deiner hochschwangeren Frau geschieht, wenn dir etwas zustoßen würde?"
Im letzten Augenblick konnte Gaius sich daran hindern wie ein von seinem Lehrer getadelter Schuljunge den Kopf vor seinem Freund zu senken. Natürlich dachte er an Aurelia, er dachte nie an etwas anderes. Der Blitz war ganz in der Nähe seines Hauses eingeschlagen, also was wenn Aurelia oder seine Schwestern Hilfe brauchten? Nachdenklich betrachtete er den Himmel und registrierte zu seiner Überraschung, dass der Sturm nachließ. Blitze konnte er keine mehr erkennen. Gelassen wandte er sich zu Vespasian und gerade als er ihm antworten wollte, keuchte sein Freund auf und starrte mit offenem Mund an ihm vorbei auf das Forum. Irritiert folgte er dem Blick seines Freundes und unterdrückte ein Seufzen. Sein Unbehagen wuchs, als der Himmel aufriss und die Wärme des ersten Sonnenstrahls auf sein Gesicht fiel. Dampf stieg in gespenstiger Anmut von den Straßen Roms auf und Gaius zwang sich den Blick abzuwenden. Er unterdrückte eine sarkastische Antwort und gab seinem immer noch staunenden Freund ein Zeichen ihm zurück zu den anderen Senatoren zu folgen. Für Gaius konnte diese Abstimmung nicht schnell genug vorüber gehen, so drängend war das Verlangen nach Hause zurückzukehren und nach dem Rechten zu sehen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schritt Gaius über seine Schwelle und fand sich inmitten von absolutem Chaos wieder. Aufgescheuchte Sklaven und Sklavinnen huschten durch das Atrium und nahmen sein Eintreten kaum war. Sie waren viel zu sehr mit ihren Aufträgen beschäftigt. Ihre Gesichter zeigten zu seiner Überraschung nichts als Freude. Vielleicht irrte er sich und der Blitz war kein Zeichen Jupiters gewesen. Vielleicht war er einfach nur ein ganz gewöhnlicher Blitz, ein Teil eines Unwetters ohne weitere Bedeutung.
Würdevoll schritt Gaius durch das Atrium und stieg die Treppe hinauf. Aus dem Nichts erschien Agrippina auf dem Treppenabsatz, sodass er beinahe in sie hineinlief. Voller Freude strahlte sie ihn an und als er bei ihr war, umarmte sie ihn überschwänglich. Verwirrt erwiderte er ihre Umarmung.
„Sie hat es geschafft", wisperte Agrippina aufgedreht in sein Ohr. „Herzlichen Glückwunsch, großer Bruder. Ich freue mich so für dich. Ich muss Julia finden. Wir haben so viel zu tun"
Schon rauschte Agrippina an ihm vorbei und ließ ihn noch verwirrter, aber beruhigter auf dem Treppenabsatz stehen. Amüsiert machte er sich auf dem Weg zu seinen Gemächern. Er konnte es gar nicht erwarten seine Toga loszuwerden. Mittlerweile nervte ihn, wie sehr sie ihn in seinen Bewegungen einschränkte und für einen kurzen Moment erinnerte er sich an ein Gespräch mit Aurelia, welches sie vor so langer Zeit auf Capri geführt hatten.

Voller Begeisterung sprang sie von der Liege auf und überbrückte mit zwei großen Schritten die Distanz zwischen ihnen. Neugierig streckte sie die Hand nach ihm aus, doch bevor ihre Finger den Stoff seiner Toga berührten, hielt sie inne und Gaius musste ein Seufzen unterdrücken. Sein Verlangen nach ihrer Berührung machte ihm Angst. Ruckartig hob sie den Kopf und er versank in der unendlichen Tiefe ihrer Meeraugen.
„Darf ich?", fragte sie schüchtern und Gaius nickte eilig. Als ihre Fingerspitzen den Stoff seiner Toga berührten, lief ein Schauer durch seinen Körper und beinahe schloss er vor Genuss die Augen. Stattdessen musterte er fasziniert ihr atemberaubend schönes Gesicht, prägte sich jeden Milimeter ein und sog gierig ihren betörenden Duft ein. Ihre Nähe berauschte seine Sinne und Gaius spürte, wie er langsam die Kontrolle verlor. Sie durfte ihm nie wieder so nah kommen.
„Es ist tatsächlich eine Uniform, die zugleich die Bewegungen uniformiert", staunte sie und lächelte ihn gedankenversunken an.
„Was tragen denn die Männer in deiner Zeit anstelle einer Toga?", fragte er und war selbst überrascht wie ruhig seine Stimme klang. Es war immer noch so verwirrend, dass sie erst in zweitausend Jahren geboren werden würde, aber dennoch vor ihm stand. In diesem Augenblick verloren ihre Augen den verträumten Ausdruck und fixierten ihn ernst.
„Einen Anzug", antwortete sie leise. „Eine Hose mit einem Sakko und einem Hemd"
Als er ihr lachend gestand, dass er sich darunter nichts vorstellen konnte, begann sie ihm voller Leidenschaft die einzelnen Begriffe zu erklären. Ihre Augen sprühten voller Begeisterung. Bei den Göttern, sie war wirklich seine größte Schwäche. Warum stellten ihn die Götter nur derart auf die Probe?

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt