Kapitel 45 ~ Bittsteller

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Aurelia war nun schon seit Stunden fort und Gaius' Gedanken streiften immer wieder zu ihr ab. Immer wieder musste er sich zwingen den Senatoren zuzuhören. Anscheinend hatte sein Senat mal wieder nichts besseres zu tun als über die Vergöttlichung seiner Vorgänger zu debattieren und dabei Gaius gehörig Honig um den Mund zu schmieren. Wie ihn diese Schleimer anwiderten. Gab es in diesem Staat nichts Wichtigeres zu besprechen? In solchen Momenten war er sehr dankbar für seine schauspielerischen Fähigkeiten, die er durch das harte Training bei seiner Mutter und bei Tiberius auf Capri erworben hatte. Keine Faser seines Körpers verriet seine Ruhelosigkeit im Inneren.
Plötzlich änderte einer der Senatoren seine Haltung - soweit Gaius wusste, hieß er Marcus Fabius und hatte es bisher irgendwie bis zum Adil geschafft - doch Gaius zweifelte stark daran, dass Fabius das Zeug hatte noch weiter innerhalb der Senatoren aufzusteigen. Seine Stimme war so hoch, dass man bei seinen Reden auf Dauer Kopfschmerzen bekam. Fabius' Blick huschte nervös so indiskret zu Macro, der auf seinem Posten schräg neben Gaius stand. Gaius verbiss sich ein amüsierten Lächeln, als der Senator schwer schluckte und sich dezent räusperte.
Wollen wir mal sehen, was Macro dieses Mal ausgeheckt hat, dachte sich Gaius interessiert und fixierte den Jüngsten der Senatoren, der über zehn Jahre älter war als er selbst. Fabius räusperte sich erneut, dieses Mal lauter.
„Möchtet Ihr einen Schluck trinken, Fabius?", erkundigte sich Gaius unschuldig und hob die Hand, um einen seiner am Rand wartenden Sklaven das entsprechende Zeichen zu geben. Doch Senator Fabius verneinte sofort.
„Ich möchte gern etwas sagen", gab er zu und Gaius lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück. Sofort lag ein höfliches Lächeln auf seinen Lippen, als er wissen wollte, ob sich der junge Senator etwa bisher von ihrer Unterhaltung ausgeschlossen gefühlt habe. Fabius schluckte erneut hart und konnte es sich im letzten Moment verkneifen Macro hilfesuchend anzublicken. Plötzlich ging ein Ruck durch den Körper des Senators und seine ganze Erscheinung wurde so würdevoll, wie es ihm möglich war.
„Heute stehe ich als Vertreter des Senates und des römischen Volkes vor Euch, Princeps", piepste Fabius und verlor augenblicklich jegliche Würde. „Ich wurde ausgewählt, um Euch den Wunsch ganz Roms vorzutragen: Beim Fest der Bona Dea soll niemand anderes als Eure Frau, wie es den Sitten unserer Ahnen entspricht, ihren Platz als Hohepriesterin einnehmen und die anderen Frauen durch die heiligen Riten der Bona Dea führen, die noch nie ein Mann zu Gesicht bekam"
Während Fabius begann über die große Beliebtheit Aurelias und ihre herausragende Stellung unter den anderen Ehefrauen zu betonen, tippte sich Gaius nachdenklich mit dem Finger gegen die Lippe. Das Fest der Bona Dea würde in etwas mehr als einem Monat stattfinden und weil er diesem Kult in seiner Funktion als pontifex maximus nicht vorstand, hatte er ihn bis eben nicht für wichtig gehalten.
