Kapitel 40 ~ In Matrimonium ducere

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Unbemerkt gelangte Aurelia in ihr Zimmer und wechselte eilig ihre Kleidung. Innerlich schalt sie sich dafür, dass sie ihrer Familie keine Nachricht hinterlassen hatte. Doch was hätte sie schreiben sollen? Bin mit Gaius unterwegs. Bis heute Abend. Sie bürstete sich noch rasch durch die Haare, dann ertönte auch schon ein zaghaftes Klopfen an ihrer Tür. Aurelia warf einen raschen Blick in den kleinen Spiegel und setzte eine neutrale Miene auf. Dann lief sie ohne Hast zur Tür und öffnete sie. Der junge Küchensklave, Segimer, trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. Ohne den Blick zu heben murmelte er, dass Vespasius sie in der Bibliothek erwartete. Aurelia nickte, entließ den jungen Germanen und schlenderte gemächlich durch die Stadtvilla. Die Sklaven begannen auf leisen Sohlen die Öllampen zu entzünden und verbeugten sich, wenn Aurelia an ihnen vorüberging, die jeden von ihnen ein warmes Lächeln schenkte. Unwillkürlich musste sie an Lichtschalter denken. Wie viel einfacher Lichtschalter das Leben doch machten! Früher war es für sie so selbstverständlich gewesen, wenn sie einen leeren Raum betrat selbst das Licht anzuschalten. Ob sich die Sklaven oft beim Entzünden der Lampen verletzten? Nachdenklich runzelte sie die Stirn und beschloss mit Vespasius darüber zu reden.
Viel zu schnell erreichte sie die mit mythologischen Szenen verzierte Holztür, wie auch die restlichen Kunstwerke im Haus zeugten diese Schnitzereien ebenfalls von den sexuellen Vorlieben des Hausherren – nur waren hier immerhin die meisten Männer in Gesprächen vertieft. Am meisten gefiel ihr die Darstellung von Apollo und Hyazinth. Als sie mit ihrer Schulklasse in den Alten Meistern gewesen war, hatte sie auf einem winzigen Gemälde die Metamorphose des Hyazinth entdeckt und später war dieser Teil von Apollos Liebesleben immer wieder in einer Buchreihe ihres Lieblingsautors über moderne griechische Mythologie aufgetaucht. Bedächtig fuhr sie mit der Hand über das Relief. Mit einem Mal vermisste sie ihre echte Familie in ihrer wirklichen Welt und fühlte sich Fehl am Platz. Gewiss wären ihre Eltern nicht erfreut gewesen, wenn sie einfach verschwunden wäre, um mit einem Jungen um die Häuser zu ziehen. Aber ihre Eltern hätten sie verstanden. Sie konnte immer offen und ehrlich mit ihnen reden und sie hörten ihr zu. Was konnte sie von Vespasius erwarten? In dieser Zeit besaß eine Frau kaum Rechte. Hätte sie ihn um Erlaubnis bitten müssen, bevor sie das Haus verließ? Würde er sie bestrafen, weil sie einfach einen Tag verschwunden war?
Aurelia holte tief Luft, dann klopfte sie gegen die Tür. Sie trat einen Schritt zurück, straffte die Schultern und stellte sich gerader hin. Im nächsten Augenblick öffnete Vespasius' Sekretär Sophos die Tür und erklärte ihr, sie könne nun eintreten. Sie lächelte ihm freundlich zu, setzte sich in Bewegung und blieb erst vor Vespasius stehen, der lesend auf einem Sofa lag. Als sie sich ihm gegenüber auf Sophos' Hocker setzte, legte er seine Schriftrolle beiseite und gab Sophos ein Zeichen sich zurückzuziehen. Leise schloss sich die Tür in ihrem Rücken und ihre Blicke begegneten sich. Nervös strich sich Aurelia eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Vespasius Mund verzog sich zu einem freundlichen Lächeln.
„Ich hoffe, du hattest einen schönen Tag, meine Liebe", meinte er gut gelaunt und verblüfft nickte Aurelia.
„Das freut mich sehr", fuhr Vespasius fort. „Natürlich wäre es mir lieber, wenn du nächstes Mal mit mir deine Pläne besprichst und mir nicht nur einen kurze Nachricht hinterlässt. Aber ich verstehe, dass du eine direkte Einladung von Gaius nicht ablehnen konntest. Allerdings kam während deiner Abwesenheit Pallas mit einer Einladung der werten Antonia für dich zu uns und ich musste ihn leider wieder wegschicken. Aber ich soll dir ausrichten, dass sie dich morgen früh gerne bei sich empfangen würde. Vermutlich möchte sie noch ein paar wichtige Dinge mit dir wegen deiner Hochzeit besprechen oder hast du bereits andere Pläne für morgen?"
Schnell erkläre Aurelia, dass sie morgen Antonia gern besuchen würde und Vespasius klatschte erfreut in die Hände. Im Stillen dankte sie Gaius für seine Weitsicht, dass er ihre Familie über ihren gemeinsamen Tag informiert hatte.
„Dann lass uns jetzt zu Abend essen – wir haben nur auf dich gewartet", sagte er augenzwinkernd, sie erhoben sich zeitgleich und gemeinsam spazierten sie plaudernd zum Speisesaal. Dort lag bereits Vespasian, der während seiner Romaufenthalte immer bei seinem Onkel wohnte, mit zwei Überraschungsgästen: Neben ihm lag sein Bruder Sabinus mit seiner Frau Clementina, die gerade aufsprang, um ihre Freundin zu begrüßen. Voller Freude schloss Aurelia Clementina fest in die Arme.
„Was machst du denn hier?", fragte sie aufgeregt. „Wolltest du nicht erst im November nach Rom zurückkehren, wenn es auf eurem Landgut zu kalt geworden ist?"
Clementina lachte und schob Aurelia ein Stückchen von sich. Mit gespielter Strenge erwiderte sie ihren Blick und antwortete: „Glaubst du wirklich, ich würde mir deine Hochzeit mit dem begehrtesten Mann Roms entgehen lassen?"
Während des Essens tauschten sie Geschichten aus, wie es ihnen in der Zeit der Trennung ergangen war und auch wenn Vespasian und Sabinus sich ständig gegenseitig aufzogen, so war die Stimmung entspannt. Aurelia wurde bewusst, wie sehr ihr diese Menschen ans Herz gewachsen waren. Sie hatten sie ohne Fragen über ihre Vergangenheit zu stellen in ihrer Familie aufgenommen und waren für sie da, wenn sie sie brauchte. Innerhalb weniger Monate waren sie zu ihrer neuen Familie geworden und auch wenn sie in wenigen Tagen dieses Haus verlassen und zu Gaius in den kaiserlichen Palast ziehen würde, würden diese Menschen ein wichtiger Teil ihre Familie bleiben.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt