Kapitel 74 ~ Succedanea

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Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, trafen sich ihre Blicke. Aurelia sah aus, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zu machen können. Verschlafen legte er den Kopf schief und versuchte aus ihrer Miene schlau zu werden.
„Es gibt etwas, was ich dir erzählen muss", sagte sie und er war schlagartig wach. Ruckartig setzte er sich kerzengerade auf und schaute erwartungsvoll auf sie herab. Langsam richtete sie sich auf und legte ihre Hand sanft auf seiner Schulter ab. Klar und gefasst berichtete sie ihm von der gescheiterten Invasion Britanniens, von der sie in ihrer ursprünglichen Zeit gelesen hatte. Nachdenklich rieb er sich das Kinn und ignorierte das Kratzen seiner Stoppeln. Er musste sich heute Morgen unbedingt rasieren lassen.
„Wirst du mir helfen diese Fehler zu verhindern?", fragte er nach einer Weile und sie legte lächelnd ihr Kinn auf seiner Schulter ab.
„Mit dem größten Vergnügen", wisperte sie und küsste ihn zart auf die Wange. Tadelnd blickte sie ihm in die Augen und meinte belustigt: „Lass dich rasieren, sonst wirst du noch zum Barbaren"
„Bin ich nicht bereits mit einer Barbarin verheiratet?", stöhnte er, ließ sich theatralisch zurück in die Kissen fallen und ignorierte sie gekonnt. Ihr Kissen verfehlte ihn nur knapp. Seine Frau war wirklich eine miserable Werferin – vor allem, wenn sie sauer war. Gerade als sie beleidigt aufstehen wollte, schoss er auf, bekam sie an der Taille zu fassen und zog sie mit sich zurück auf das Bett. Erbarmungslos begann er sie an ihren empfindlichen Stellen zu kitzeln und ihr wunderschönes Lachen erfüllte den Raum. Es dauerte nicht lange und sie bettelte japsend um Gnade. Mit einer fließenden Bewegung rollte er sich auf sie und hielt sie mit seinem Körper unter sich gefangen. Atemlos blinzelte sie zu ihm auf.
„Unterwirfst du dich der Macht Roms, Barbarin?", neckte er sie spielerisch und warf ihr einen strengen Blick zu, der nicht zu seinem Grinsen passte. Ihre Augen wurden dunkel vor Verlangen und instinktiv drängte sich ihr Körper dem Seinen entgegen.
„Rom – niemals, dir – vielleicht", provozierte sie ihn herausfordernd und seine Kehle wurde schlagartig trocken. Verführerisch raunte sie: „Überzeuge mich, Römer"
Plötzlich erstarrte sie und lauschte angestrengt. Schlagartig ernst folgte er ihrem Beispiel und erkannte anhand des Klangs der sich nähernden Schritte, dass es sich um einen Prätorianer handeln musste. Nur zwei Prätorianer waren befugt, ohne seine Erlaubnis diese Gemächer zu betreten – seine Präfekten Clemens und Suetonius. Letzterer hatte die Nachtwache übernommen und war vermutlich vor ungefähr einer Stunde von Clemens abgelöst worden. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, befahl Gaius knurrend: „Nicht jetzt, Clemens"
So leise, dass nur sie es hören konnte, fügte er wispernd hinzu: „Ich befinde mich gerade in einer sehr wichtigen Verhandlung über die Zukunft Roms mit der atemberaubend schönen Tochter des Anführers eines germanischen Stammes, die ich zu unterwerfen gedenke"
Eilig entfernten sich die Schritte des Prätorianerpräfekten. Vor Belustigung blitzten ihre Augen auf.
„Manchmal bist du ganz schön verrückt", zog sie ihn lachend auf, dann presste sie fordernd ihre Lippen auf seinen Mund und er vergaß, wer wen zu unterwerfen versuchte.

Fasziniert beobachtete er mit welchem Eifer Aurelia sich an der Planung beteiligte. Stundenlang versuchte sie aus dem Gedächtnis Karten von Britannien zu zeichnen oder ihm alles zu erzählen, was sie über die Insel und ihre Bewohner wusste. Aber sie half ihm nicht nur bei der Planung. Mit unerbittlichem Ehrgeiz dehnte sie nicht nur seine, sondern auch ihre eigenen Trainingseinheiten mit Clemens und Suetonius aus. Manchmal kämpften sie gegeneinander und langsam hörte er auf sich um sie zu sorgen. Jetzt schon hatte er Mitleid mit dem Idioten, der es wagen würde ihr in die Quere zu kommen. Sie war ihm beinahe ebenbürtig – und das obwohl er sich im Gegensatz zu ihr mit der Kampkunst bereits sein ganzes Leben lang beschäftigte.
Besonders lange diskutierten sie, welche Legionen sie für die Invasion von ihren eigentlichen Standorten abziehen konnten und wer sie befehligen sollte. Schließlich einigten sie sich auf die II Augusta, IX Hispania, XIV Gemina und die XX Valeria Victrix. Die ersten beiden würden Vespasian, der das Imperium über die II Augusta bereits innehatte und sein Bruder Sabinus befehligen. Die anderen Entscheidungen fielen ihnen nicht leicht, denn Aurelia war dafür Gnaeus Domitius Corbulo und Aulus Plautius ebenfalls mit dem Feldzug zu betrauen, aber Gaius wollte seinen Onkel Claudius ebenfalls die Möglichkeit geben militärischen Ruhm zu erringen. Schließlich einigten sie sich darauf, Corbulo als Reserve in Rom zu behalten und wenn er ihn brauchte oder Onkel Claudius seiner Aufgabe nicht gerecht werden konnte, würde Gaius nach ihm schicken.
Nachdem dies geklärt war, schickte Aurelia einen verschlüsselten Brief an Vespasian. Als er sie nach dem Inhalt fragte, lächelte sie ihn nur geheimnisvoll an und meinte, dass Vespasian eine kleine Aufgabe zu erledigen habe, bevor der Feldzug beginnen konnte. Obwohl sie ihn verwirrte, bohrte Gaius nicht weiter nach. Vermutlich hatte sie ihren Vetter nur gebeten weitere Hilfstruppen auszuheben.
Als offizielles Datum des Abmarschs aus Rom legte er den 16. März des nächsten Jahres fest. Aurelia schaute ihn nachdenklich an, widersprach aber nicht. Denn so würde er noch einige kostbare Monate erhalten, in denen er vor seiner Überfahrt nach Britannien noch weitere Truppen in Gallien ausheben und die Soldaten vor Ort auf die ersten Schlachten vorbereiten konnte. Außerdem erhoffte er sich die von Aurelia erwähnte Meuterei zu verhindern, indem er den Sommer zur Überfahrt wählte, wenn die Meere für gewöhnlich sanfter waren. Der Erfolg eines jeden Feldzuges lag in der genauen Planung. Die richtige Strategie führte nicht nur zum Sieg, sondern rettete Leben. Das hatte Vater ihn gelehrt.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt