Kapitel 24 ~ Das Lächeln der Götter

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Mit erhobenem Haupt und einem gewinnenden Lächeln betrat Gaius das vertraute Triclinium. Das Abendessen seiner Großmutter war bei seiner Ankunft schon in vollem Gange, ganz wie er beabsichtigt hatte. Ihr Gesicht hatte sich in all den Jahren der Trennung kaum verändert und leuchtete vor Freude, als sie ihn entdeckte. Aufgeregt rannte sie auf ihn zu und nahm sein Gesicht in beide Hände.
„Mein Junge, du siehst aus wie ein richtiger Princeps!“, sagte sie ehrfürchtig und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Gaius wischte ihr eine Träne von der Wange und ermahnte sie scherzhaft, ob sie ihn von nun an immer wie den letzten Überlebenden einer großen Schlacht begrüßen würde. Seine Großmutter lachte gelöst auf und führte ihn zu ihrer Liege. Überrascht registrierte er die Anwesenheit seines Freundes Vespasians und dessen Onkel, Aurelia war nicht bei ihnen. Rasch versuchte er seine Enttäuschung über ihre Abwesenheit zu verbergen. Die Lippen seiner Großmutter verzogen sich zu einem wissenden Lächeln. Fragend suchte er ihren Blick und nahm aus dem Augenwinkel goldenes Haar wahr. Dort lag sie bei einem Senator und heuchelte Interesse für dessen Geschwafel. Wie hieß er noch gleich? Ach ja, Quintus Caecilius Metellus. Dessen Schwester Junia war mit Gaius‘ Bruder verlobt gewesen. Nero hatte sich oft beschwert, wie fad sie aussah. Im Vergleich zu ihrem Bruder war Junia allerdings eine Sirene. Warum lag er bei Aurelia?
Unauffällig beobachtete Gaius die schöne Frau mit den göttlich goldenen Haaren, die so tat, als wäre er gar nicht da. Belustigt registrierte er Aurelias immer weiter schwindende Geduld. Doch dann fiel ihm ein, wie oft er schon solch unangenehme Menschen hatte unterhalten müssen und erkannte die selbe Einsamkeit in ihren Augen, die auch er in solchen Momenten verspürt hatte. Gerade als er intervenieren wollte, trat die Sekretärin seiner Großmutter zu ihr und füllte unaufgefordert ihren Kelch auf. Aurelia schenkte ihr ein wunderschönes Lächeln. Sie wirkte wie eine Göttin, der man gerade ein Opfer zur Besänftigung ihres Zorns dargebracht hatte: nicht mehr rasend, aber immer noch zornig.
„Danke, Caenis“, sagte sie und schlagartig verstummten alle Gespräche. Selbst Metellus hörte auf über sich selbst zu sprechen und starrte die junge Frau überrascht an. Die nahm jedoch seelenruhig einen tiefen Schluck Wein.
„Warum bedankt Ihr Euch bei einer einfachen Sklavin?“, stieß Quintus Metellus entsetzt hervor. Aurelia warf ihm einen überraschten Blick zu. Gaius erkannte das vertraute Funkeln in ihren Augen und lehnte sich erwartungsvoll zurück. Egal was jetzt kommen würde, es wäre zutiefst amüsant.
„Seit wann ist eine Sekretärin der Großmutter unseres Princeps eine einfache Sklavin?“, konterte Aurelia spitz und leerte ihren Kelch. Sofort wurde er von Caenis gefüllt. Beim Einschenken fielen ihr die langen, schwarzen Haare wie ein Schleier vors Gesicht. Doch Gaius erkannte aus Aurelias breiter werdenden Lächeln Caenis‘ stumme Zustimmung, während Quintus Metellus anfing Aurelia über die gesellschaftliche Stellung von Sklaven zu belehren. Als er endlich Luft holte, war bereits Aurelias dritter Becher leer.
„Ihr solltet aufhören so viel zu trinken!“, schnauzte er sie an und Aurelia hob herausfordernd den Kelch an ihre Lippen.
„Und warum sollte ich auf Euch hören, Senator?“, fragte sie grinsend. Quintus Metellus lief rot an und wand sich hilfesuchend an Antonia. Diese befand sich plötzlich in einem angeregten Gespräch über die Sabinerberge mit Vespaisus und Vespasian. So blieb der Blick des Metelli an ihm hängen. Gaius blickte ihn erwartungsvoll an und prostete ihm anzüglich grinsend mit seinem eigenen Glaskelch zu. Finster musterte Quintus Metellus Aurelia. Plötzlich beugte er sich über sie und flüsterte ihr etwas zu. Siegesgewiss lehnte er sich zurück und grinste Aurelia unverschämt an. Kurz schwieg sie perplex, dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte. Ihr überirdisches Lachen wärmte sein Herz. Für einen Wimpernschlag glaubte Gaius, sie habe ihm kurz zugezwinkert. Quintus Metellus wurde noch röter.
