Kapitel 20 ~ Die Entscheidung

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Selbstzufrieden lächelnd kehrte Gaius zu den Feiernden zurück und ließ sich entspannt auf seine Liege fallen. Denn obwohl Macro oder Lavinia zweifellos Tiberius bereits alles ins Ohr geflüstert hatte, lag er hier und spielte seine Rolle, als sei nichts passiert. Er hätte Aurelia nicht folgen dürfen. Von einem unangenehmen Husten gestört, schaute er auf und beobachtete entsetzt die Szene. Der bleiche Tiberius lag zitternd und hustend neben seiner kleinen Julia, die ihm besorgt die Hand auf die vom Schweiß glitzernde Stirn legte.
„Mein Princeps", flüsterte sie besorgt. „Du glühst ja, Onkel! Hast du dich auf der Fahrt erkältet?"
Sofort kniete sich der betrunkene Gemellus vor seinen Großvater, schlug unwirsch Julias Hand beiseite und befühlte selbst die Stirn des mächtigsten Mannes der Welt. Unfähig zu begreifen starrte der Junge seinen Großvater an und wirkte vollkommen verloren. Gaius warf Julia einen besorgten Blick zu, dann rief er nach Sklaven und Prätorianern. Sie sollten sich endlich um den kranken Princeps kümmern.
„Das Fest ist für heute beendet, der Princeps muss sich ausruhen", befahl Gaius den glotzenden Adligen. Dann packte er gemeinsam mit Gemellus den Princeps und führte ihn halb tragend schweigend auf sein Zimmer. Sklaven und Prätorianer folgten ihnen. Gemellus und Gaius legten Tiberius vorsichtig auf sein Bett und traten dann beiseite, damit die Heiler ihre Arbeit erledigen konnten. Nach einiger Zeit löste sich einer der Sklaven von den übrigen und trat auf die beiden jungen Männer zu.
„Der Princeps fühlte sich schon seit einigen Monaten schwach. Wie Ihr wisst verabscheut der Pinceps Ärzte. Erst als sich sein Zustand während der Reise verschlimmerte, erlaubte er mir sein Fieber zu senken", erklärte er leise mit einem starken griechischem Akzent und Gemellus hiekste. „Doch das hohe Alter des Princeps bereitet mir große Sorgen. Wir können nichts für den hohen Herrn tun. In wenigen Tagen werden wir einen neuen Princeps haben"
Der Sklave nickte Gaius ernst zu, dann musterte er besorgt Gemellus und raunte so leise, dass nur Gaius ihn verstehen konnte: „Mögen die Götter uns vor diesem Kind bewahren!"
Der Grieche kehrte zu seinem Patienten zurück und begann den anderen Sklaven leise Befehle zu erteilen. Anscheinend wollten sie wenigstens versuchen die Schmerzen des Kranken zu lindern. Gaius packte Gemellus sanft am Arm und zog ihn aus dem Raum.
„Wir können jetzt nur noch für ihn beten, Gemellus", flüsterte er leise. Sobald sich die Tür hinter ihnen schloss, machte Gemellus sich wütend los.
„Was glaubst du eigentlich, wer du bist?", lallte er wütend, dann verdrehte er die Augen und Gaius konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er auf den kalten Boden aufschlug. Hilfesuchend musterte Gaius die wartenden Prätorianer und klärte sie leise über den Zustand ihres Princeps auf. Einige nickten betreten, andere schwiegen, während in Macros Augen etwas aufblitzte. War das etwa Freude? Gaius bat einen von Gemellus' Leibwächtern den Jungen auf sein Zimmer zu bringen, damit er seinen Rausch ausschlafen konnte. Sofort kam dieser seiner Bitte nach. Nachdenklich schaute Gaius ihnen nach. Die Worte des Griechen gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Würde er wirklich einen besseren Princeps abgeben als Gemellus? Dann fielen ihm die ganzen Übungsstunden ein, in denen Tiberius sie mit seltsamen Fragen gelöchert hatte. Gemellus hatte bei jeder einzelnen versagt, während Gaius immer eine Lösung parat hatte – auch wenn sie nicht immer unbedingt konventionell gewesen war.
Wenn es sein Schicksal war seinem närrischen Großonkel zu folgen, dann war Gaius bereit diese Last zu tragen. Gelassen machte er sich auf in sein Zimmer, gefolgt von seinem Schatten Clemens. Mit einem Mal erschien die Welt klarer und die Zukunft strahlender. Tiberius würde Aurelia niemals verletzen.
Dennoch fiel Gaius in einen unruhigen, von Alpträumen durchzogenen Schlaf.

Am nächsten Morgen stürmten Drusilla und Julia ohne Anzuklopfen in sein Zimmer und bombardierten ihn mit Fragen. Obwohl Gaius versuchte sie so gut wie möglich zu beantworten, sah er ihre Unzufriedenheit. Was hatten sie erwartet, er war schließlich kein Arzt.
Der Tag flog an ihm vorbei. Niemand wollte Julias Geburtstag feiern, während Tiberius krank war. So warteten die Adligen geduldig auf Neuigkeiten, gingen spazieren oder beantworteten ausgiebig ihre Briefe. Sobald die Sonne unterging, fiel Gaius erschöpft ins Bett. Den ganzen Tag war er zwischen den Adligen umhergeschwärmt und hatte versucht sie bei Laune zu halten.

Mitten in der Nacht riss Clemens ihn aus dem Schlaf. Verschlafend musterte er seinen Prätorianer finster.
„Der Princeps wünscht Euch zu sehen, Herr", flüsterte er leise. Fluchend warf sich Gaius eine Tunika über und eilte so schnell er konnte zu Tiberius.
An der Türschwelle blieb er überrascht stehen. Tiberius saß aufrecht im Bett, immer noch bleich, aber wesentlich lebendiger als heute Morgen und trank einen Becher Wein. Gaius zwang sich zu einem strahlenden Lächeln.
„Du siehst gut aus, Avunculus", meinte er erleichtert. Tiberius winkte ihn zu sich heran. Eilig schloss Gaius die Tür hinter sich und setzte sich wie befohlen auf die Bettkante. Tiberius musterte ihn freundlich.
„Freust du dich wirklich mich gesund zu sehen?", fragte Tiberius müde. „Immerhin hat man dich schon wie meinen Nachfolger behandelt"
Sofort drückte Gaius überschwänglich seine unendliche Freude aus und beteuerte, er würde niemals eine solche Macht erringen wollen, wenn diese den Tod seines geliebten Onkels bedeuten würde. Nach einer Weile unterbrach ihn Tiberius mit der Bitte ihm von den Ereignisse seit Bekanntgabe seiner Krankheit zu berichten. Nachdem Gaius geendet hatte, fragte Tiberius nach Aurelia. Gaius' Inneres wurde kalt, doch er hob nur überrascht die Augenbraue und sagte wahrheitsgemäß, dass er sie seit gestern Abend nicht mehr gesehen hatte. Tiberius lächelte frostig.
„Wie schade! Eine solche Schönheit muss man jeden Tag genießen. Solche Blumen haben die Angewohnheit nie lange zu blühen", klärte er Gaius väterlich auf und Gaius versuchte höflich lächelnd das Zittern seiner Hand zu kaschieren. „Sobald meine Heiler mich lassen, werde ich sie zu mir rufen. Es wäre doch wirklich schade niemals von diesem Pflänzchen zu kosten"
Gaius musterte seinen Onkel prüfend und behielt das alberne Lächeln bei. Tiberius begann ihm genüsslich jede Sekunde seiner Fantasien über Aurelias Gesellschaft auszumalen und Gaius wurde schlecht von den Bildern in seinem Kopf. Als der Alte ihm auch noch vorschlug zuzuschauen, hatte er genug. Lächelnd stand Gaius auf, nahm Tiberius den Kelch aus der Hand und bettete ihn fürsorglich zur Ruhe.
„Für solche Strapazen musst du dich jetzt ausruhen, Onkel", schnurrte Gaius und rief ganz der vorbildliche Neffe die Wachen zu sich. Den Einzigen, den er beim Namen kannte, war Macro. Sobald sie sich um das Bett des Princeps versammelt hatten, erhob sich Gaius und blickte jedem von ihnen tief in die Augen. Bei Macro angekommen befahl er besorgt: „Deckt den Princeps sorgsam zu, damit er nie wieder frieren möge"
Immer noch lächelnd verließ er den Raum und hörte Tiberius' vom Kissen gedämpften Protest. Es klang wie Musik in seinen Ohren. Zufrieden blickte er auf seine Hand hinunter. Auf seiner Handfläche lag der Siegelring des Princeps, den bereits der große Augustus getragen hatte. Was für eine Symbolkraft ein so winziger Gegenstand besitzen konnte. Gelassen steckte Gaius den schweren Goldring auf den Finger. Zufrieden schlenderte er gemächlich die Gänge entlang. Nun hatte er alle Zeit der Welt und bevor er bereit war seine neue Aufgabe offiziell zu ergreifen, musste er sie noch einmal sehen.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt