Ungeduldig trommelte Julia mit den Fingern auf das dunkle Holz ihres Tisches und beobachtete im Spiegel jeden Handgriff ihrer Sklavinnen. Als endlich ihre Frisur richtig gesteckt war, erhob sie sich und schickte die Sklavinnen fort. Agrippina und Drusilla, ihre beiden älteren Schwestern, würden nicht vor Mittag das Bett verlassen – wie gewöhnlich.
An der Tür wartete bereits ein großer, breitschultriger Germane, den Julias Großmutter zu ihrem Schutz eingeschleust hatte. Seit Julia ahnte, dass dieser allerdings mit Drusilla schlief, fühlte sie sich in seiner Gegenwart unwohl. Dennoch stand er jeden Morgen ohne zu murren vor ihrer Tür, um sie auf ihre Spaziergänge zu begleiten und zu beschützen. Was Drusilla an ihm fand, wusste Julia nicht. Großmutter hatte ihnen immer wieder geraten auf keinen Fall mit einem der vielen Sklaven im Haus zu sprechen, weil jeder von ihnen ein Spion sein könnte.
„Gebt ihnen Befehle, aber unterhaltet euch niemals mit ihnen!“, hatte ihre Großmutter ihnen immer wieder eingeschärft, seitdem ihre Enkelinnen ihr Stadthaus in Rom verlassen mussten. „Jeder Mensch hat seinen Preis“
Julia, die ihr Misstrauen einfach nicht beiseite schieben konnte, folgte im Gegensatz zu ihren Schwestern diesem Rat, die weniger über Dinge nachzudenken geneigt waren.
Mit einem knappen Nicken wies Julia den jungen Germanen an ihr zu folgen und marschierte die heller werdenden Gänge entlang. Sobald sie der stickigen Luft der Villa entkommen war, entspannte sie sich ein klein wenig. Sie liebte den Golf von Neapel und die Villa ihrer Familie hatte nicht nur einen wunderbaren Blick aufs Meer: Der terrassenartig angelegte Garten führte direkt hinunter zu ihrem eigenen, kleinen Strand. Dort unten konnte Julia ihren Schwestern zumindest am Morgen entkommen und einfach all die trüben Gedanken abschütteln, ihre Sorgen vergessen und das Leben genießen.
Mit jedem Schritt fühlte sie sich leichter und ihre Gedanken wurden vom seichten Wind davon getragen. Der Sand zwischen ihren Zehen war noch feucht vom Sturm der vergangenen Nacht. Tief sog Julia den Frieden in sich ein, den das beruhigende Rauschen der Brandung und das Rauschen des Windes verströmten. Weiches, warmes Sonnenlicht kribbelte auf ihrer Haut und sie spürte, wie sich auf ihr sonst so ernstes Gesicht ein Lächeln stahl. Denn auch wenn sie die Jüngste war, so waren ihre Schwestern der Inbegriff einer jungen, adligen Frau: schamlos flirtend, schamlos lachend und schamlos vergnügungssüchtig, aber vor allem schamlos. Denn auch wenn ihre Schwestern ebenfalls über eine ausgesprochen gute Bildung verfügten, blühte nur Julia in philosophischen Fragen und wunderschön gearbeiteten Versen auf. Ihr war auch als Erste aufgefallen, dass ihr Bruder in seinen Gedichten Hinweise versteckte. Seitdem vernachlässigte sie seine vor lauter Lob triefenden Briefe und enträtselte seine Verse.
Zu ihrer Rechten blitzte plötzlich etwas auf und Julia blickte sich verwirrt um. Ihr Schrei machte den Germanen auf die kleine Gestalt in der Brandung aufmerksam und gemeinsam rannten sie an die Stelle.
Das Mädchen lag auf dem Bauch, die sandigen Haare verdeckten ihr Gesicht, die Reste ihrer Tunika oder Stola, so genau konnte man leider nicht mehr erkennen, klebten an ihrem eiskalten Körper. Aber Julia konnte den Blick nicht mehr von dem Ring an ihrem schlanken Mittelfinger lösen. Den dunkelblauen Stein würde sie überall wiedererkennen: Ohne Zweifel war dies der Ring ihrer Mutter, den sie Gaius als Andenken vor ihrer Verbannung heimlich zugesteckt hatte. Drusilla hatte sich damals furchtbar darüber aufgeregt, dass Gaius diese Schmuckstück bekommen hatte. Doch erstaunlicher Weise hatte Gaius, der Drusilla nie etwas ausschlagen konnte, den Ring behalten und seitdem nicht wieder abgenommen. Dies war das Goldmädchen aus seinen letzten Gedichten. Irgendetwas musste vergangene Nacht schrecklich schief gegangen sein.
All ihre Vorsicht vergessend fragte Julia den jungen Germanen panisch, ob das Mädchen vor ihnen tot sei. Überrascht musterte der Sklave sie, dann drehte er das Mädchen auf die Seite und machte irgendwas mit ihrem Kopf. Erst langsam, dann prustend strömte Wasser aus ihrem Mund. Zittrig atmete sie ein. Ihre Lider zuckten, doch ihre Augen blieben geschlossen. Trotz ihrer unnatürlichen Blässe war sie ohne Frage das schönste weibliche Wesen, das Julia je gesehen hatte. Kein Wunder, dass Gaius Himmel und Hades in Bewegung setzte, um ihr zu helfen.
„Herrin?“, fragte der Germane unsicher und seine samtige Stimme traf sie bis ins Mark. Blinzelnd riss sich Julia von der Gestrandeten los und blickte in seine waldgrünen Augen, die von goldenen Sprenkeln durchzogen waren. Seine Augen hatte Julia noch nie registriert, doch sie waren atemberaubend. Mit einem Mal konnte sie Drusilla fast verstehen. Julia zwang sich zu schlucken, dann erlaubte sie ihm mit einem knappen Nicken zu sprechen.
„Herrin, was habt Ihr mit ihr vor?“, wollte er wissen und Julia seufzte. Wenn sie sie hier einfach dem Schicksal überließe, würde Gaius ihr das vermutlich nie verzeihen.
„Schaff sie ins Haus und bring sie in eines der großen Gästezimmer. Danach geh und hol einen Medicus“, befahl sie. Dann sprang sie auf und lief schon mal vor. Nun würde die unsägliche Aufgabe auf sie fallen ihre Schwestern vorzeitig zu wecken. Warum musste ihr Leben nur so kompliziert sein? Manchmal wünschte sie sich nichts mehr als einfach nur ein ganz normales Mädchen aus einer ganz normalen Familie zu sein.Während Julia durch die ganze Villa eilte, den Sklaven Befehle erteilte und immer wieder nach der Gestrandeten sah, lagen Drusilla und Agrippina gemütlich, aber verschlafen, beim Frühstück. Grummelnd betrat Julia das Trinclinium, legte sich dazu und nahm sich einen Apfel. Sie hatte nun wirklich alles getan, was in ihrer Macht stand.
„Sollte Gaius‘ kleines Geheimnis nicht erst morgen eintreffen?“, fragte Drusilla misslaunig und Julia verdrehte schweigend die Augen. Als ob das Mädchen mit Absicht den Plan verändert hätte. Während ihre beiden älteren Schwestern sie anstarrten, biss Julia trotzig in den Apfel.
„Wie geht es ihr?“, fragte Agrippina zaghaft und wegen ihres vollen Mundes zuckte Julia nur die Achseln. Hastig schluckte sie den Bissen hinunter und antwortete, der Medicus wäre noch bei ihr. Die Schwestern wechselten unbehagliche Blicke, doch dann kamen ein paar Sklaven herbei und brachten weitere Speisen. Dankbar über diese Ablenkung wechselten sie das Thema und frühstückten.
Irgendwann fiel Drusilla ein, dass sie Gaius Bescheid geben müssten. Julia nickte, doch Agrippina war der Ansicht, dass sie zunächst den Plan ändern sollten. Leise überlegten sie und als sie fertig waren, setzten sie eilig einen Brief an ihren Bruder auf. Mögen die Götter ihnen beistehen und das Mädchen vor der Unterwelt bewahren. Sonst wären die drei Schwestern in ernsthaften Schwierigkeiten.
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Aurelia
Historische RomaneIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...