„Ich lasse mich nicht verhönen von einer Frau, die den Großteil ihres Leben unter Wilden verbracht hat“, stieß er wütend hervor. Erneut senkte sich erwartungsvolle Stille über den ganzen Saal. Aurelias Augen wurden kalt.
„Lieber ein Leben unter Wilden als mit einem ungehobelten und unkultiviertem Mann wie Euch, Quintus Caecilius Metellus! Selbst wenn Euer Charakter auch nur annähernd so edel wäre wie der Eurer Vorväter, so seid Ihr dennoch zu alt für mich. Euch werde ich niemals heiraten“, sagte sie kühl. Beleidigt sprang der Senator auf und verließ tobend vor Wut das Fest. Vespasian und Caenis wechselten einen kurzen Blick, während Aurelia erleichtert die Augen schloss. Stolz betrachtete Gaius das schöne Mädchen. Sie hatte also ebenfalls eine dunkle Seite.
„Du hättest nicht so mit ihm reden dürfen, Aurelia“, tadelte Vespasius leise und verdutzt schlug Aurelia die Augen wieder auf. „Er ist…“
„Er ist was?“, unterbrach sie ihn aufgebracht und funkelte ihren Adopivvater wütend an.
„Du bist nicht mehr in Germanien, meine Liebe“, erwiderte Vespasius beschwichtigend. „Hier kannst du mit einem Mann wie ihm einfach nicht so reden“
Hilfesuchend blickte Aurelia zu Vespasian, doch der wich ihrem Blick aus. Wenn sie Gaius jetzt ansehen würde, würde er sie sofort unterstützen. Aber sie ignorierte ihn immer noch.
„Ich brauche frische Luft“, sagte Aurelia entschuldigend zu seiner Großmutter, die verständnisvoll nickte. Aufgebracht stand Aurelia auf und verließ eilig den Raum. Kaum war die Tür hinter ihr geschlossen, drehte sich seine Großmutter zu ihm.
„Was für ein interessantes Mädchen“, sagte sie fasziniert und Vespasius wechselte schnell das Thema. Erneut warfen sich Vespasian und Caenis einen raschen Blick zu, dann verließ die junge Sklavin den Saal. Unauffällig nickte er Gaius zu. Betont unbekümmert wartete Gaius auf ihre Rückkehr. Nach einer Ewigkeit öffneten sich die schweren Holztüren und eine ernst dreinblickende Aurelia betrat den Raum gefolgt von Caenis, die einen neuen Krug Wein im Arm trug.
Mit fester Stimme entschuldigte sie sich bei seiner Großmutter und bat dann ihren Adoptivvater nach Hause zurückkehren zu dürfen.
„Aber, Gaius“, tadelte seine Großmutter überrascht Aurelias Adoptivvater und beinahe wäre Gaius zusammengezuckt in dem Glauben, sie spräche mit ihm. Sanft wandte sich seine Großmutter an das verunsicherte Mädchen, deren Wangen sich äußerst reizend röteten. „Um diese späte Stunde lass ich Euch doch nicht fort, meine Liebe. Ihr übernachtet natürlich bei mir und morgen machen wir uns zusammen auf den Weg zu den Spielen“
Vespasian warf Caenis unauffällig einen schelmischen Blick zu. Aurelia bedankte sich rasch und nahm wieder auf ihrer Liege Platz. Nun hatte sie diese ganz für sich und konnte sich besser mit seiner Großmutter unterhalten, welche sie sofort geschickt in ein entspanntes Gespräch verwickelte. 
Währenddessen nutzte Gaius seine Zeit, um mit Vespasian in Erinnerungen zu schwelgen. Plötzlich erinnerte er sich, dass sein Freund wie er selbst immer noch unverheiratet war. Ob Vespasian trotz seiner Liebe zu Caenis Aurelia wegen ihres Erbes heiraten würde? Ob er Caenis für sie aufgeben würde? Ob sie mit ihm glücklich werden würde? Vor seinen Augen tauchte das Bild auf: die wunderschöne Aurelia mit einer kleinen Ausgabe von Vespasian auf dem Schoß, der ihr aufgeregt etwas erzählte und dabei wild mit den kleinen Ärmchen gestikulierte, während der erwachsene Vespasian glücklich gegen den Türrahmen gelehnt seine Familie betrachtete. Warum bereitete ihm diese Vorstellung so großen Schmerz?
