Kapitel 83 ~ Castra movere

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Mit einem nachdenklichen Lächeln auf dem Gesicht stapfte Gaius durch das Lager. Die Stimmung der Soldaten war für seinen Geschmack einen Tick zu ausgelassen und sorglos, aber sie hatten allen Grund zum Feiern. Heute hatten sie die letzte Schlacht vor ihrem Rückzug ins Winterlager gewonnen und allein noch am Leben zu sein war ein Grund zum Feiern.
Mit dem Fortschritt der Invasion war er sehr zufrieden - ohne jeden einzelnen Soldaten hätte er diese Leistung nicht vollbringen können. Spätestens seit er Schulter an Schulter mit ihnen gekämpft hatte, gehörte ihm der Respekt seiner Soldaten. Niemand nannte ihn noch Caligula. Er war Imperator Caesar und diesen Namen trug er mit großem Stolz.
Wohin er auch ging, hielten die Legionäre in ihrer Arbeit inne, um ihm ihren Respekt zu zollen. Ab und zu hielt er inne und plauderte mit ihnen, so wie er es als Kind immer bei seinem Vater beobachtet hatte.
Etwas in den sonst ausdruckslosen Gesichtern der Wachen vor seinem Zelt machten ihn stutzig. Innerlich wachsam nickte er ihnen freundlich zu, schlug die Plane zurück und verschwand im Inneren seines Zelts. Wo waren seine Diener?
Mit einem frustrierten Seufzen ging er zu einer Schüssel, schöpfte mit seinen Händen etwas Wasser und gerade als er sich damit das Gesicht waschen wollte, registrierte er am Rande seines Blickfelds eine Bewegung. Mit einem Platschen fiel das Wasser zurück in die Schüssel und Wassertropfen spritzten auf seinen Brustpanzer. Gezwungen ruhig richtete er sich langsam auf und versuchte die in ihm aufkeimende Panik zu unterdrücken. Er war nicht allein.
Gerade als sich seine Hand auf den Knauf seines Schwertes legte, drang ein aufgeregtes Flüstern an sein Ohr, gefolgt von einem sehr weiblichen Kichern. Gaius gestattete sich einmal tief durchzuatmen, bevor er sich weiter ins Innere seines Zeltes vorwagte. Ein gewöhnlicher Attentäter würde sich nicht so auffällig zu erkennen geben, sagte er sich immer wieder und versuchte nicht an das Attentat von Macro und Gemellus zu denken.
Als er seinen Schlafbereich erreichte, sog er scharf die Luft ein und legte den Kopf schief. Auf seinem Bett lagen drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber sie hatten eine Gemeinsamkeit: Sie waren alle offensichtlich sehr teure Prostituierte. Wut flackerte in ihm auf, er hatte ausdrückliche Befehle gegeben. Eine von ihnen mit flammend rotem Haar erhob sich langsam von seinem Bett und hielt seinem Blick stand. Vermutlich wollte sie besonders verführerisch aussehen. Bei Cupido, sie kam nicht einmal im Ansatz an Aurelia heran.
„Wir haben Euch erwartet, Herr", flüstert sie mit einem unverkennbar britannischen Akzent und stolzierte langsam zu ihm. Sie konnte noch nicht einmal geradeaus gehen. Vermutlich hatten die drei Huren so große Angst vor ihm, dass sie sich in ihre Wartezeit sehr großzügig an seinem teuren Wein bedient hatten. Der Wein war für strategisch wichtige Treffen mit britannischen Stammesanführern und Königen gedacht gewesen - oder wenn er seine obersten Offiziere bei Laune halten musste.
Dennoch fühlte er trotz seines wachsenden Ärgers auch ein wenig Belustigung über ihre kläglichen Verführungsversuche. Die Blondine warf ihm Blicke zu, die wohl schmachtend aussehen sollten, aber durch ihr leichtes Schielen vollkommen zunichte gemacht wurde und die Dunkelhaarige versuchte wohl auf Dekolleté zu setzen. Die Rothaarige kam direkt vor ihm zum Stehen und als ihr heißer Atem ihn traf, konnte er nur mit Mühe seinen Ekel vor ihrer Fahne verbergen. Zweifelnd zog er eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wer hat Euch in mein Zelt gelassen?", fragte er und versuchte die Schärfe in seiner Stimme zu mildern. Eingeschüchtert blinzelte die Rothaarige zu ihm auf. Ihre Kolleginnen erhoben sich nun ebenfalls und kamen wie Jagdhunde auf ihn zu, die ihre Beute in die Enge treiben wollten. Aber Gaius war noch nie die Beute gewesen und würde es auch bestimmt nicht werden.
„Eure Männer hielten es für eine gute Idee, uns als eine kleine Geste der Dankbarkeit für Eure harte Arbeit anzubieten", gurrte die Brünette und leckte sich über die Lippen. Tiberius hatte das auch getan, bevor er sich an irgendeinem jungen Mädchen oder Knaben vergangen hatte. Gaius gab sich innerlich einen Tritt und verdrängte diese Erinnerungen. Konnte denn niemand in diesem von den Göttern verlassenen Lager seine verdammten Befehle befolgen? Die Rothaarige legte einen Arm um seinen Hals, presste ihren Körper an seinen und machte Anstalten ihn zu küssen.
„Ich bin verheiratet!", protestierte er sofort und schob sie bestimmt von sich. Die Blondine zu seiner Linken lachte spöttisch auf und rief der Brünetten zu seiner Rechten zu, dass dies doch kein Hindernis sei. Langsam wandte er den Kopf zu ihr und gestattete ihr einen flüchtigen Augenblick hinter seine Maske zu blicken und die Wut in seinen Augen zu sehen. Ihre Augen weiteten sich, ihr Mund öffnete sich leicht, als sie vor seiner abweisenden Kälte sofort zurückschrak.
„Meine Damen, es handelt sich offensichtlich um ein Missverständnis", erklärte er höflich und ignorierte die verblüfften Blicke, die sich miteinander wechselten. „Ich benötige eure Dienste nicht. Ihr könnt gehen"
Vollkommen erstaunt blickten die drei Huren ihn an und Gaius zählte innerlich bis zehn, weil er ihnen wenigstens die Chance geben wollte in Würde das Zelt zu verlassen. Aber ein kleiner Teil von ihm freute sich darüber, dass sie diese Gelegenheit verstreichen ließen. So konnte er diese unangenehme Situation wenigstens für seine Zwecke nutzen. Niemand sollte jemals wieder seine Befehle missachten.
„Suetonius!", rief Gaius ungeduldig und versuchte seine Wut im Zaum zu halten. Der Prätorianerpräfekt erschien sofort an seiner Seite und starrte überrascht die Huren an, als könnte er sich nicht erklären, wie sie in das Zelt seines Vorgesetzten gelangt sein. Nun, die Antwort auf diese Frage interessierte Gaius ebenfalls brennend, aber es war nicht seine Aufgabe diese zu besorgen.
„Sei so gut und geleite die Damen hinaus", befahl er ruhig und schenkte den Frauen ein freundliches Lächeln. Sie waren noch immer zu verwirrt über seine Abweisung, um die Lage zu verstehen, in der sie sich nun befanden. Nur für Suetonius hörbar wisperte er: „Bring die Verantwortlichen unverzüglich zu mir"
Suetonius stieß einen Pfiff aus und keinen Wimpernschlag später war der Schlafbereich seines Zeltes voller Wachen. Der Blonden entfuhr ein kleiner Schrei und die Rothaarige starrte voller Angst auf die schwer bewaffneten Männer. Plötzlich flammte so etwas wie Mitleid in ihm auf. Wie verzweifelt mussten diese Mädchen sein, dass sie trotz ihrer offensichtlichen Angst vor der Macht Roms hierhergekommen waren?
„Wurdet ihr bereits bezahlt?", wollte Gaius wissen und richtete sich an die Brünette, die ihm am vernünftigsten erschien. Mechanisch schüttelte sie den Kopf und Gaius unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Er hatte keine Ahnung, wie hoch der Preis in Rom war - wie auch. Erfüllung fand er nur bei Aurelia, weshalb hätte er sie anderweitig suchen sollen. Gemellus hatte über solche Dinge immer bestens Bescheid gewusst.
Suetonius erwiderte mit ausdrucksloser Miene seinen Blick. Schnell erkundigte Gaius sich bei den Huren, was seine Männer ihnen denn versprochen hätten. Aber sie blieben still. Mit einem Seufzen ging er zu einer seiner Truhen und holte einen Beutel hervor. Er war voller Aureli und relativ schwer. Einen Tick zu schwer nach seinem Geschmack, aber für seinen Frieden war er bereit diesen Preis zu zahlen. Lässig schlenderte er wieder zurück neben Suetonius und fokussierte die Brünette.
„Das alles kann euch gehören, wenn ihr im Gegenzug dafür sorgt, dass so etwas nie wieder vorkommt", erklärte er eindringlich und die brünette Hure nickte leicht. „Ich brauche weder eure Dienste noch von einer anderen eures... Berufs. Erzählt es jeder einzelnen Frau, die euch begegnet"
Bereits als er der Brünetten den Beutel zuwarf, wusste er, dass sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer unter den Huren Britanniens verbreiten würde. Ebenso war er sich sicher, dass kein einziges Wort darüber fallen würde, dass er für dieses wahre Gerücht sehr teuer bezahlt hatte. Aber er war schon immer ein Meister darin gewesen, die Meinung des einfachen Volkes zu seinen Gunten zu manipulieren. Menschen wie diese drei Huren waren alle gleich in ihrer Verzweiflung. Sie sehnten sich nach einem besseren Leben und dafür waren sie bereit alles zu tun. Bevor er Aurelia begegnet war, war er eine von diesen verzweifelten Seelen gewesen.
Unauffällig nickte er Suetonius zu und kehrte der Szene den Rücken zu. Vollkommen gelassen schlenderte er zurück zu seiner Waschschüssel und wusch sich die Spuren der Schlacht aus seinem Gesicht. Als er die mit Wasser gefüllten Hände zu seinem Gesicht führte, registrierte er, wie stark er zitterte.
Erschöpft fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Das war verdammt knapp gewesen und hätte so schnell eskalieren können. Schnell sandte er ein kurzes Gebet an jede Gottheit, die gerade ihre schützende Hand über ihn gehalten hatte.
„Imperator, hier sind die Wachen, die Ihr sehen wolltet", zerriss Suetonius die Stille und Gaius wandte sich quälend langsam den drei überaus verängstigten Prätorianern zu. Abwartend musterte er sie kalt und beobachtete, wie ihnen sein Schweigen immer unbehaglicher wurde. Aber sie waren nicht ohne Grund Teil einer Eliteeinheit seiner Armee. Sie zollten ihm wenigstens jetzt den nötigen Respekt und sprachen ihn nicht an. Wenn sie schon ihre Gefühle nicht vollkommen verbergen konnten, so konnten sie wenigstens jetzt ihr Handeln steuern - zumindest teilweise. Mittlerweile schwitzten sie ziemlich stark.
„Ihr habt Eure Befehle missachtet", stellte Gaius fest und nahm zufrieden wahr, dass sie getroffen zusammenzuckten. Ansonsten blieben sie vollkommen still.
„Ihr habt meine Befehle missachtet", präzisierte er und konnte Reue in ihren Augen lesen. Bevor er weitersprach, nahm er sich einen Augenblick Zeit die Männer genauer zu mustern. Sie waren kaum älter als Gemellus. Wahrscheinlich hatten sie wirklich geglaubt ihm einen Gefallen zu tun.
„Als Strafe für euer Fehlverhalten wird jeder von euch zwölf Hiebe öffentlich erhalten. Ab dem heutigen Tag habt ihr darüber hinaus Latrinendienst, bis wir nach Rom zurückkehren", sagte er und Erleichterung flammte in ihren Augen auf. Sie hatten also doch Angst vor ihm. Gut. Sie hielten ihre Strafe für milde. Noch besser. Mit beinah sanfte Ton fügte er hinzu: „Für die Dauer des Feldzuges werdet ihr außerdem nie wieder in die gleiche Wache eingeteilt und wenn sich ein solcher Vorfall wiederholen sollte - werde ich nicht zögern die Verantwortlichen vor der gesamten Armee  zu exekutieren und darüber hinaus einen Brief an meine Frau in Rom zu schicken, damit der Senat darüber abstimmt ihren Hinterbliebenen die Bürgerrechte zu entziehen. Habt ihr mich verstanden?"
„Ja, Imperator", erwiderten die Prätorianer und salutierten zackig. Gaius gab ihnen mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie sich nun entfernen konnten. Schnell verließen sie sein Zelt und er blickte zu seinem Prätorianerpräfekten. Knapp nickte er Suetonius zu und gab ihm damit zu verstehen, dass er nun sprechen durfte. Suetonius versicherte in seiner ruhigen und knappen Art, dass er von den Plänen seiner Männer keine Kenntnis gehabt hätte. Lange musterte Gaius seinen Prätorianerpräfekten und versuchte seine Aussage abzuwägen. Suetonius hatte gesehen, wie Macro fiel und er war zu schlau, um einen solchen Fehler zu wiederholen. Gaius nickte kurz und Suetonius kehrte auf seinen Posten zurück. So etwas würde er nie wieder erleben, solange Suetonius lebte.

Ein paar Stunden später erschien Hesiod und legte eine Schriftrolle vor ihm auf seinem Schreibpult ab. Das Siegel erkannt er sofort und eine unbändige Freude durchzuckte seinen Körper. Ein Brief von Aurelia war genau das, was er nach diesem turbulenten Tag brauchte.
„Braucht Ihr mich noch, Herr?", fragte Hesiod ruhig und Gaius riss seinen Blick von Aurelias Siegel los. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen schüttelte er den Kopf und Hesiod ließ ihn wieder allein.
Voller Ungeduld brach er das Siegel, entrollte die Schriftrolle und begann ihre sorgfältige Handschrift zu lesen. Es war beinahe so, als wäre sie hier bei ihm am Ende ihres Reiches und nicht in dessen pulsierenden Herzen.

Oh Gaius,

dein letzter Bericht wurde mit großer Begeisterung vom Senat aufgenommen. Am gleichen Abend habe ich ihn Julius vorgelesen und er hat darauf bestanden, dass er mit der Schriftrolle im Arm schlafen darf. Er ist so stolz auf dich, seinen Vater, und ich soll dir von ihm ausrichten, dass er dich eines Tages ebenfalls mit Stolz erfüllen wird. Dass er das bereits tut, will er mir nicht glauben.
Aber dies ist nicht der Grund, weshalb ich dir nun schreibe. Es gibt so viele Dinge, die ich dir nicht schreiben kann, aus Angst dieser Brief könnte in die falschen Hände geraten. Jedoch zwingen mich die jüngsten Ereignisse in Rom gewisse Dinge wenigstens anzudeuten und ich möchte, dass ich die Erste bin, die dir diese Neuigkeiten berichtet. Es bricht mir das Herz, dir diesen Schmerz zufügen zu müssen, ohne näher ins Detail gehen zu können. Bitte setz dich, falls du es nicht bereits tust.
Deine Schwester Agrippina hat mein Vertrauen missbraucht, indem sie nicht nur mein Leben, sondern auch die Stabilität deiner Position in Rom ernsthaft in Gefahr gebracht hat. Nur durch die Loyalität meiner Mädchen konnte ich ihrer Intrige entkommen. Weil ich noch immer um die Sicherheit unserer Familie bangen muss, habe ich Agrippina bis zu deiner Rückkehr auf ihr Landgut verbannt. Dort wird sie von den loyalsten und unbestechlichsten Prätorianern bewacht, bis du eine endgültige Entscheidung über ihr Schicksal treffen kannst. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich dir die ganze Geschichte erzählen werde, sobald du wieder bei mir bist.

Mögen die Götter uns bis zu deiner sicheren Rückkehr zu uns beistehen.

Für immer die Deine

Aurelia

Agrippinas Verrat an Aurelia erschütterte ihn mehr, als er für möglich gehalten hatte. Er kannte den Charakter seiner Schwester. Ihr Ehrgeiz konnte sich fast mit Aurelias messen, weshalb er von seinen Schwestern ihr Verrat auch am ehesten zugetraut hatte. Aber er hatte immer vermutet, dass sie eines Tages ihm in den Rücken fallen würde und nicht seiner Frau. Dennoch nagte es an ihm, dass er über die Einzelheiten nicht im Bilde war.
Frustriert fuhr er sich durchs Haar und versuchte seine Fantasie zum Schweigen zu bringen. Aurelias Worte waren wohl überlegt und er ahnte, dass Agrippinas Verrat weitreichender war, als es in ihrem Brief anklang. Vermutlich befanden sich alle Antworten bereits in diesen wenigen Zeilen, aber er konnte sich aus ihren Worten einfach keinen Reim machen. Er nahm nur die tiefe Traurigkeit und den nagenden Schmerz wahr, denen sich in diesem Augenblick seine Frau ganz allein in Rom stellen musste. Oh, könnte er ihr diese Last doch nur schon von ihren zarten Schultern nehmen. Aber sie mussten beide ihre Pflicht erfüllen und sich als würdige Diener Roms erweisen. Erst dann würde er Julius und sie wirklich beschützen können.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt