Der Anblick der jubelnden Menge überwältigte ihn und es fiel ihm schwer, die Mahnung des Sklaven über das Geschrei hinweg zu verstehen, obwohl der Sklave direkt hinter ihm stand. Sein Blick fiel auf Julius, dessen Gesicht vor kindlichem Stolz glühte, während er sich mit einer Hand am Streitwagen festhielt und mit der anderen dem Volk erhaben winkte. Gaius erinnerte sich nur bruchstückhaft an den Triumphzug seines Vaters. Er erinnerte sich an das Getöse der Menge, die Enge auf dem Streitwagen durch seine vielen Geschwister und die höllischen Schmerzen in seinem Arm, weil er die ganze Zeit winken musste. Unbewusst verstärkte sich sein Griff um die Zügel.
Nach Stunden brachte er den Streitwagen vor dem Tempel des Jupiters zum Stehen. Der ganze Senat hatte sich auf dem großen Platz zusammengefunden und vor dem Eingang des Tempels stand Aurelia und schenkte ihm ein warmes Lächeln. In der Mitte des Platzes wartete bereits ein schneeweißer Stier. Das Tier war vollkommen ruhig und blickte ergeben seinem Schicksal entgegen.
Mittlerweile war es so heiß, dass Gaius sich nicht traute den Schweiß von der Stirn zu wischen aus Angst die rote Farbe zu verschmieren. Außerdem störte ihn das ungewohnte Gewicht des Lorbeerkranzes auf seinem Kopf. Aber immerhin hatte er dadurch einen gewissen Sonnenschutz. Vorsichtig stieg Julius aus dem Streitwagen und Gaius musste über den Versuch seines Sohnes möglichst viel Würde auszustrahlen schmunzeln. Erhaben folgte er seinem Sohn und er spürte, wie Julius ihn aufmerksam beobachtete und sich jede seiner Bewegungen einprägte. Neben dem Stier kam der Junge zum Stehen und strich dem Tier beruhigend über den schönen Kopf. Als einer der Senatoren Gaius ein Messer in die Hand drückte, nahm er sich vor, dem Züchter des Tieres zum Dank für seine Spende eine besonders große Belohnung zukommen zu lassen.
Routiniert führte Gaius das Messer und sprach die Jahrhunderte alten Worte des Gebets, mit denen ein jeder Feldherr im Namen des gesamten Volkes die Vergebung der Götter für die im Krieg auf sich genommene Blutschuld erflehte. Kein einziger Tropfen Blut landete auf seiner Uniform und auch Julius hatte einen angemessenen Abstand zu dem Opfertier eingenommen, sodass auch seine blütenweiße Toga mit dem breiten Purpurstreifen unbefleckt war. Die umstehenden Senatoren brachen in donnernden Applaus aus.
Während nun das Priesterkollegium die weiteren Riten an dem geopferten Stier vollzogen, wandten Vater und Sohn sich ab.
Gemeinsam stiegen sie die Stufen zum Tempel empor, ganz so als hätten sie nie etwas anderes getan. Erst jetzt bemerkte Gaius die zarte Gestalt, die dicht neben seiner Frau stand und ihn aus neugierigen Augen musterte. Sie war noch viel hübscher, als er sich vorgestellt hatte. Abrupt blieb seine kleine Prozession vor den beiden stehen und obwohl er einfach nur im Tempel sein imperium offiziell ablegen musste, kniete er vor dem Mädchen nieder und lächelte sie sanft an. Eine widerspenstige, dunkle Locke kringelte sich aus ihrer strengen Frisur, die sie viel zu erwachsen aussehen ließ. Ihre Augen waren den seinen so ähnlich, dass er glaubte in einen Spiegel zu schauen. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie sein Sohn ihr zuzwinkerte. Im nächsten Moment schlang die Kleine ihre Arme um seinen Hals und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich hab dich lieb, Papa"
Sofort durchflutete eine Welle pures Glück seinen Körper. Lachend hob Gaius seine Tochter hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Voller Dankbarkeit erwiderte er den gütigen Blick seiner Frau. Denn es war ihr Verdienst, dass er bei seinen Kindern trotz seiner langen Abwesenheit nicht in Vergessenheit geraten war und er war so erleichtert, dass er weder für Julius, den er bis zu seiner Abreise von Geburt an beim Aufwachsen zugesehen hatte, noch für seine kleine Tochter, die ihm noch nie zuvor begegnet war, ein Fremder war.
„Ich hab dich auch lieb, meine Kleine", raunte er ihr in Ohr und ihr Lachen war so glockenklar, dass der Klang Nymphen vor Neid erblassen ließ. Grinsend wischte er ihr einen roten Fleck aus dem Gesicht. Einen Moment erwog er noch weiter von den vorgeschriebenen Ritualen abzuweichen und sich von Tonilla den Kranz abnehmen zu lassen, aber er entschied sich letztendlich dagegen. Behutsam setzte er seine Tochter neben Julius auf den Boden ab und wandte sich seiner Frau zu. Augenblicklich versank er in den Tiefen ihrer wunderschönen Augen. Bei den Göttern, wie sehr hatte sie ihm gefehlt. Immer noch lächelnd beobachtete er wie sie demütig vor ihm in ihre Art einer Verbeugung niedersank und den Kopf senkte. Schlagartig wurde er sich der vielen Zuschauer bewusst und seine Züge wurden würdevollere. Vorsichtig setzte er Aurelia einen Lorbeerkranz, der ihm von einem jungen Senator gereicht wurde, auf ihren hübschen Kopf und sie verharrte einen Atemzug in dieser demütigen Haltung, als würde sie sich in Gedanken bei den Göttern für seinen Erfolg bedanken. Dann richtete sie sich würdevoll auf und gemeinsam drehten sie sich der wartenden Menge aus bekannten und fremden Gesichtern zu, die sofort in donnernden Applaus ausbrach. Endlich war er wieder Zuhause. Mit selbstsicheren Schritten betrat er den Tempel des Jupiter Optimus Maximus.
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...