Als Aurelia ein Gähnen nur schwer unterdrücken konnte, rief seine Großmutter nach Caenis.
„Geleite Aurelia bitte auf ihr Zimmer und hilf ihr sich für die Nacht fertig zu machen“, befahl seine Großmutter. Elegant erhob sich Aurelia und wünschte allen eine gute Nacht. Zum ersten Mal an diesem Abend blieb ihr Blick an ihm hängen und der Schmerz in ihren Augen brachte ihn fast um. Was wusste sie nur über ihn, dass es sie so verletzte?
Ungeduldig wartete er eine angemessene Zeit lang, dann entschuldigte er sich hastig und machte sich auf die Suche nach ihr. Aus einem der Gästezimmer fiel der Schein einer Öllampe unter der Tür auf den Flur. Gaius nahm all seinen Mut zusammen und klopfte leise gegen das alte Holz. Mit einem leisen Krächzen bewegte sich die Tür und sie stand vor ihm. Verwirrt blickte sie zu ihm auf.
„Ignorier mich nie wieder“, flüsterte er heiser und bevor sie ihn wegschicken konnte, griff er wie ein Ertrinkender nach ihr, zog sie zu sich heran und legte sanft seinen Mund auf ihre zarten Lippen, die ihn schon den ganzen Abend gelockt hatten. Nach kurzem Zögern erwiderte sie seinen Kuss und vergrub ihre feingliedrigen Finger in seinen Haaren. Verzweifelt versuchte er das Chaos, welches in seinem tiefsten Inneren tobte, in diesen einen Kuss zu legen, damit sie ihn verstand. Um Atem ringend löste sie sich nach einer Ewigkeit von ihm und blinzelte ihn an. Behutsam berührte er ihre Stirn mit der seinen.
„Gaius“, flüsterte sie sanft und ihre Stimme versagte. Wieder tauchte dieser Ausdruck in ihren Augen auf. Behutsam nahm er ihr Gesicht in seine Hände.
„Du weißt, dass ich dir niemals wehtun könnte, Aurelia. Warum hast du nur solche Angst vor mir?“, fragte er leise. Bekümmert erwiderte sie seinen Blick. Aurelia stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn erneut. Berauscht verlor Gaius jeglichen Halt und schob sie weiter ins Zimmer. Krachend fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Hastig ließen sie sich aufs Bett fallen. Ihre Hände erforschten seinen Körper. Plötzlich wich sie ein Stück von ihm ab und blickte ihn ernst an.
„Ich habe keine Angst vor dir“, hauchte sie. „Ich habe Angst um dich. Ich habe Angst dich zu verlieren“
„Du wirst mich nicht verlieren“, versprach er und wollte sie erneut küssen, doch sie hielt ihn mit der Hand auf Abstand.
„Was, wenn wir die Geschichte nicht verändern können? Immerhin liegen zwischen dort und hier fast zweitausend Jahre. Was ist, wenn ich einfach nur mit der Zeit vergessen worden bin? Oder noch schlimmer, wenn ich der Auslöser bin, um alles in Gang zu setzen?“
Mit jedem Wort wurde sie immer aufgewühlter und voller Entsetzen sah sie ihn an. Plötzlich begann sie zu weinen. Hilflos nahm er sie in den Arm und flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr. Irgendwann versiegte der Strom ihrer Tränen und sie hob müde den Kopf. Zärtlich lächelte er sie an.
„Vielleicht hast du meine Zukunft bereits verändert, indem du in meine Zeit gestolpert bist“, flüsterte er und sie nickte nachdenklich.
„Vielleicht hast du recht“, murmelte sie. Müde vergrub sie den Kopf an seiner Schulter und schlief ein. Vorsichtig löschte er die Lampe. Lange lag er neben ihr wach und überlegte, ob sie eine Zukunft haben würden und wie diese aussehen könnte. Mit einem anderen Mann teilen konnte er nicht, doch ob sie seine Frau werden wollte oder nur seine Geliebte, wusste er nicht. Er wusste nur, dass er ohne sie leer war. Im Zimmer war es so dunkel, dass er sie nicht sehen konnte. Doch ihr regelmäßiger Atmen, ihre köstliche Wärme und die vertrauten Konturen ihres Körpers beruhigten ihn. Er konnte sich einfach nicht von ihr fernhalten. Im Schlaf kuschelte sie sich näher an ihn heran. Mit ihr in seinen Armen schlief er schließlich friedlich ein. Mögen die Götter ihnen beistehen.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt