Kapitel 75 ~ Bellum committit

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„Wie haben sie reagiert?", wollte Aurelia wissen und bemühte sich um einen ruhigen, beiläufigen Ton. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Stimme vor Angst zitterte. Bemüht gelassen blickte sie zu ihm auf und bemerkte, wie er sie aufmerksam beobachtete.
„Sie haben es nicht gewagt mich einen Tyrannen oder gar einen König zu schimpfen", sagte er ernst. „Aber vor allem diejenigen, die sich erhofft haben von mir ernannt zu werden, wirkten sehr zornig. Natürlich haben sie allesamt meine Idee in den Himmel gelobt und Bewunderung für meine Intelligenz und meine Weitsicht geheuchelt, doch es war nur hohles Geschwätz. Ich hätte ebenso gut mein Pferd zum Konsul ernennen können, sie hätten nicht weniger abschätzig reagiert. Sie werden sich noch wundern, wenn sie es mit dir zu tun bekommen"
Immer wieder hatte sie ihm gesagt, dass diese Idee zum Scheitern verurteilt war. Rom, Italien, die ganze Welt war noch nicht bereit dafür, dass eine Frau aus dem Schatten trat und aktiv in der Politik mitmischte. Obwohl dieser Fakt alles symbolisierte, was sie ihr Leben lang verabscheut hatte, war diese Gesellschaft nun mal elitär, rassistisch und sexistisch. Dagegen anzukämpfen konnte ihren Kopf kosten – und damit auch die Köpfe ihrer Familie.
„Aurelia, wir haben nicht nur diesen Feldzug gemeinsam geplant", erinnerte er sie sanft. „Seit wir verheiratet sind, nein eigentlich schon seitdem du aus Cosa als meine Verlobte zurückgekehrt bist, hast du mit deinem Mut, deinem Gespür, deinem wachen Verstand und deinem Charme immer wieder bewiesen, dass du dieser Aufgabe gewachsen bist. Ohne dich hätte ich Macro niemals zu Fall bringen können, ohne dich gäbe es in Rom keine Universität und ohne dich wäre ich vermutlich nicht mehr am Leben. Also bitte vertrau mir und glaube an dich, denn ich tue es"
Fassungslos starrte sie ihn an. Wie ein Fisch auf dem Trockenen öffnete sie den Mund, aber aus ihrer Kehle drang kein Laut. Sie war stumm. Der Kloß in ihrer Kehle drohte sie zu ersticken. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Aber Gaius erwiderte nur vollkommen ruhig und sanft ihren Blick. Während in ihrem Inneren immer wieder verschiedene Albträume und Auszüge aus Dokuserien an ihr vorbeizogen, hielt Gaius ihre Hände behutsam umschlossen und verankerte sie in der realen Welt. Eindringlich fuhr er mit feierlichem Ernst fort: „Julius braucht dich, ich brauche dich, aber vor allem braucht dich Rom. Vielleicht wissen sie es noch nicht, aber sie brauchen dich genauso sehr, wie ich dich brauche, mein Herz. Nur du kannst diese heuchlerischen, kleingeistigen, alten Männer in deinen Bann ziehen und dafür sorgen, dass niemand unseren Platz einnimmt, während ich fort bin. Es gibt niemanden auf dieser Welt, dem ich mehr vertraue als dir. Nur du bist in alle Dinge eingeweiht, die in meinem Kopf sind. Ich weiß, dass sie dir versuchen werden das Leben schwer zu machen und mich zu vertreten wird dir viel Kraft abverlangen. Deshalb gibt es etwas, dass ich dir zeigen muss, bevor ich gehe"
Behutsam führte er sie durch die Gänge des Palastes und sie versuchte ihre Benommenheit abzuschütteln. Nach kurzer Zeit erreichten sie einen Bereich, in dem ihnen keine Menschenseele mehr begegnete und die Gänge waren so kalt und spinnenverwebt, dass sie sich sicher war, dass niemand abgesehen von ihnen von ihrer Existenz wusste. Auf einmal blieb Gaius mitten im Gang stehen, ließ ihre Hand los, bückte sich und betätigte einen unsichtbaren Hebel an einer Steinplatte. Sofort hob sie sich an und als er sie beiseiteschob, konnte Aurelia eine Wendeltreppe erkennen. Fürsorglich nahm er wieder ihre Hand und führte sie hinab. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schwache Licht, aber dennoch klammerte sie sich Halt suchend an Gaius.
Am Ende eines langen Ganges entzündete er plötzlich eine Öllampe und für einen Augenblick war sie geblendet von deren Licht. Blinzelnd schaute sie sich um und sah nichts als Wand. Sie waren in einer Sackgasse. Da legte Gaius ihre verschlungenen Hände auf einen Stein und drückte sacht dagegen. Zu ihrer Überraschung glitt der Stein mühelos in das Innere der Wand und löste einen geheimen Mechanismus aus. Im nächsten Moment befanden sie sich in einem Raum voller Schriftrollen und Notizbüchern. Mit offenem Mund bestaunte sie die Fülle an Lesematerial, die sich ihr bot. Staunend erkundigte sie sich, was es mit diesem Ort auf sich habe. Traurig glitt sein Blick über die Rollen und Wachstafeln.
„Das sind alle Mitschriften aus den Prozessen meiner Mutter und meiner Brüder", wisperte er ernst. „Als du Rom das erste Mal verlassen hast, bin ich jede Nacht hierhergekommen und habe alles gelesen, was mir in die Hände fiel"
Mit einer Mischung aus dem tiefen Mitgefühl einer Ehefrau und der kindlichen Begeisterung einer Historikerin ließ sie ihre Fingerspitzen über die Akten gleiten. Nur so konnte sie sicher sein, dass dieser Ort real war und sie ihn sich nicht nur erträumte.
„Ich habe mich schon gefragt, wo sie sich befinden könnten", gestand sie leise und nahm durch ihre Neugier seine Überraschung angesichts ihrer Reaktion nicht wahr. „Es war ein brillanter Schachzug den Senat glauben zu lassen, dass du dieses erdrückende Beweismaterial gegen jeden einzelnen von ihnen vernichtet hast. Aber wenn ich nun ihre Aussage gegen sie verwende, werden sie wissen, dass du nur Kopien verbrannt hast und die Originale immer noch in unseren Händen sind"
Sein tiefes Seufzen sorgte dafür, dass ihre Bewunderung erstarb. Ernst wandte sie sich ihm zu und registrierte, wie erschöpft und besorgt er aussah.
„Du wirst einen Weg finden, dieses Wissen gegen sie zu verwenden, ohne das Geheimnis hinter dem Geheimnis zu verraten", sagte er voller Vertrauen. Dann nahm er ihre Hand und gemeinsam schlichen sie schweigend zurück in ihre Gemächer. Es war Zeit für das letzte Abendessen vor seiner Abreise.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt