Kapitel 31 ~ Sieben Monate zu viel

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Entsetzt musterte Gaius seine kleine Göttin. In den vergangenen Stunden hatte er alle möglichen Szenarien ihres Wiedersehens immer wieder gedanklich durchgespielt, aber in keinem trug sie diese Dinger. Dennoch war sie noch viel schöner, strahlender und atemberaubender als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Dieses barbarische Kleidungsstück betonte ihre langen Beine, sodass es gemeinsam mit ihren zerzausten Haare, den geröteten Wangen und den glänzenden Augen seine Fantasie anfeuerte. Vespasians Hof verblasste und er sah nur noch sie. Langsam erhob er sich von seinem Holzstuhl und kam auf sie zu. Wie zwei Magnete bewegten sie sich erst langsam, dann immer schneller aufeinander zu, bis sie sich schließlich trafen. Um nicht den Halt zu verlieren, ergriff er instinktiv ihre Taille. Sie war real. Verwirrt blinzelte sie zu ihm auf. Unsicher legte sie ihre kleine Hand auf seine Wange. Die Wärme ihrer Berührung floss von seiner Wange direkt in sein Herz, sprengte alle Ketten fort und vertrieb die Kälte.
„Du bist hier“, flüsterte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn fest. Sein totes Herz begann wieder zu schlagen.
„Ich konnte einfach nicht länger warten", raunte Gaius ihr ernst ins Ohr. Instinktiv zog er sie näher an sich und vergrub das Gesicht in ihrem seidigen Haar. Glücklich schloss er die Augen, als er endlich wieder tief ihren vertrauten Geruch vermischt mit einer frischen Meerbrise einatmete. Genau so hatte sie vor exakt einem Jahr gerochen, als sie ihm das erste Mal begegnet war. Seit langem fühlte er sich endlich nicht mehr allein. Er war Zuhause. Viel zu schnell löste sie sich von ihm und trat einen Schritt zurück. Während Vespasian ihn auf seinem Gut willkommen hieß, ließ Gaius sie keine Sekunde aus den Augen. Von ihrem Anblick konnte er einfach nicht genug bekommen. Im Verlauf des Gesprächs wurde sie immer abwesender, bis auf ihrem Gesicht dieser nachdenkliche Ausdruck erschien, denn sie nur aufsetzte, wenn ihre Gedanken auf Hochtouren rasten. Plötzlich legte sie ihre Hand behutsam auf Vespasians Unterarm. Warum berührte sie Vespasian und nicht Gaius? Mühsam schluckte er seine Eifersucht hinunter. Vespasian wandte ihr sofort fragend seine Aufmerksamkeit zu.
„Ich glaube, ich bin für die Gegenwart unserer bedeutsamen Gäste nicht angemessen gekleidet“, erklärte sie leise und schenkte jedem der drei Männer ein entschuldigendes Lächeln. Dann ging sie vor Gaius halb in die Knie, eine ungewöhnliche aber sehr elegante und feminine Variante der Verbeugung und eilte ins Haus.
„Zieh dir was hübsches an“, rief Vespasian ihr spöttisch hinterher. Ohne sich umzudrehen lachte Aurelia leise, dann war sie im Haus verschwunden und ihre Stimme wurde von den Mauern verschluckt. Auf einmal verlor der Hof seinen Glanz und trotz der Herbstsonne bekam Gaius eine Gänsehaut.
„Wie lange möchtest du bleiben, Gaius?“, fragte ihn Vespasian um einen besonders höflichen Ton bemüht. Wahrheitsgemäß antwortete er, dass er den Zeitpunkt seiner Abreise noch nicht festgelegt habe. Sein Freund nickte nachdenklich, dann rief er nach seinem Verwalter und wies ihn an Zimmer für die Gäste vorzubereiten.

Als die Sonne immer längere Schatten warf, hatte Gaius ein wohltuendes Bad nehmen und sich umziehen können. Nachdenklich betrachtete er sich im Spiegel. Ob sie immer noch unsicher war? Hatte er ihr genügend Zeit gelassen? Liebte sie ihn noch?
Ein leises Klopfen gegen seine Tür holte ihn in die Gegenwart zurück. Es gab nur einen Weg herauszufinden, ob sie bereit war. Auf seinem Gesicht erschien ein leichtes Lächeln. Selbstbewusst verließ er sein Zimmer und nickte Clemens knapp zu. Gemächlich schlenderten sie durch die Gänge. Plötzlich hörten er aufgeregtes Gemurmel aus einem Nebengang. Zuerst wollte er es einfach ignorieren, doch dann meinte er Aurelias Stimme zu erkennen. Abrupt blieb er stehen. Fragend drehte sich Clemens zu ihm um.
„Ich habe etwas in meinem Zimmer vergessen“, erklärte Gaius leise. Clemens starrte ihn abwartend an. Stumm gab Gaius ihm ein Zeichen, dass er schon mal ohne ihn vorgehen solle. Sein Prätorianer salutierte und verschwand um die nächste Ecke. Geräuschlos näherte er sich den Stimmen.
„Warum stellst du mir all diese Fragen, wenn du deren Antwort nicht hören willst?“, zischte eine männliche Stimme leise. War das Vespasian? Neugierig lehnte sich Gaius gegen die Wand.
„Warum muss ich dir jede deiner Fragen beantworten, wenn du nicht beabsichtig mir welche auf meine zu geben?“, fragte Aurelia aufgebracht. Vespasians Antwort verstand Gaius nicht, er hörte nur den beschwichtigenden Klang seiner warmen Stimme. Eine Weile herrschte Schweigen und während Gaius noch überlegte, wie er sich unbemerkt entfernen konnte, erklang Aurelias Stimme erneut.
„Dann beantworte mir eine Frage“, sagte sie ruhig. In dem kurzen, erwartungsvollen Schweigen stellte sich Gaius vor wie sein Freund alle Möglichkeiten abwog und schließlich nickte. Ohne jede Gefühlsregung verlangte Aurelia zu erfahren, wie lange sie schon hier seien.
„Sieben Monate – aber warum…“, Vespasians Frage blieb in der Luft hängen, da Aurelia ihn bereits unterbrach, indem sie ihn fragte, ob er sich wirklich sicher sei.
„Aurelia, wir haben fast Oktober und Rom haben wir Mitte März verlassen. Natürlich bin ich mir sicher. Können wir jetzt bitte endlich zu unseren Gästen. Langsam wird es unhöflich“, erwidere er gelassen. Nachdenklich zog sich Gaius in die Schatten zurück. Einen Augenblick später schlenderten Vespasian und Aurelia in ein belangloses Gespräch verwickelt an ihm vorüber ohne von ihm Notiz zu nehmen. In sicherer Entfernung folgte er den beiden. Sie würden ihn schon zum Trinclinium führen. Wenn er sie nicht eben belauscht hätte, wäre er nie auf den Gedanken gekommen, dass zwischen den beiden etwas anderes als familiäre Harmonie herrschte. Schade, dass er ihren kleinen Streit nicht vollständig mitbekommen hatte. So konnte er nur über dessen Anlass grübeln.
Vor einer Tür blieben die beiden stehen und blickten sich stumm an. Mit einem beschwichtigenden Lächeln bot Vespasian Aurelia seinen Arm an. Sie zögerte kurz, dann hakte sie sich bei ihm unter, nahm eine aufrechtere Haltung an. Vespasian gab einem Sklaven an der Tür ein Zeichen und die Tür wurde geöffnet. Lächelnd betraten sie den Raum.
„Wo ist Gaius?“, fragte Aurelia und ließ vor Überraschung Vespasians Arm los. Endlich brachte er es über sich aus dem Schatten zu treten.
„Hier, meine Schöne“, erwiderte er lässig und zwinkerte Vespasian verschwörerisch zu. Dann trat Gaius neben Aurelia und hob ihren Handrücken an seine Lippen. Eine hinreißend zarte Röte erschien auf ihren Wangen. Beim Jupiter, wie sehr hatte er diese Frau vermisst. Verlegen senkte sie den Blick. Etwas länger als nötig behielt er ihre Hand an seinem Mund, dann erkundigte er sich gut gelaunt bei ihrem Vetter, ob es eine Platzordnung gäbe. Vespasian lachte leise.
„Leg dich einfach dahin, wo du möchtest, mein Freund!“, erwiderte der Hausherr und deutete einladend auf die vier aufgestellten Liegen. Clemens hatte es sich bereits auf einer der Liegen am Rand gemütlich gemacht.
„Wollen wir?“, fragte Gaius Aurelia verschwörerisch und sie blinzelte irritiert. Lächelnd legte er ihre Hand auf seinen Unterarm und führte sie zu einer der zentralen Liegen. Gehorsam nahm sie auf ihrer Liege Platz, während Gaius sich zwischen Clemens und Aurelia auf das dritte Sofa fallen ließ. Ohne jeden Groll begab sich Vespasian auf die letzte freie Liege.
Das Essen war einfach, aber köstlich. Besonders der Traubensaft hatte es Gaius angetan. In ausgelassener Atmosphäre unterhielten sich die Männer über die aktuelle Politik in Rom, während Aurelia gedankenverloren mit dem Finger über den Rand ihres Kelchs fuhr. Ob sie ahnte, warum er hier war?
Nach einer Weile bat Aurelia Vespasian kurz an die frische Luft gehen zu dürfen. Dieser fragte seine Cousine besorgt, ob er sie begleiten sollte. Aurelia schüttelte rasch den Kopf und erhob sich. Das war seine Chance. Schnell stand er ebenfalls auf.
„Etwas frische Luft könnte ich jetzt auch gebrauchen“, erklärte er ernst. Vespasian und Aurelia wechselten einen Blick, den Gaius nicht deuten konnte. Mit einem knappen Nicken drehte sie sich einfach um und verließ den Raum. Gaius lächelte seinen Freunden rasch zu, dann folgte er ihr.
Als er auf die Terrasse trat, hatte er sie aus den Augen verloren. Frustriert fuhr er sich durch die Haare.
„Warum bist du hier, Gaius?“, ertönte ihre Stimme müde und vor Schreck fuhr er heftig zusammen. Mit geschlossenen Augen lehnte sie auf der anderen Seite der Säule. Ihr helles Kleid und ihre Haare schimmerten silbrig im sanften Licht des Vollmonds. Betont gelassen schlenderte er um die Säule und lehnte sich an die nächste des niedlichen Laubengangs. Nachdenklich betrachtete er sie. Wie konnte ein sterbliches Wesen nur so unbeschreiblich schön sein? Leise erwiderte er, dass er wie sie nur kurz frische Luft schnappen wollte. Ihre Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln.
„Du weißt genau, was ich meine“, erwiderte sie spöttisch und ihr Gesicht wurde wieder ernst.
„Ich bin hier, weil ich dich sehen musste“, flüsterte er und die feinen Härchen auf ihrem Arm stellten sich auf. Ruckartig schlug sie die Augen auf und sah ihn forschend an. Sanft lächelte er auf sie herab. Fröstelnd zog sie ihre Palla enger um sich. Sofort überbrückte Gaius den kleinen Raum zwischen ihnen und umschloss sanft ihre kalten Finger mit seinen warmen Händen.
„Die letzten Monate hätten die schönsten meines Lebens sein sollen. Endlich hatte ich alles, was ich mir all die Jahre auf Capri erträumt habe“, fuhr er nachdenklich fort. „Aber dennoch habe ich mich noch nie in meinem Leben so einsam gefühlt wie in den vergangenen sieben Monaten ohne dich. Jeden Tag bin ich aufgestanden in der Hoffnung, dass du zurückgekehrt bist. Doch obwohl ich jeden Tag aufs Neue enttäuscht wurde, verblasste weder die Erinnerung an dich noch meine Liebe zu dir. Mit jedem weiteren Tag habe ich dich mehr geliebt, auch wenn du nicht bei mir warst. Jeder Tag ohne dich ist ein verlorener Tag zu viel. Ich kann einfach nicht begreifen, warum du einfach verschwunden bist. Hast du geglaubt, ich würde dich nicht genügend lieben? Habe ich etwas Falsches getan oder gesagt? Wieso bist du vor mir weggelaufen?“
Aus tränenverschleierten Augen schaute sie zu ihm auf und verschränkte behutsam ihre schmalen, langen Finger mit den seinen.
„Es war nie meine Absicht dich zu verletzen“, wisperte sie. „Aber ich hatte Angst meine Gefühle zu dir würden mein Urteilsvermögen vernebeln und ich habe den Glauben verloren, dass unsere Liebe allein ausreichen würde, um dich vor deinem Schicksal zu bewahren“
Plötzlich begann sie zu weinen und weil er ihre Hände nicht loslassen wollte, lehnte er seine Stirn an die ihre. Leise fragte er sie, ob sie immer noch dieser Ansicht sei. Sie lachte leise auf.
„Ach Gaius“, seufzte sie. „Ich weiß, dass wir das Schicksal selbst in der Hand haben. Es tut mir leid, dass ich den Glauben an uns verloren habe. Kannst du mir verzeihen?“
„Liebst du mich, Aurelia?“, raunte er in ihr Ohr. Ihr gehauchtes „Ja“ hallte tief in seinem Herzen wieder. Als wären ihre Hände das einzige, was ihn mit dieser Welt verankerte, umklammerte er sie. In seinen wundervollen, himmelblauen Augen sah sie nichts als Liebe und Wärme. Zärtlich küsste er ihre Stirn und sprach endlich die Worte, die ihm seit Monaten auf der Seele brannten: „Heirate mich“

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt