Immer noch berauscht von der Begeisterung seines Volks kehrte Gaius in seinen neuen Palast zurück, den sein Vorfahre, der große Augustus, erbaut hatte. Zu seinem ersten Fest als Princeps hatte Gaius alle Männer von senatorischem Rang mit ihren Familien eingeladen. Doch davor musste er dringend ein Bad nehmen und sich umkleiden. Seine Toga wies bereits einige Flecken auf. Beflügelt von dem Gedanken Aurelia seinen Palast heute Abend zeigen zu können, schwebte er förmlich durch die schlichten Gänge. Nicht einen Augenblick zweifelte er daran, dass sie heute Nacht nicht bei ihm bleiben würde.
Seit Stunden war sein Fest nun schon im Gange und noch immer hatte er keinen Blick auf seine Aurelia erhaschen können. Die unwichtigsten und machthungrigsten Senatoren scharrten sich um ihn und versuchten sich bei ihm einzuschleimen, weshalb er sich nicht selbst auf die Suche nach ihr begeben konnte. Plötzlich erschien seine Großmutter neben ihm und zog ihn mit einem entschuldigenden Lächeln von einem besonders anhänglichem Exemplar. Kaum waren sie außer Hörweite bedankte er sich bei ihr.
„Deine kleine Aurelia ist nicht hier. Anscheinend haben ihr die Spiele stark zugesetzt. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie einen Großteil ihres Lebens im wilden Germanien verbracht hat", antwortete seine Großmutter mürrisch und Gaius fuhr überrascht zusammen. „Tu nicht so, Gaius und glaub ja nicht, dass du mich täuschen kannst. Einer meiner Sklaven hat dich beobachtet, als du noch vorm ersten Sonnenstrahl aus ihrem Zimmer geschlichen bist und ich hab gesehen, wie du sie zu Beginn der Spiele angesehen hast. Aber das ist jetzt nebensächlich. Einige Interessenten sind hier und ich kann sie nicht mehr lange bei Laune halten"
Beunruhigt schaute Gaius sich um, doch seine Gäste nahmen keine Notiz von ihrem Gespräch. Im Flüsterton verlangte er zu erfahren, was für Interessenten denn anwesend seien.
„Potentielle Ehemänner für dieses hübsche Ding", erklärte Antonia in leicht säuerlichem Ton, als läge dies auf der Hand. Gaius spürte wie seine Maske der Ausgelassenheit kurz verrutschte. Natürlich hatte seine Großmutter diesen kleinen Anflug von Schwäche bemerkt. Eindringlich redete sie auf ihn ein, dass sie Aurelia unbedingt verheiraten müssten, bevor einer der politischen Feinde ihrer Familie ein Angebot unterbreiten würden. Sofort äußerte Gaius seine Bedenken. Warum die Eile? Warum sollte Aurelia so schnell wie möglich heiraten? Seine Großmutter warf ihm einen Blick zu, als hätte er den Verstand verloren. Energisch griff sie nach seinem Arm.
„Denkst du es war Zufall, dass Aurelias Familie ausgelöscht worden ist?", zischte sie. „Ihr Vater ist ein direkter Nachfahre vom Bruder der Aurelia, der Mutter des großen Caesar, nach dem du benannt worden bist, mein Junge! In seinem Verfolgungswahn hat Tiberius nicht nur unsere Blutlinie auszulöschen versucht, sondern auch ihre, weil sie immer eine Bedrohung für unsere Herrschaft darstellen wird. Auch wenn sie jetzt von einer niedrigeren Familie adoptiert worden ist, so fließt in ihr immer noch das gleiche Blut. Willst du sie irgendwann als Waffe gegen dich gerichtet sehen?"
Dieses Mal verrutschte sein fröhliches Lächeln nicht.
„Aurelia wird niemals eine Waffe gegen mich sein", erklärte er gelassen. Antonia lachte leise.
„Glaubst du ernsthaft, nur weil sie jetzt deine Geliebte ist, wird sie dich ewig lieben?", höhnte sie und Gaius taxierte sie gelassen. „Wach auf, Junge! Aurelia ist keine Frau, die den Mann, den sie liebt, teilen kann und ich kenne dich. Irgendwann wirst du sie fallen lassen, weil du dich einfach an keinen anderen Menschen binden kannst und was wird dann mit ihrer tiefen Liebe für dich geschehen? Mädchen wie sie brechen nicht, sie stehen wieder auf und sind noch viel stärker und gefährlicher als zuvor"
Nachdenklich musterte er seine Großmutter, die nicht nur ein außergewöhnliches Gespür für Menschen, sondern auch für Politik besaß.
„Avia, sie ist nicht meine Geliebte", raunte er und ihre Augen wurden vor Überraschung ganz groß. „Ich meine wir haben nicht... du weißt schon"
„Wirst du etwa rot? Du?", fragte seine Großmutter erstaunt. Verlegen wich er ihrem stechenden Blick aus. Dann riss er sich zusammen. Seit wann war er prüde? Locker erklärte er, dass er nicht mit ihr, sondern lediglich neben ihr geschlafen hatte. Noch immer musterte seine Großmutter ihn forschend.
„Gut", erklärte sie kalt. „Das hätte alles nur komplizierter gemacht"
Damit wandte sie sich von ihm ab und augenblicklich tauchte ein weiterer Speichellecker neben ihm auf. Äußerlich erschien er als der perfekte Zuhörer für die Klage seines Senators, doch innerlich kreisten seine Gedanken nur um seine schöne Aurelia. Jetzt waren sie endlich vor Tiberius sicher, da warnte seine eigene Großmutter ihn vor einer Beziehung mit ihr. Tief in seinem Herzen wusste Gaius, dass er Aurelia brauchte und nicht aufgeben konnte. Zu oft hatte er vergeblich versucht sie gehen zu lassen. Er konnte es einfach nicht.
Als bereits der Morgen graute, verschwanden endlich die letzten Gäste und Gaius konnte sich zurückziehen. Irgendwann hatte er Vespasius erblickt, der die meiste Zeit mit Antonia verbrachte. Während des ganzen Abend hatte Gaius nur in einem einzigen Moment seine Schar aus Speichellecker abschütteln können und den fetten Senator allein erwischt. Dieser hatte ihm nur zuflüstern können, dass Aurelia sich nach den Spielen unwohl gefühlt und sein Neffe sie nicht allein in der fremden Villa zurücklassen wollte. Damit bestätigte er ihm nur, was seine Großmutter ihm bereits berichtet hatte. Dann tauchte auch schon neben Gaius ein weiterer unbedeutender Senator auf und unterbrach jäh das Gespräch. Vespasius nutzte die Gelegenheit und begab sich zurück zu Gaius' Großmutter. Auf dem Fest hatte Gaius keine Zeit gehabt sich zu fragen, warum diese ihre persönliche Sekretärin mitgebracht hatte, doch nun kam es ihm zutiefst seltsam vor.
Vor seiner Tür blieb Gaius stehen und wandte sich halb zu Clemens um, seine Hand ruhte bereits auf der Türklinke. Leise fragte er, wann seine treue Wache Aurelia das letzte Mal gesehen habe. Clemens runzelte die Stirn.
