Schon seit Tagen wartete Ennia auf ihre Chance allein mit Caligula zu sprechen, um ihn daran zu erinnern, wem er seine Stellung verdankte. Aber sie kam einfach nicht an ihn heran. Jeder ihrer Pläne war vereitelt worden. Die Träger seiner Sänfte hatte sie nicht bestechen können. Clemens stand weder in Macros noch in ihrer Schuld, sodass sie von ihm nun keinen Gefallen einfordern konnte. Zu seinen Abendmalen erschien Caligula immer in Begleitung seiner Frau und verließ diese auch mit ihr gemeinsam. In der Öffentlichkeit war sie ebenfalls immer an seiner Seite und in Caligulas Privatgemächer hatte sich Ennia bisher keinen Zutritt verschaffen können. Ihr Gesicht war zu bekannt, als dass sie sich als Sklavin verkleidet hätte einschleusen können. Außerdem hatte Ennia das Gerücht aufgeschnappt, Caligula würde seine Gemächer mit seiner Frau teilen. Caligula schien in jeder Minute seines Lebens von dieser Aurelia umgeben zu sein.
Zu allem Überfluss waren auch noch all ihre Quellen verstummt, seit Macro verhaftet worden war. Nun musste sie sich mit Wortfetzen von belauschten Gesprächen Vorübergehender und mit Klatschgeschichten von Lästermäulern zufrieden geben. Über diesen Nichtsnutz Gemellus hörte sie die wildesten Geschichten. Die einen behaupteten, er habe sich nach Capri zurückgezogen. Andere waren überzeugt, er befände sich in der Zelle neben Macro. Dann hatte sie sagen hören, er befände sich in seinen Gemächern und wieder andere waren der Meinung, er sei bereits ohne Gerichtsverhandlung im Kreis der Familie von Caligula verurteilt und eigenhändig hingerichtet worden.
Doch Ennia hatte es in Rom nicht so weit gebracht, um sich nun einfach in die Schatten der Unbedeutsamkeit verbannen zu lassen. Seit Tagen hatte sich in ihrem Kopf ein neuer Plan geformt und nun würde sie ihn in die Tat umsetzen. Noch hatte sie nicht alles verloren.Hoch konzentriert vergewisserte sich Ennia, dass sie allein war. Dann drehte sie blitzschnell den Schlüssel im Schloss, welches sie immer noch mit ihrem Rücken sorgsam verborgen hielt, drückte die Tür lautlos nach innen auf und huschte in den dunklen Raum. Obwohl sie Macro nur ein einziges Mal in diesen Raum begleitet hatte, brauchte sie kein Licht zur Orientierung. Der Wandteppich zu ihrer Rechten gegenüber des großen, massiven Schreibpultes war ihr so ins Auge gestochen, dass sie ihn einfach nicht hatte vergessen können. Vor allem nicht, nachdem Macro ihr ins Ohr geflüstert hatte, hinter dem Teppich befände sich eine kleine Nische. So klein, dass nur Macro sie kannte und gelegentlich zu kontrollieren pflegte.
Ihre Hand fuhr den Teppich entlang und plötzlich veränderte sich die Wand dahinter. Ennia gestattete sich selbst ein kleines Lächeln, dann schlüpfte sie unter den Teppich in die kleine Nische, kauerte sich zusammen und wartete. In ungefähr fünf Stunden würden die Prätorianer den Raum aufschließen, kontrollieren und wieder verschließen bis Caligula den Raum wieder öffnete und seine Bittsteller empfangen würde. Ennia schloss die Augen und betete sie möge Erflog haben.
Immer wieder schreckte sie aus einem leichten Schlaf hoch und verfluchte sich selbst für ihre Unachtsamkeit. Im Geiste versuchte sie ihre nächsten Schritte zu wiederholen, aber sie wusste einfach nicht, was und wie sie Caligula konfrontieren sollte. Wie sollte sie um das Leben ihres Mannes feilschen, wenn er so dumm war sich beim Hochverrat erwischen zu lassen? Wie sollte sie ihren Einfluss ohne ihren Mann behalten? Was hatte sie Caligula schon zu bieten? Was konnte sie einem Mann anbieten, der alles und noch so viel mehr besaß?
Langsam wurde es heller in ihrer Nische. Plötzlich knarrte die Tür und schwere Schritte hallten von den Mauern. Das leise Klirren von Metall drang an ihre Ohren. Der Prätorianer erfüllte seine Pflicht. Nach einer Ewigkeit blieben die Schritte vor ihrem Teppich stehen und sie sah den Abdruck einer Hand auf sich zukommen. Automatisch presste sich Ennia enger gegen die kalte Wand und konnte ihren Blick nicht von der immer näher kommenden Hand wenden. Viel zu laut dröhnte ihr hämmerndes, verräterisches Herz gegen ihre Brust. Direkt neben ihrem Gesicht hielt die Hand abrupt inne und im nächsten Moment verschwand der Druck gegen den Teppich. Der Prätorianer entfernte sich und schloss die Tür hinter sich ab. Sobald sich wieder Stille über den Raum legte, atmete Ennia aus und entspannte sich etwas. Erschöpft schloss sie die Augen und dankte den Göttern für ihre Gnade.
Nach einer Ewigkeit wurde die Tür erneut geöffnet und sie konnte leichtere, aber zielgerichtete Schritte hören. Das vertraute Rascheln einer Toga begleite seinen Träger bei jeder kleinen Bewegung. Gerade als Ennia ihr Versteck verlassen wollte, ertönte Caligulas Stimme und befahl nach der Liste der heutigen Bittsteller. Eine weitere Person, vermutlich ein Sklave, eilte herbei und überreichte wortlos die Liste. Stumm eilte der Sklave aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. Ennia strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann schlug sie lautlos den Teppich zurück und schlüpfte aus ihrer Nische. Ihr gegenüber lehnte Caligula gegen seinen imposanten Schreibtisch und überflog eine Wachstafel, die Liste. Manche dieser Namen hatten monatelang warten müssen, bevor sie auf diese Liste gesetzt worden waren. Zeit, die Ennia nicht hatte, selbst wenn man ihr eine förmliche Audienz gewährt hätte.
„Ich habe mich schon gewundert, wann du mich aufsuchen würdest, Ennia“, sagte Caligula, ohne den Blick von der Wachstafel in seinen Händen zu nehmen. „Dein Parfum habe ich schon auf dem Gang erkannt. Wenn du das nächste Mal jemandem nachsteigen willst, lass es einfach weg“
Ennias Gedanken rasten in ihrem Kopf. Sie öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber die vielen Worte in ihrem Kopf wollten einfach nicht über ihre Lippen gelangen. Caligula hatte es geschafft sie komplett zu überrumpeln - ein Gefühl, welches sie noch nie gemocht hatte. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus und nach einer Ewigkeit bohrten sich Caligulas klare, blaue Augen in die ihren.
„Was willst du von mir, Ennia?“, fragte er, legte die Wachstafel endlich beiseite und verschränkte die Arme vor der Brust. Nun lehnte er lässig wartend gegen seinen Schreibtisch, während sie noch immer mit offenem Mund mitten im Raum stand. Ihre Gedanken klärten sich.
„Ich will, dass du deine Anklage gegen meinen Mann fallen lässt“, fuhr sie ihn an und entlud ihre ganze, seit Wochen aufgestaute Wut. Einmal in Fahrt gekommen, schrie sie ihm endlich alles entgegen, was ihr seit seiner Hochzeit auf der Seele brannte.
„Wir waren es, die dich an deinen Platz in diesem Staat gebracht haben. Du bist uns etwas schuldig!“
Mit einem freundlichen Lächeln ließ Caligula ihre Tirade über sich ergehen und dass ihre Worte nicht die gewünschte Wirkung entfalteten, feuerte Ennias Wut nur noch mehr an. Irgendwann brach ihre Stimme und Ennia musste eine Pause einlegen, um nach Luft zu schnappen.
In diesem Moment schwang die Tür auf und eine wunderschöne Frau rauschte in das Zimmer, so als hätte sie jedes Recht, ohne anzuklopfen in dieses Zimmer zu spazieren und sofort erhört zu werden.
„Hier sind die Notizen, die du…“, mitten im Satz verstummte Aurelia und der Blick ihrer intelligenten Augen erfassten die Szene, die sich ihr bot. Aurelias Auftauchen verschaffte Ennia die Gelegenheit, sie endlich im klaren Sonnenschein aus der Nähe zu betrachten. Aus der Nähe war sie sogar noch schöner. Obwohl sie nur eine einfache Tunika trug, sah sie mit ihrem offen über die Schulter wallenden, langen Haaren einfach unbeschreiblich schön aus. Ennia hasste sie sofort noch mehr. In ihrer linken Hand hielt Aurelia eine Wachstafel, Caligulas Notizen.
Als Caligula sich seiner Frau zuwandte, wurde sein Haltung weicher, seine Augen spiegelten seine Liebe für diese Frau wider. Macro hatte sie nie so angesehen. Was hatte diese Aurelia nur, was Ennia nicht hatte?
Plötzlich wich alle Farbe aus Aurelias schmerzlich schönem Gesicht und Caligulas ganzer Körper spannte sich besorgt an. Sofort eilte er zu ihr und ergriff ihre Taille. Besorgt flüsterte er ihr etwas ins Ohr, was Ennia nicht verstand. Aurelia schüttelte nur den Kopf und raunte etwas zurück. Caligula nickte, zog den nächstbesten Stuhl für sie heran und wartete nicht, bis sie sich gesetzt hatte, sondern eilte zum Fenster und öffnete es flink. Ein klarer, kalter Windstoß strömte herein und Aurelia schloss die Augen. Mit einer geschmeidigen Bewegung legte sie sacht ihre Hand vor den Mund und atmete tief durch die Nase ein. Caligulas Notizen ruhten auf ihrem Schoß. Im nächsten Moment lehnte Caligula erneut gegen seinen Schreibtisch, als hätten die vergangenen Minuten nie stattgefunden.
„War das alles?“, fragte Caligula gelassen. Ennias Blick huschte irritiert zu Aurelia, die ihren Blick genauso ruhig erwiderte wie Caligula. Aus dem Konzept gebracht, schluckte Ennia und konzentrierte sich erneut auf Caligula.
„Wirst du die Anklage nun fallen lassen?“, verlangte sie zu erfahren und Caligula legte den Kopf schief.
„Ich fürchte, das steht nicht in meiner Macht“, erklärte der Princeps bedauernd. „Mein Onkel Claudius hat Klage bei Gericht eingereicht, nicht ich. Du hättest dich mit deiner Bitte an ihn wenden müssen“
Entsetzt riss Ennia die Augen auf. Dieser sabbernde, hinkende, stotternde Krüppel sollte die Anklage gegen ihren Mann leiten. Ausgerechnet dem Mann, mit dem seine Familie nichts anfangen konnte, wurde nun ein Platz in Rom zugestanden? Im ersten Moment war sich Ennia sicher, Macros Freispruch wäre damit bereits besiegelt. Doch unwillkürlich wanderte ihr Blick erneut zu Aurelia, die sich mittlerweile leise erhoben hatte. Ihr Bauchgefühl hatte ihr schon mit dem ersten Blick auf diese Frau gesagt, dass sie sich vor ihr in Acht nehmen musste. Vielleicht hatten Macro und sie Claudius unterschätzt. Vielleicht war er kein Schwachkopf, immerhin war er der Sohn der Antonia. Vielleicht würde sie Claudius für sich gewinnen können, wenn sie ihm nur den richtigen Preis bot. Immerhin hatten sie auch Gemellus für ihre Sache gewinnen können.
„An deiner Stelle würde ich meine Zeit nicht damit verschwenden Claudius zu bestechen“, erfüllte Aurelias liebliche Stimme den Raum. Warum konnte nicht wenigstens ihre Stimme nicht perfekt sein? Ennia runzelte die Stirn.
„Macro hat Hochverrat begangen“, griff Caligula Aurelias Gedanken auf und warf ihr ein kleines Lächeln zu. „Dein Name ist bis jetzt noch nicht gefallen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis man sich fragt, inwieweit du in die Pläne deines Mannes eingeweiht gewesen bist. Warum du sie vor aller Welt zu verbergen versucht hast und ob du sie sogar mit ihm gemeinsam geschmiedet hast. Glaub mir, man wird sich fragen, wer du warst, wer du heute bist und was aus dir geworden ist“
Sofort verengten sich Ennias Augen zu schmalen Schlitzen. Versuchten sie ihr gerade zu drohen? Ihr? Ennia? Der einflussreichsten Frau Roms? Doch mit einem Schlag wurde sich Ennia bewusst, dass sie ihren Platz in Rom bereits in dem Augenblick verloren hatte, als Aurelia Vespasia als Caligulas Verlobte nach Rom zurückgekehrt war. Vor ihr standen die beiden mächtigsten Personen im ganzen Imperium Romanum und Ennia hatte rein gar nichts gegen sie in der Hand, wodurch sie ihre Ziele hätte realisieren können.
„Ich bin das, was diese Stadt aus mir gemacht hat“, meinte sie spöttisch und konnte sich ein freudloses Lachen nicht verkneifen. „Und deiner vollkommenen Frau wird es ebenso ergehen wie mir!“
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...