Mit einem gewaltigen Krachen schlug die Statue auf dem Marmorboden auf und zerbarst in tausend Teile. Für eine Sekunde verharrte Aurelia und lauschte angestrengt ins Innere der Villa. Als sie sich sicher war, dass die Eindringlinge ihr folgten, sprang sie über die Überreste der einst wunderschönen Statue hinweg und begann zu rennen.
Flatternd bauschte sich ihr Schleier hinter ihr auf, ehe er geräuschlos wenige Meter hinter der Statue zu Boden glitt und einsam zurückblieb. Dies musste genügen, um die Eindringlinge in die Irre zu führen. Sie musste sie so lange durchhalten, bis Gaius und ihre Kinder in Sicherheit waren. Alles andere hatte für sie jegliche Bedeutung verloren.
Vorsichtig löste sie die Bänder ihrer Schuhe und warf sie fahrlässig auf den Boden, so als hätte sie ihre Schuhe auf der Flucht verloren. Die warme Erde dämpfte das Geräusch ihrer nackten Füße und sie hatte das Gefühl besser mit ihrer Umgebung verbunden zu sein.
Als sie den Pavillon, Gaius' Hochzeitsgeschenk an sie, erblickte, kam ihr eine Idee. Ohne sich umzublicken, huschte sie durch den Garten und ignorierte die lauter werdenden Stimmen ihrer Gegner. Ihr Herz raste wie wild in ihrer Brust.
Sobald sie den Pavillon betrat, raubten die im Wind flatternden Vorhänge ihren Gegner die Sicht auf sie. Mit wenigen Schritten hatte sie die Statue erreicht, zog sich ihre Stola über den Kopf und drapierte sie grob auf der Statue wie bei einer Schaufensterpuppe. Dabei achtete sie darauf, dass vor allem die steinernen Haare von der Seide bedeckt wurden. Dann lehnte sie sich mit ihrem ganzen Körper gegen die Statue und drehte sie vom Eingang fort.
Barfüßig und nur noch mit ihrer Tunica bekleidet versteckte sich Aurelia hinter Gaius' Statue. Im nächsten Moment stürmten Männer in den Pavillon und umstellten die Statue. Sie waren zu zehnt. Vermutlich hatten sie sich an der Gabelung aufgeteilt. Hoffentlich waren Gaius und die Kinder bereits in Sicherheit. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Verstärkung eintreffen würde. Clemens wusste, was zu tun war. Bis dahin musste sie einfach nur durchhalten.
Aurelia hielt die Luft an. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Mit schweren Schritten löste sich einer der Männer von der Gruppe und holte mit dem Schwert aus. Klirrend schlug das harte Metall auf den Marmor und zerbrach. Fassungslos starrte der Mann auf seine zerstörte Klinge.
Aurelia warte nicht, bis sich ihre Überraschung verflog. Leichtfüßig stieß sie vom Boden ab und schwang sich über die Brüstung der Pavillons. Eine kleine Erschütterung lief durch ihren Körper, als sie auf der harten Erde landete. Aber immerhin hatte sie sich nicht verletzt. So leise wie möglich rannte sie von einem Baum zum anderen.
Ein Schrei ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Die Männer hatten sie entdeckt. Jubelnd setzten sie ihr nach und Aurelia drehte sich mit erhobener Klinge um. Ihre Lippen verzogen sich automatisch zu einem kleinen, höflichen Lächeln. Verdutzt blieben die Männer unsicher stehen und sie legte den Kopf schief. Was hatten sie erwartet? Dass sie kampflos untergehen würde? Die Eindringlinge warfen sich verwirrte Blicke zu und musterten sie von Kopf bis Fuß. Die Meisten von ihnen wirkten eher erregt als kampfeslustig. Zorn flammte in ihrem Körper auf.
Tuschelnd kamen die Männer näher und erinnerten Aurelia an sehr viel schwerer bewaffnete Obermachos auf dem Pausenhof. Es fehlte nur noch ein billiger Anmachspruch, dann wäre die Szene fast perfekt.
„Wir haben den Befehl Euch zu töten", meinte der Mann mit dem zerbrochenen Schwert. Als Ersatz hatte er seinen Dolch gezückt, der neben den Schwertern seiner Begleiter wie ein Zahnstocher wirkte.
Amüsiert hob Aurelia die Augenbraue. Dann wollte sie gelassen wissen, wer einen solchen Befehl erteilt hätte. Der Anführer verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen und funkelte sie wütend an.
„Wir fallen nicht auf deine germanische Silberzunge herein, Weib", fuhr er sie barsch an und bellte seinen Kumpanen Befehle zu. Automatisch verstärkte Aurelia den Griff um das Heft ihres eigenen Schwertes. Still und reglos wie eine Statue wartete Aurelia auf den ersten Schlag, den sie mühelos parierte.
Plötzlich war sie nicht mehr in ihren Gärten, sondern im Trainingsraum der Prätorianer. Adrenalin durchströmte ihren Körper und vor den Augen ihrer Feinde verwandelte sie sich in eine tödliche Kampfmaschine. Doch es kamen immer wieder neue Kämpfer nach. Sie waren einfach zu viele.
Gerade als Aurelia glaubte, dass sie nicht mehr länger durchhalten konnte, hörte sie das vertraute Geräusch genagelter Sandalen. Mit neuer Entschlossenheit stürzte sie sich in den Kampf. Aus dem Augenwinkel sah sie Clemens' vertraute Gestalt sich unaufhaltsam einen Weg durch die Eindringlinge bahnen. Unauffällig bewegte sich Aurelia rückwärts, sodass ihre Gegner gezwungen waren ihr ins Peristyl zu folgen.
Innerhalb weniger Augenblicke war Clemens bei ihr und schob sie bestimmt hinter sich auf die mondbeschienene Rasenfläche des Säulenganges. Rücken an Rücken musterten sie ihre Gegner, die mit einem Schlag verunsichert wirkten. Rasch blickten sie sich nach allen Seiten um, aber sie waren noch immer in der Überzahl. Clemens' Männer, die bereits mit gespannten Bögen auf den umliegenden Dächern standen, entdeckten sie nicht. Die Prätorianer warteten nur auf ein Zeichen ihres Präfekten. Dann wären die Eindringlinge tot. Sie waren nur noch zu fünft.
Die Unsicherheit der Eindringlinge darüber, dass sie es nun mit zwei Kämpfenden zu tun hatten, legte sich so rasch wie sie gekommen war. Mit neuer Härte griffen sie an und Aurelia spürte, wie ihre Arme ermüdeten. Lange würde sie nicht mehr weiterkämpfen können. Plötzlich ging alles ganz schnell. Sie war nur eine Sekunde zu langsam, da gelang es ihrem Gegner ihr das Schwert aus der Hand zu schlagen. Schnell sprang sie außer Reichweite seiner Klinge und stieß an Clemens' Rücken. Fluchend stieß der Prätorianerpräfekt sie in das Wasserbecken neben sich. Aurelia war gerade noch geistesgegenwärtig genug Luft zu holen, bevor sie die Oberfläche des Wassers durchbrach.
Das kühle Nass klärte ihren Geist und ihr Körper handelte instinktiv. Routiniert nutzte sie ihren Schwung und begann zu tauchen. Mit wenigen Zügen hatte sie das andere Ende des Beckens erreicht.
In einer fließenden Bewegung glitt sie aus dem Becken, stützte sich am Rand ab und landete in einer Hocke auf der gefliesten Umrandung. Der Kampflärm war nur noch sehr schwach. Um Atem ringend blickte sich Aurelia schnell nach allen Seiten um und beobachtete, wie Clemens den letzten Eindringling mit einem Schlag seines Schwertes zu Boden schlug. Sie waren tot.
Aus dem Augenwinkel nahm Aurelia eine Bewegung wahr. Ruckartig drehte sie den Kopf und konnte gerade noch einen Blick auf einen Fetzen Stoff erhaschen, der um die Ecke einer Tür im Inneren ihrer Villa verschwand. Fragend drehte sie sich zu Clemens um, der verwirrt auf die offene Tür starrte. Unmerklich nickte er Aurelia zu. Neue Kraft durchströmte ihren Körper und ohne zu zögern folgte Aurelia dem Eindringling ins Innere ihres Zuhauses.
Mit rasendem Herzen und gezücktem Dolch schlich Aurelia durch die kargen Gänge und musste schnell feststellen, dass sie noch nie in diesem Teil des Palastes gewesen war. Verunsichert schaute sie über ihre Schulter, aber sie konnte Clemens weder sehen noch hören.
Am Ende des unscheinbaren Ganges stand eine Tür offen. Unwillkürlich verkrampfte sich Aurelias Hand um den Griff ihres Dolches. Behutsam betrat sie den Raum und war überrascht, dass er leer war. Die einst leuchtende Farbe blätterte bereits von den Wänden. Wo war sie nur? Was war das für ein Raum? Warum wollte ihr Eindringling, dass sie hierher kam?
„Ich hatte gehofft, dass du diese Idioten überlebst", säuselte eine Stimme zu ihrer Rechten und Aurelia fuhr herum. Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss. Fassungslos starrte Aurelia in die hasserfüllten Augen einer Frau und sie brauchte einen Augenblick, um sie ohne ihre teuren Kleider, die kunstvolle Frisur und das üppige Make-up zu erkennen. Vor ihr stand mit gezücktem Dolch Ennia und grinste ihr zufrieden ins Gesicht. Aus ihren ungeschminkten und blutunterlaufenen Augen sprach der blanke Wahnsinn.
„Ich habe so viele Jahre auf diesen Moment gewartet", wisperte Ennia und sog tief die Luft ein. „Schau dich um. Dies ist alles, was von meinem Leben übrig geblieben ist. Ein leerer, trostloser Raum. Ich war reich. Ich war schön. Ich war mächtig. Aber dann bist du aufgetaucht und hast mir alles genommen. Sag mir, Aurelia, hast du auch nur ein einziges Mal in all den Jahren an mich gedacht und dich gefragt, was aus mir geworden ist?"
Wahrheitsgemäß schüttelte Aurelia den Kopf und Ennia lachte bitter auf. Als sie sich nach ein paar Sekunden wieder beruhigt hatte, fuhr sie kalt fort: „Natürlich nicht. Dafür verging kein Augenblick, in dem ich nicht an dich erinnert wurde. Du bist der Grund, weshalb mein Leben in Trümmern liegt. Jeden einzelnen Augenblick meines Lebens werde ich daran erinnert, was du mir genommen hast und ich hasse dich dafür mit jeder einzelnen Faser meines Körpers. Jahrelang habe ich alles geplant und jetzt stehst du hier vor mir. Immer noch strahlend schön. Allein. Schutzlos. Wie sagt man so schön? Die, die von den Göttern geliebt werden, sterben jung. Manchmal muss man den Göttern nur ein bisschen auf die Sprünge helfen"
Kichernd hechtete Ennia mit gezücktem Dolch nach vorn und Aurelia konnte in letzter Sekunde noch aus dem Weg springen. Im gleichen Moment wurde die Tür aufgebrochen und Clemens stürmte ins Zimmer. Sofort stürzte er sich auf Ennia. Klirrend fiel ihr Dolch zu Boden und Aurelia atmete erleichtert auf. Routiniert presste Clemens die vom Wahnsinn erfasste Frau auf den Boden. Über ihren Kopf hinweg lächelte Clemens Aurelia beruhigend zu, dann verzog er plötzlich vor Schmerz das Gesicht. Ein Zittern durchlief seinen Körper und Ennia nutzte die Gelegenheit ihn von sich zu stoßen und aufzuspringen. Weit kam sie nicht. Überrascht blickte sie auf ihre Brust, in der Aurelias Dolch steckte. Irre grinsend bohrten sich Ennias sterbende Augen in die ihren, dann glitt die Frau zu Boden. Sie war tot.
Im nächsten Augenblick war Aurelia bei ihrem Freund und presste ihre Hände auf seinen Bauch. Ennia hatte ihm ihren Dolch direkt durch eine winzige Lücke in seinem Brustpanzer in seine Niere gestoßen und Clemens verlor zu schnell viel zu viel Blut. Aus der Wunde drang ein seltsamer Geruch. Gift. Diese falsche Schlange hatte ihre Klingen in Gift getränkt.
Hilflos presste Aurelia ihre Hände auf die offene Wunde und betete, dass er durchhalten möge. Leise flüsterte er ihren Namen. Sofort wandte sie den Blick von seiner Verletzung ab und blickte ihm tief in die Augen. Seine Haut war noch blasser als sonst.
„Das N stand für Naevia. Ennia Naevia", raunte er und Aurelia brauchte eine Sekunde, um seine Gedanken nachzuvollziehen. Er redete von den Briefen, die er im Haus des ermordeten Arztes gefunden hatte. Also steckte Ennia ebenfalls hinter diesem Anschlag. Rasch nickte Aurelia und Clemens legte seine Hand auf die ihre. Prüfend sah er an sich herab und schenkte ihr ein schiefes Lächeln.
„Ich wusste immer, dass ich eines Tages mein Leben für dich geben würde", erklärte er leise und Aurelia schluckte ihre Tränen hinunter. Der Griff seiner Hand verstärkte sich, während sein Leben zwischen ihren Fingern aus seinem Körper wich. Ruhig fuhr er fort: „Manche Dinge sind es wert dafür zu sterben. Es gibt für mich keinen besseren Tod als der im Dienst für Rom und du bist Rom, Aurelia"
Bewegt setzte Aurelia zum Sprechen an, aber Clemens schüttelte kraftlos den Kopf. Sein Atem ging nur noch stoßweise und sein ganzer Körper zitterte. Das Gift hatte fast sein Herz erreicht.
„Versprich mir, dass du auf meine Kinder Acht geben wirst", brachte er mühevoll hervor und erst als sie ihm dies versprochen hatte, gab er seinen Kampf auf. Seine Hand glitt von ihren Fingern und fiel kraftlos neben ihn. Mit einer niederschmetternden Endgültigkeit schlug sein Kopf auf den Boden auf. Sein Blick brach. Marcus Clemens Arrecinus war gefallen.
Fassungslos starrte Aurelia auf den Mann, der in all den Jahren hinter ihr gestanden und ihr den Rücken frei gehalten hatte. Sie konnte nicht glauben, dass er fort sein sollte. Wie erstarrt verharrte sie in ihrer Position auf dem kalten Boden und weigerte sich ihren Sinnen zu vertrauen. Noch immer strömte Blut aus seinem leblosen Körper und verteilte sich überall. Der staubige Boden, ihre zerrissene Tunika, ihre nackte Haut - sein Blut bedeckte alles mit einer roten Schicht. Unter ihren Fingern wurde sein Körper kalt. Aber sie konnte weder sprechen noch sich rühren. Sie konnte noch nicht einmal weinen, denn dann müsste sie sich eingestehen, dass er für immer verloren war. Sie musste nur fest genug daran glauben, dann würde er im nächsten Moment ihre Hände ungeduldig abschütteln und aufspringen. Sie musste nur die Wunde geschlossen halten, damit die Ärzte ihm helfen konnten. Sie musste einfach nur stark sein. Für ihn.
Plötzlich legten sich warme Hände auf ihren starren Körper und sein vertrauter Geruch stieg ihr in die Nase. Suchend fuhren seine Hände über ihren Körper und nachdem er erleichtert festgestellt hatte, dass sie unverletzt war, zog er sie behutsam in seine warmen Arme. Sobald ihre Hände den Kontakt zu Clemens verloren, begann ihr Körper zu zittern. Seine Stimme klang dumpf und aus weiterer Ferne, sodass sie seine beruhigenden Worte nicht verstehen konnte. Weinend brach Aurelia in den Armen ihres Mannes zusammen.
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...