„Zu Beginn der Spiele, Princeps", sagte der junge Prätorianer nachdenklich. „Dann war sie plötzlich verschwunden"
Gaius war zu müde, um sich jetzt auch noch darüber den Kopf zu zerbrechen. Wahrscheinlich hatte ihr der Gladiatorenkampf wirklich zugesetzt - soweit er wusste, hatte sie noch nie zuvor einen gesehen. Wen würde so ein mitreißendes Schauspiel nicht überwältigen? Also zuckte Gaius nur die Achseln und schlüpfte in sein Zimmer. Ohne Hast entledigte er sich seiner schweren Toga und ließ sich erschöpft auf sein Bett fallen. Gewiss wäre er sofort eingeschlafen, wenn ihn nicht etwas in den Rücken gepiekt hätte. Missmutig griff Gaius nach dem Ding und zog eine elegante Schriftrolle unter sich hervor. Plötzlich war er hellwach. Das war doch Aurelias Siegel! Der Ring war ihm vergangene Nacht aufgefallen, während sie schlafend ihre schlanke Hand besitzergreifend auf sein Herz gelegt hatte. Ruckartig setzte er sich auf. Mit zittrigen Händen brach er das Wachs und entrollte ihren Brief.Mein liebster Gaius,
Allein schon die ungewöhnliche Anrede erwärmte sein Herz. Bei den Göttern, sie war süßer als Honig und unterhaltsamer als jede Komödie. Kurz überlegte er ihren Brief erst weiterzulesen, nachdem er geschlafen hatte. Doch seine Neugier trieb ihn an die nächsten Worte zu lesen und sobald er sich darin verlor, konnte er aus ihnen nicht mehr auftauchen.
Bitte verzeih mir, dass ich ohne ein Wort des Abschieds gegangen bin. Mir fehlte die Kraft es dir selbst zu sagen, denn du bist der Einzige, der mich zum Bleiben hätte überreden können und es gibt zu viele Dinge, über die ich in Ruhe nachdenken muss.
Die Ereignisse der letzten Monate haben mich überrollt. Alles, was ich immer wieder verdrängt habe, ist heute während der Spiele von Neuem aufgerissen. Nichts auf der Welt ist mir jemals so schwer gefallen, wie dich jetzt im Stich zu lassen. Doch ich habe keine Kraft jeden Tag zu hoffen, wir könnten die Vergangenheit ändern. Ich könnte es nicht ertragen uns scheitern zu sehen und am Ende allein auf die Trümmer unserer Leben zu blicken. Wenn ich dann noch auf etwas blicken kann.
Mein Herz wird immer nur dir gehören und das macht mir Angst. Den Gedanken, dass all die Dinge, die ich an dir so liebe, schon bald vernichtet werden könnten, ertrage ich nicht. Ich kann einfach nicht dabei sein, wenn sich deine Zukunft in meine Vergangenheit verwandelt.
Bewahre deine Güte und Menschlichkeit. Sie sind ein Geschenk, kein Fluch. Deshalb bitte ich dich meinem Cousin die gleiche Gnade zuteil werden zu lassen, die du mir geschenkt hast. Ihn trifft keine Schuld und er wird für mich niemals mehr sein als mein Vetter. Auch mein Vater kann nichts dafür. Ich habe dafür gesorgt, dass euch beide die Briefe zur selben Zeit erreichen.
Bitte such nicht nach mir. Es geht mir gut. Alles, worum ich dich für mich bitte, ist, mir die Zeit zu geben, die ich brauche.
Ich liebe dich, aber ich kann nicht eine in einer Reihe von vielen sein. Das würde mich zerstören.Leb wohl, mein Herz
AureliaFassungslos las er immer wieder ihren Brief. Es war das erste Mal, dass sie ihm sagte, dass sie ihn liebte. Hatte sie Angst, er würde sie für eine andere Frau verlassen? Sie? Die Göttin aller Frauen? Tränen liefen ihm über die Wange. Er wusste noch nicht einmal, warum er weinte. Denn er spürte weder Trauer, Wut noch Eifersucht - nur wieder diese melancholische Leere und die bittere Einsamkeit. Verwirrt sprang er aus dem Bett und stolperte zu seinem Kamin, in dem noch ein kleines Feuer glomm. Bevor er den Brief ins Feuer warf, sackte er in sich zusammen. Die Hand mit der Schriftrolle fest gegen sein einsames Herz gepresst. Irgendwann schlief er auf dem kalten Boden ein.
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...