Im Gegensatz zu Vesta gehörte die Bona Dea allen römischen Frauen, die ihre Geheimnisse seit jeher treu bewahrten. Diese Göttin, ihr Tempel und ihre Verehrung waren für ihn immer ein Rätsel gewesen. Doch anders als Clodius Pulcher hatte er niemals den Drang verspürt mehr darüber herausfinden zu wollen. Das mysteriöse Fest der Bona Dea fand immer in der Nacht vom dritten auf den vierten Dezember statt. In der Zeit der Republik war es üblich gewesen, dass die Frau des ersten Konsuls die anderen Jüngerinnen (die Ehefrauen der einflussreichsten Männer) zum Fest der Bona Dea zu sich nach Hause einlud und dort die geheimen Rituale leitete. In dieser Nacht durfte kein Mann sich in diesem Haus befinden - auch wenn er noch so jung war. Seit Augustus war nur noch wichtig, dass der Mann der Hohepriesterin (oder wie man sie in diesem Kult auch immer nannte) über das imperium verfügte. Somit war neben den Häusern der Konsulen und Prätoren auch immer der Palast des Princeps eine Option zur Veranstaltung des Festes.
Im Grunde faszinierte ihn die Möglichkeit Aurelia jetzt schon an die Spitze des Bona-Dea-Kultes zu stellen, doch hatte er keinen Schimmer, wie viel sie in der knappen Zeit zu erlernen hatte. Er wusste, wie sehr das Volk sich von seinem Glauben leiten ließ. Wenn nicht nur er, sondern auch Aurelia an der Spitze der religiösen Kulte stehen würde, konnten sie diese inszenierte Pietas für sich nutzen. Doch wenn Aurelia während der geheimen Rituale ein Fehler beging, würde sie ihre Beliebtheit mit einem Schlag verlieren. Wer würde auch eine Frau verehren, die den Zorn der Götter auf das römische Volk heraufbeschworen hatte? Selbst wenn sie fehlerfrei beten (oder was auch immer von ihr gefordert sei) würde und im kommenden Jahr sich irgendein Unglück ereignen würde, könnte man Aurelia aufgrund ihrer Zeit in Germanien als von den Göttern verflucht denunzieren.
So oder so waren sie mal wieder in der Lage alles zu gewinnen oder zu verlieren. Gaius nickte Fabius leicht zu und versicherte, dass er über den Vorschlag nachdenken werde. Dann fragte er schnell, wann die nächste Getreidelieferung eintreffen würde und sofort wandten sich alle dem für das Volk doch relevanteren Thema zu.
Kaum war die Sitzung beendet, machte sich Gaius auf die Suche nach seinen Schwestern. Jede von ihnen hatte bereits einige Male an dem Fest der Bona Dea teilgenommen und auch wenn sie niemals die Zeremonie geleitet hatten, so würden sie ihm immerhin sagen können, ob ein Monat ausreichen würde alles zu lernen. Im Peristyl fand er sie schließlich alle beisammen sitzen. Die Tatsache, dass Aurelia noch nicht bei ihnen war, versetze ihm einen kleinen Stich ins Herz. Macro folgte ihm wie ein Schatten. Warum hatte er auch Clemens mit Aurelia gehen lassen? Im nächsten Moment schalt er sich für seine Verärgerung über Macros Anwesenheit. Clemens musste mit Aurelia gehen, damit Macro keinen Verdacht schöpfte. Außerdem gab es keinen anderen Prätorianeroffizier, dem sie so vertrauen konnten wie Clemens. Gaius musste einfach aufpassen, was er zu seinen Schwestern sagte. Mal wieder.
Mit einem strahlenden Lächeln setzte er sich zwischen Julia und Agrippina. Drusilla verbiss sich einen ihrer spöttischen Sprüche und sie begannen zwanglos zu plaudern. Nach einer Weile erklärte Agrippina, sie sei müde und bat Gaius sie auf ihre Gemächer zu begleiten. Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich und bot ihr lächelnd seinen Arm an. Ein paar Mal erkundigte er sich, ganz der besorgte große Bruder, wie es ihr gehe. Doch Agrippina winkte nur verächtlich ab. Sie liefen so nah beieinander, dass sie ihre Stimmen senken konnten, ohne dass es für Macro verdächtig erscheinen konnte.
Auf halbem Weg fragte Agrippina besorgt: „Was ist mit dir, Gaius? Irgendetwas macht dir zu schaffen, lass mich dir helfen"
Für einen Augenblick ließ er seine Maske fallen und fuhr sich frustriert durch die Haare. Mitfühlend verstärkte Agrippina kurz den Druck ihrer Hand auf seinem Arm, dann erklärte er ihr knapp Senator Fabius' Bitte des Senats und des römischen Volkes.
Über Agrippinas Gesicht huschte ein dunkler Schatten.
„Du kannst diese Bitte unmöglich abweisen, Bruder", meinte sie eindringlich und Gaius nickte leicht. So weit war er bereits. „Avia war sehr überrascht, wie schnell Aurelia gelernt hatte sich in ihrer Rolle als deine Frau zurecht zu finden. Ihr Verstand ist schärfer als jedes Schwert. Aber vor allem liebt sie dich aus ganzem Herzen. Ihre Liebe für dich treibt sie voran und aus diesem Grund wird sie auch an dieser kleinen Hürde nicht scheitern"
Mittlerweile hatten sie die Tür zu Agrippinas Gemächern erreicht. Lächelnd löste sich Agrippina von ihm.
„Danke, dass du mich begleitet hast, Bruder", sagte sie und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann verschwand sie in ihrer eigenen, kleinen Welt, zu der Gaius vor Jahren den Zugang verloren hatte.
Ohne Umwege marschierte Gaius zu seinen eigenen Gemächern. Vollkommen gelassen wandte er sich an der Tür zu Macro um und wies ihn an, dass er auf keinen Fall gestört werden wollte.
„Was ist mit Eurer Frau, Princeps?", warf Macro ein und Gaius zog fragend die Augenbraue nach oben. „Ihr teilt Euch die Gemächer. Soll ich auch ihr den Zugang verwehren?"
„Lasst niemanden abgesehen von ihr herein", konkretisierte Gaius seinen vorherigen Befehl, dann schlüpfte er durch die Tür, schnappte sich Ciceros De officiis aus dem Regal und vergrub sich in der Eleganz und Wortgewandtheit dieses Mannes.
Erst als die Dämmerung langsam über seiner Stadt hereinbrach, wurde die Tür zu seinen Gemächern geöffnet und Gaius tauchte aus Ciceros Gedankenwelt auf. Erwartungsvoll hob er den Kopf und sein Blick begegnete den wunderschönen Augen seiner Frau. Sie sah erschöpft aus. Achtlos legte Gaius die Schriftrolle beiseite und erhob sich.
„Und?", fragte er beherrscht und Aurelias Lippen verzogen sich zu einem strahlenden Lächeln.
„Wir haben ihn", erwiderte sie ruhig und warf sich ihm in die Arme. „Mit deiner Großmutter haben wir einen Plan ausgearbeitet. Wir werden es schaffen. Bald wird die Falle zuschnappen. Wir konnten uns bisher nur nicht darauf einigen, an welchem Tag unser Plan umgesetzt werden kann"
Erleichtert zog er sie an sich und vergrub das Gesicht in ihren weichen Haaren. Müde gestand er, dass dies die ersten wirklich guten Nachrichten waren, die ihm heute zu Ohren gekommen sind. Sanft schob Aurelia ihn ein Stück von sich und musterte ihn besorgt. Leise erkundigte sie sich, was ihn beschäftigen würde. Gaius drückte ihr einen leichten Kuss auf die Stirn.
„Nichts wofür wir nicht zusammen eine Lösung finden werden", antwortete er und Aurelia wechselte das Thema. Anscheinend vermisste sie etwas aus ihrer Zeit, was sich duschen nannte. Auf Gaius' Gesicht erschien ein spitzbübisches Grinsen, als er ihre Hand nahm und sie in eines der Zimmer führte, welches er ihr aus Zeitgründen bisher noch nicht zeigen konnte.
Der Raum war im Vergleich zum Rest der Gemächer winzig und auf Wunsch von Augustus äußerst diskret ausgestattet worden. Im Grunde bestand er nur aus einem dieser damals neumodischen (und stark verpönten) Duschbädern, von denen Aurelia ihm gerade vorgeschwärmt hatte. Anscheinend würde sich dieser Trend langfristig doch durchsetzen. Tiberius hatte Duschbäder verabscheut und so war es ein kleines Wunder, dass dieser Raum überhaupt noch existierte.
Aufgeregt betätigte Gaius den Hebel und warmes Wasser fiel wie Regentropfen von der Decke. Aurelias Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und das Wasser trommelte melodisch auf ihre Haut. Mit einem verschwörerischen Lächeln wandte sie sich halb zu ihm um.
„In meiner Zeit gibt es eine Redewendung", meinte sie. „Save water - shower together"
Bevor Gaius um eine Übersetzung bitten konnte, zog ihn Aurelia mit sich unter das prasselnde Wasser des Duschbades.

Fasziniert beobachtete Gaius, wie sich Aurelias Haare langsam veränderten. Im nassen Zustand erschienen sie dunkler, doch mit der Zeit brachen einzelne goldene Strähnen hervor. Für ihn war diese Frau kein Mysterium wie im vergangenen Winter. Auf der ganzen Welt gab es keinen anderen Menschen, der ihn so gut kannte wie sie und trotzdem entdeckte er jeden Tag etwas Neues an ihr, weshalb er sie ein kleines bisschen mehr liebte als am Tag zuvor.
Gedankenverloren zwirbelte er eine der trockenen Haarsträhnen zwischen seinen Fingern. Plötzlich schlug Aurelia die Augen auf und erwiderte forschend seinen Blick.
„Was ist heute passiert?", fragte sie leise und Gaius fuhr sich mit der freien Hand durch sein eigenes Haar.
„Der Senat hat darum gebeten, dass du den Vorsitz des diesjährigen Bona-Dea-Festes übernimmst", gestand er und ließ ihre Haare los. Überrascht riss sie die Augen auf, dann nahm ihr Gesicht einen ernsten Ausdruck an.
„Ist das nicht dieser exklusive Frauenkult?", wollte sie wissen und Gaius nickte stumm.
„Gab es da nicht diesen riesigen Skandal um Clodius Pulcher, weil er sich als Frau verkleidet Zugang zu diesem Fest erschlichen hatte?", fiel ihr ein und Gaius nickte wieder. Vielleicht wusste sie aus ihrer eigenen Zeit mehr über die geheimen Riten als er. Doch als er sie danach fragte, verneinte sie betrübt. Es wäre auch zu schön gewesen. Aurelia verfiel in tiefes Schweigen und begann geistesabwesend Muster auf seine nackte Brust zu zeichnen. Gaius schloss genießend die Augen und versuchte sie nicht beim Nachdenken zu stören.
„Wenn ich ablehne, werden sie uns das nie verzeihen", flüsterte sie und Gaius öffnete gequält die Augen.
„Ich kann dir dabei nicht helfen", warf er ein und Aurelia verdrehte die Augen. Manchmal vergaß er, dass er sie nicht immer vor allem beschützen musste. Plötzlich funkelten ihre Augen auf.
„Das ist es!", rief sie aus und setzte sich ruckartig auf. Verwirrt blinzelte Gaius zu ihr auf.
„In unseren Plänen hat immer eine Ablenkung gefehlt", fuhr sie aufgeregt fort. „Aber wenn das Fest hier stattfindet und ich den Vorsitz übernehme, müssen alle Männer und Jungen diesen Palast räumen. Wahrscheinlich wird deine Großmutter euch ihr Haus anbieten, das für so viele Menschen gar nicht ausgelegt ist. Für Gemellus und Macro wird es ein Kinderspiel sein sich davonzuschleichen. Sie werden nicht wagen noch mehr Prätorianer abzuziehen, weil dies zu auffällig wäre. Du musst nur sicherstellen, dass Clemens bei dir bleibt und ich..."
„Du musst nur vor den wichtigsten Frauen unserer Zeit Rituale fehlerfrei durchführen, von denen wir keine Ahnung haben", beendete Gaius ihren Gedankengang mehr entsetzt als begeistert. Ihm gefiel der Gedanke ganz und gar nicht, dass Aurelia ein solches Risiko für sich selbst und ihre gemeinsame Zukunft einging, um ihn zu beschützen. Doch in ihren Augen glitzerte eine Entschlossenheit, die all seine Zweifel wie ein rasch aufziehender Winterwind verstreute. Niemand würde sie aufhalten können. Bei den Göttern, er liebte sie mehr als sein Leben.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt