Kapitel 69 ~ Aestus

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Zum ersten Mal war sie froh über die strengen Hochsteckfrisuren, die in der Antike in Mode waren. In ihrem Nacken löste sich eine winzige Strähne und blieb sofort an ihrer Haut haften. Seit Tagen war es beinahe unerträglich schwül und mittlerweile sehnte sie sich nach einem richtig schönen, italienischen Unwetter, welches innerhalb weniger Minuten alle Straßen unter Wasser setzte und genauso schnell wieder ohne jegliche Spuren zu hinterlassen verschwand. Danach würde die Luft wahrscheinlich wenigstens für eine kurze Zeit nur warm und nicht mehr schwül sein.
Dünstend widerstand sie dem Drang sich mit der Hand Luft zuzufächeln und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihre Lektüre. Die Bibliothek war der kühlste Raum im ganzen Palast und sie versuchte die Zeit, in der Gaius seinen Aufgaben nachging, mit Literatur zu füllen. Die Privatbibliothek des Princeps war sehr beeindruckend und am Anfang hatte sie große Schwierigkeiten gehabt sich für ein Werk zu entscheiden. Von den meisten Autoren hatte sie noch nie gehört oder ihre Schriften hatten nur als Fragmente bei anderen Schriftstellern bruchstückhaft überlebt und ein Teil der Werke war auf Griechisch. Kurz, dieser Ort war das Paradies eines jeden klassischen Philologen und sie liebte ihn aus ganzem Herzen.
Doch nicht nur die Schwüle machte ihr zu schaffen. Mittlerweile kam ihr ihr eigener Bauch gewaltig vor und sie bemerkte, wie sehr sie die Schwangerschaft beeinträchtigte. Sie war schwerfälliger, träger und brauchte mehr Schlaf.
Plötzlich hörte sie ein leises Trommeln und hob den Kopf. Fasziniert beobachtete sie die dicken Regentropfen, die wie Tränen gegen die Gläser der Fenster tropften. Abrupt prasselte der Regen heftiger gegen das Fenster und das Licht im Raum nahm rasant ab. Mit einem Seufzen legte Aurelia die Schriftrolle beiseite, erhob sich schwerfällig und verließ die Bibliothek. Mitten im Gang stand Agrippina und betrachtete stirnrunzelnd den Himmel. Still gesellte sie sich zu ihrer Freundin. Donner grollte bedrohlich und gerade als Aurelia etwas sagen wollte, fühlte sie Wasser an ihrem Bein hinablaufen. Agrippina registrierte, dass etwas anders war. Ruckartig drehte sie den Kopf und musterte Aurelia von Kopf bis Fuß.
„Das Kind kommt", murmelte sie mehr zu sich selbst und Aurelia wollte bereits etwas Ironisches erwidern, als plötzlich eine Welle des Schmerzes ihren Körper erfasste. Agrippinas Hände waren bereits zur Stelle und stützten sie. Der Schmerz ließ rasch wieder nach.
„Komm, ich bringe dich in deine Gemächer", erklärte Agrippina und zog sie mit sich. Als sie um die Ecke bogen, war eine junge Sklavin gerade damit beschäftigt, die Öllampen zu entzünden.
„Du!", rief Agrippina und das Mädchen erstarrte in der Bewegung. „Hol sofort den Arzt und die Hebamme! Lasse unverzüglich einen Boten zu meinem Bruder..."
„Nein", unterbrach Aurelia sie mit gebieterischer Stimme und deutete aus dem Fenster. „Es verlasst niemand dieses Gebäude, bis sich der Sturm gelegt hat!"
Das Mädchen nickte und machte auf dem Absatz kehrt. Agrippina murmelte etwas Unverständliches und half ihr weiter. Vor Gaius' und ihren Gemächern wartete Julia bereits auf sie. Die Abstände zwischen den Wehen wurden geringer. Keuchend klappte Aurelia auf ihrem Bett zusammen. Der Donner wurde lauter und Aurelia versuchte gleichmäßig zu atmen. Belana erschien auf der Schwelle.
„Wir können den Arzt nicht finden, Herrin", sagte sie leise. „Die Hebamme besucht heute ihre Schwester und ist noch nicht zurückgekehrt"
Julia gab ein leises Wimmern von sich und Agrippina warf ihr einen strafenden Blick zu, während Aurelia versuchte herauszufinden, was das für sie bedeutete.
„Gibt es in unserem ganzen Haus wirklich niemanden, der bereits ein Kind auf die Welt gebracht hat und mir helfen kann?", fragte Aurelia ungläubig und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Sie hasste Schmerzen und in ihrem ganzen Leben hatte sie noch nichts Vergleichbares gefühlt. Sie hatte das Gefühl, in der Mitte entzwei gerissen zu werden.
Belana verschwand aus ihrem Blickfeld und Aurelia schloss die Augen. Immer wieder sagte sie sich, dass dies nicht das Ende sei. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter und flatternd schlug sie die Augen auf. Am Rande registrierte sie, wie Julia den Raum verließ. In der Mitte des Raumes befand sich bereits ein Gebärstuhl. Agrippina drückte lächelnd ihre Schulter.
„Schau", sagte sie sanft und zeigte auf die Tür. „Sie haben eine Sklavin gefunden, die dir helfen kann"
Schwer atmend hob Aurelia den Kopf undbeobachtete die kleine Person, die sich ihre Hände in einer Schale wusch. Als die kleine Frau den Kopf hob und sie gutherzig anlächelte, wusste Aurelia, dass alles gut werden würde. Mit ruhigen Schritten kam die gute Sophia auf sie zu und strahlte eine solche Ruhe aus, dass Aurelia für einen Augenblick den Schmerz vergaß. Der Donner grollte, eine neue Wehe erfasste ihren Körper und Aurelia konnte ihren Schrei nicht mehr länger zurückhalten.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt