Kapitel 36 ~ Initium

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Seit Stunden dauerte nun schon die Aushandlung der Bestimmungen für ihre Ehe, doch Gaius wurde das Gefühl einfach nicht los, dass Vespasius große Bedenken hegte. Vielleicht hätte er seiner Verlobten erst einmal die Gelegenheit geben sollen mit ihrem Adoptivvater zu sprechen, bevor er als Oberhaupt seiner Familie mit ihm in Kontakt getreten wäre. Natürlich zeigte Vespasius weder seine Besorgnis um seine Tochter noch verwehrte er Gaius' Wunsch sie zu heiraten - immerhin war Gaius der mächtigste Mann im Staat und vor allem Vespasius' Neffen profitierten von dessen Forderungen. Selbstverständlich würde er für Vespasians Aufnahme in den Senat und eine angemessene Provinz für Sabinus sorgen und deren Karrieren weiterhin fördern. Wenn sich Aurelias Verdacht in Bezug auf Macro bestätigte, würde er Clemens den Posten des Prätorianerpräfekten anbieten. Im Nachhinein wäre es schlauer gewesen Aurelia gleich zu heiraten und nicht erst in eine halbwegs passende Familie zu adoptieren. Doch damals war nicht nur ihre, sondern vor allem seine Zukunft um vieles düsterer und unsicherer gewesen. Damals hatte er sie nicht in seine Welt hineinziehen wollen und hatte dabei nicht bemerkt, dass sie bereits mitten drin steckte. Irgendwie hatte diese Frau es geschafft zu seiner Welt zu werden.
Praktischerweise war Aurelias Erbe auf einem staatlichen Konto eingefroren und konnte nur nach Schließung einer Ehe überwiesen werden. Kurz spielten sie mit dem Gedanken das Geld einfach in eine staatliche Schatzkammer zu verlegen, aber damit wäre Aurelia für alle Zeit von ihm abhängig. Wenn ihm etwas zustoßen würde - was in seiner Position zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich war - würde seine Frau mit leeren Händen dastehen. So entschieden sie ihr Erbe auf dem Konto einfach liegen zu lassen, damit niemand ihr Erbe sich einfach einverleiben können würde. Geld hatte Gaius ja selbst genug.
Irgendwann knurrte Vespasius' Magen so laut, dass sie die für beide bisher zufriedenstellenden Verhandlungen unterbrachen und den Bedürfnissen ihrer Körper nachgingen. Auf dem Rückweg lief Gaius seiner Großmutter in die Arme. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie sich bei ihm erst einmal nach der Verhandlung mit Vespasius erkundigen würde, doch sie blieb stumm und musterte ihn besorgt.
„Waren Aurelia und Sabinus nicht erfolgreich?", fragte er gelassen. Ihr Gesicht verlor seine Farbe. Träge schüttelte sie den Kopf. Ihre Miene verschloss sich.
„Nein, sie waren sogar sehr erfolgreich", erwiderte sie ausdruckslos. „Ich frage mich nur, wie wir dieses Wissen für unsere Zwecke nutzen können. Kannst du dir die Mitschrift durchlesen, die Caenis von ihren Aussagen getätigt hat?"
Neugierig geworden nickte Gaius und folgte seiner Großmutter in die Bibliothek. Kommentarlos überreichte sie ihm einige Wachstafeln, die er zugleich zu überfliegen begann. Ungläubig las er sich immer wieder die Worte durch, sobald er am Ende der Tafeln angelangt war.
„Sie hat es wirklich geschafft", murmelte er leise und ein kleines, stolzes Lächeln umspielte seinen Mund. Seine Avia nickte ernst.
„Aurelia sieht in Gemellus die Möglichkeit an Macro heranzukommen", erklärte sie nachdenklich. „Ich bin der Ansicht, dass Macro Gemellus sofort beseitigen wird, wenn er auch nur den leisesten Verdacht gegen uns hegt. Was denkst du, mein Lieber?"
„Ohne einen Prozess kann ich gegen Gemellus nicht vorgehen", überlegte er laut. „Wir brauchen mehr als die Aussagen einer Hure, die von meiner Verlobten und ihrem Vetter beglaubigt werden. Die Menschen werden sagen, wir hätten die Beweise gefälscht"
Sie gab ihm recht und erkundigte sich nach den Verhandlungen, die er wahrheitsgemäß beschrieb. Zufrieden lächelte sie.
„Dann solltest du sie langsam wieder fortsetzen", riet sie ihm. „Vielleicht könnt ihr sie heute bereits abschließen"
Er nickte kurz, drehte sich um und verließ eilig die Bibliothek. Seine Hoffnung Aurelia auf dem Weg zum oder sogar im Arbeitszimmer seiner Großmutter anzutreffen wurde enttäuscht. Vespasius saß allein am Tisch mit einem Weinkelch in der rechten Hand. Obwohl er auf Gaius hatte warten müssen, war er höflich und zuvorkommend wie eh und je.
In der neunten Stunde des Tages hatten sie sich in allen wichtigen Punkten zufriedenstellend einigen können, sodass nur noch die Sache mit Gemellus Gaius gute Laune beeinträchtigte. Weil Drusilla immer noch inoffiziell in seinem Palast unter Arrest stand, hatte er es nicht eilig an diesen Ort mit seinen neugierigen Schwestern zurückzukehren, vor deren Fragen ihm graute. Doch noch mehr fürchtete er sich vor dem Gedanken, Drusilla könnte sich mit Macro und Gemellus gegen ihn verschworen haben. Von seinen Schwestern hatte sie ihn immer am besten verstanden. Konnte er sich in ihr getäuscht haben? Hatte er sich diese geschwisterliche Nähe zwischen ihnen nur eingebildet?
Bedrückt schlenderte er durch die schmalen Gänge der Villa und Vespasius' Worte rauschten ungehört an ihm vorbei. Irgendwie erreichten sie das Atrium und dort trennten sich ihre Wege. Vespasius kehrte ins Innere des Hauses zu Antonia zurück, Gaius trat hinaus auf die Straße und machte sich auf den Weg zu seinem Palast. Er musste sich seinen Schwestern jetzt stellen. Clemens tauchte aus dem Schatten an seiner Seite auf.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt