Plötzlich umfingen warme Arme seinen kalten Körper und ein schmerzlich vertrauter Geruch hüllte ihn ein. Er wollte ihre Hände abschütteln und sie anschreien zu gehen. Ein weiteres Trugbild von ihr, welches seiner Fantasie entsprang, konnte er nicht ertragen. Aber er hatte keine Kraft mehr weiter gegen sich selbst zu kämpfen. Schwach und erschöpft presste er sich an sie und versuchte für einen Moment bei ihr Frieden zu finden. Sanft strichen ihre Finger über sein Haar. Langsam sickerte die Erkenntnis zu ihm durch, dass ihre Berührung, ihr Geruch und ihre Wärme zu real für die grausamen Streiche seiner Gedanken waren. Dennoch traute er seinen eigenen Sinnen noch nicht genug. Still und reglos verweilte er, aber sie blieb bei ihm und verließ ihn nicht wie die unzähligen Male zuvor.
„Bist du wirklich hier?", krächzte er heiser vom Schreien und er spürte, wie sie ihn enger an sich zog.
„Ich bin hier, mein Herz und ich gehe nie mehr fort", versprach sie sanft und seine Gedanken klärten sich. Zum ersten Mal seit Wochen konnte er sich vollkommen entspannen und glitt in einen wohltuenden, traumlosen Schlaf.Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, war sie immer noch da. Noch immer hüllten ihn ihre Arme wie eine schützende Decke ein. Ihre Finger zeichneten unsichtbare Muster auf sein Gesicht. Regelmäßig und stark schlug ihr Herz in ihrer Brust und fasziniert lauschte er diesem Geräusch, das ihm so viel echter vorkam als sein eigener Herzschlag. Träge wie ein Schlafwandler drehte er den Kopf, sodass er sie endlich wieder betrachten konnten. Sofort hielten ihre Hände inne. In ihren Augen las er nichts als Liebe und Verständnis. Wortlos richtete er sich auf und presste haltsuchend seine Lippen auf ihre. Sobald ihr berauschender Geschmack in seinem Mund explodierte, fühlte er sich wie ein Ertrinkender, der endlich die Oberfläche durchbrach und frische Luft bekam. Plötzlich zuckte sie zusammen und er löste sich zögerlich von ihr.
„Geht es dir gut?", fragte er besorgt und ihr leises Lachen vertrieb die letzten Fetzen Dunkelheit, die seine Gedanken trübte.
„Es ist das Kind", erklärte sie sanft und als er sie besorgt musterte, wurden ihre Augen weich. „Mittlerweile stupst es nicht mehr, sondern tritt ziemlich stark zu"
Wie zum Beweis legte sie seine Hand auf ihren Bauch und als das Kind sich bewegte, verstand er, was sie ihm zu beschreiben versucht hatte. Dieses Gefühl war unbeschreiblich. Langsam richtete sich sein Denken auf ihre Bedürfnisse ein und er fragte sich, wie lange sie wohl schon neben ihm auf dem kalten Boden saß. War die Luft nicht viel zu heiß und stickig? Mit einem Satz sprang er auf, zog die Vorhänge zurück und stieß das Fenster auf. Der Vollmond schien bleich und grell in seine Augen, während sanfte, frische Luft an ihm vorbei ins Zimmer strich. Fragend drehte er sich zu ihr um, aber sie saß reglos wie eine Statue auf der Stelle und beobachtete ihn. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Sofort war er wieder bei ihr und bot ihr seine Hand an. Ihre zarten Finger suchten bei ihm Halt, während sie sich schwerfällig erhob. Wortlos führte er sie zum Bett und zog sie mit sich auf die ordentlich drapierten Laken. Sobald ihre Köpfe das Kissen berührten, fielen ihre Augen zu und sie schliefen eng umschlungen ein.Das neckende Kitzeln der Sonnenstrahlen weckte ihn am nächsten Morgen und erleichtert spürte er das Gewicht von Aurelias Arm auf seiner Brust. Sie war immer noch bei ihm. Vorsichtig schlüpfte er aus dem Bett, warf sich eine Tunika über und band eilig seine Sandalen. Auf der Schwelle hielt er inne und drehte sich noch einmal zu ihr um. Ihre langen Haare ergossen sich wirr über ihrem Kissen und ihr Gesicht zeigte tiefen, inneren Frieden. Sie trug noch immer ihre Kleidung vom Vortag und kein Kleid der Welt würde ihre Schwangerschaft zum aktuellen Zeitpunkt noch verbergen können. Zurückzukommen musste sie viel Kraft gekostet haben.
Nach einer kleinen Ewigkeit konnte er sich von ihrem Anblick losreißen und geräuschlos begutachtete er den Schaden, den er vor zwei Tagen angerichtet hatte. Das Wohnzimmer wurde bereits von Aurelias Mädchen leise aufgeräumt. Vorsichtshalber schloss er die Tür seines privaten Arbeitszimmers ab. Die Dokumente, die er dort aufbewahrte, waren nur für Aurelias und seine Augen bestimmt. Sein Chaos würde er später beseitigen.
Vor der Tür zu seinen Gemächern fand er Suetonius und Clemens vor, letzterer konnte ihm kaum in die Augen sehen. Zunächst wollte Gaius darauf nicht weitereingehen, doch dann hielt er inne, drehte sich langsam zu Clemens um und musterte ihn abwartend. Clemens' Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab. Plötzlich hob er rückartig den Kopf und gestand leise: „Bitte verzeih mir, Gaius, dass ich deine Befehle missachtet habe. Sie war vollkommen verängstigt und hat gedroht eines der Pferde zu nehmen, wenn ich ihr nicht helfe. Ich konnte nicht riskieren, dass sie ihre Drohung in die Tat umsetzt"
Bei der Vorstellung lächelte Gaius still in sich hinein. Nichts und niemand konnte seine Frau aufhalten, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.
„Mein Befehl lautete sie zu beschützen, nicht sie festzuhalten", meinte Gaius nachdenklich und seine Lippen verzogen sich zu einem feinen Lächeln. „Und genau das hast du getan, mein Freund. Sieh dich an, sogar in diesem Moment stehst du vor unserer Tür und führst deinen Befehl aus"
Clemens nickte erleichtert und Gaius machte auf dem Absatz kehrt. Eine gewaltige Aufgabe wartete auf ihn und er wusste, dass er sich ihr nur stellen konnte, weil dank Aurelia seine Gedanken endlich wieder klar waren. Für einen Moment zog er in Betracht Drusilla zu besuchen. Doch als ihm die Erinnerungen an ihr bleiches Gesicht und ihre leblosen Augen in den Sinn kamen, spürte er wie die Finsternis ihre gierigen Klauen nach ihm ausstreckte. Noch einmal würde er nicht in diesen Abgrund stürzen. Mit raschen Schritten marschierte Gaius in seine Bibliothek, schnappte sich die Schriftrollen, die er wollte und eilte in sein offizielles Arbeitszimmer, in dem Hesiod bereits auf ihn wartete.
„Ich will heute nicht gestört werden, schicke alle Besucher und Bittsteller fort", befahl Gaius, als er die Schriftrollen auf seinem Schreibtisch ablegte. „Informiere mich, sobald meine Frau wach wird"
„Soll ich sie wecken lassen, Herr?", fragte Hesiod leise und Gaius sah von seinen Schriftrollen auf.
„Nein", sagte er mit schneidender Stimme und fügte leiser hinzu: „Sie sieht aus, als hätte sie seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Sie braucht Ruhe und Schlaf"
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...