Schon seit Stunden musste sie Dolche auf diesen dämlichen Strohmann werfen. Wann würde Vespasian endlich begreifen, dass Aurelia einfach keine gute Werferin war. Bei ihm hatte sie alle Stellen des menschlichen Körpers gelernt, in die ein sauberer Stich zur gelungenen Verteidigung ausreichte. Im Schwertkampf war sie sehr talentiert, auch wenn sie als Frau niemals selbst eins tragen durfte. Mit Pfeil und Bogen konnte sie umgehen, wenn auch nicht so gut wie mit einer Klinge. Sie verstand ja, dass ein gut verstecktes Messer ihr Leben retten konnte. Dennoch hatte er sie mal wieder vor Sonnenaufgang aus dem Bett geholt, um sie mit ihrer fehlenden Treffsicherheit zu demütigen.
Frustriert warf sie einen weiteren Dolch ohne richtig hinzusehen und traf mitten ins Herz. Vespasian, der in sicherer Entfernung gegen die Scheunenwand gelehnt zusah, applaudierte spöttisch.
„Kann ich jetzt bitte aufhören? Wir wollten doch heute ans Meer", quengelte Aurelia und Vespasian musterte sie ernst.
„Du wolltest doch, dass ich dir beibringe dich zu verteidigen", erwiderte er humorlos und sammelte die Messer ein. Widerstandslos nahm Aurelia die Messer entgegen und traf alles, nur nicht die markierten Stellen. Eine Stunde später erlöste Vespasian sie endlich von dieser Folter und befahl Persius, einem seiner Freigelassenen, die Pferde zu holen. In der Zwischenzeit brachte ihr Vespasians Verwalter Ambrosius einen Becher Traubensaft. In den vergangenen Wochen waren endlich die Trauben in Vespasians Weingarten reif geworden. Einen kleinen Teil der Ernte hatten sie nicht zur Gärung angesetzt, sondern ohne Behandlung sofort in Amphoren gefüllt.
Noch vor der dritten Stunde des Tages ritten sie Seite an Seite über die sanften Hügel und erreichten den abgelegene Strandabschnitt, den Vespasian ihr zu Beginn des Sommers gezeigt hatte. Wie Aurelia war auch Vespasian gern am Meer. Stundenlang konnten sie im Sand sitzen und die sanften Wogen der Wellen beobachten, während sie sich leise über alles Mögliche unterhielten.
Während Vespasian das Picknick vorbereitete, schlenderte Aurelia barfuß durch die Brandung und genoss die sanfte Liebkosung des Meeres. Kurz darauf rief Vespasian nach ihr und widerwillig setzte sie sich neben ihn auf die Decke. Eine Weile aßen sie einfach nur schweigend vor sich hin, während die Wellen friedlich gegen das Land schlugen.
„Aurelia, was hältst du davon, wenn wir beide heiraten?", fragte Vespasian plötzlich und sie verschluckte sich an ihrem Stück Käse. Prustend griff sie nach dem Wasserschlauch und nahm einen tiefen Schluck. Überrascht erwiderte sie seinen Blick.
„Warum, bei allen Göttern des Olymps, sollten wir das tun?", fragte sie entgeistert zurück. Worauf Vespasian maulte, wie ungerecht es sei auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten. Nachdenklich schob sich Aurelia eine Weintraube in den Mund.
„Ich glaube nicht, dass wir einander glücklich machen können", begann sie vorsichtig und Vespasian setzte zum Widerspruch an, doch Aurelia hob die Hand. „Lass mich bitte erklären. Du bist für mich wie der Bruder, den ich nie hatte. Aber ich habe vor in meinem Leben nur ein einziges Mal zu heiraten und das auch nur aus Liebe. Auf diese Weise liebe ich dich einfach nicht, Vespasian. Außerdem was ist mit Caenis?"
„Was soll mit ihr sein?", wollte er beunruhigt wissen und Aurelia wandte sich seufzend dem Meer zu.
„Ich weiß, dass du sie niemals aufgeben wirst, weil sie immer deine wahre, große Liebe sein wird und ich kann mich einfach nicht an einen Mann ketten, der eine andere liebt. Es würde mich zerstören", gab sie leise zu. Zögernd bot Vespasian an seine Geliebte aufzugeben. Verwundert blickte Aurelia ihn an.
„Die richtige Frau würde das nicht von dir verlangen, Vespasian", sagte sie bestimmt und drückte sanft seine Hand. „Ich verspreche dir, dass du diese bald finden wirst. Aber ich bin es nicht"
Dieses Mal wich Vespasian ihrem Blick als Erster aus und nickte ernst.
„Du liebst ihn immer noch, nicht wahr?", fragte er leise. Verwirrt runzelte Aurelia die Stirn.
„Ich werde nie aufhören ihn zu lieben, auch wenn er nicht mehr da ist", murmelte sie ernst und stand auf. Bestimmt erklärte sie jetzt schwimmen zu gehen und stapfte ohne seine Antwort abzuwarten sofort in Richtung ihrer üblichen Badestelle davon. Keine zwanzig Meter von ihrer Decke befand sich eine von hohen Felsen gesäumte Bucht, in der sie unbehelligt von jeder Menschenseele baden konnte. Hastig stieg sie aus ihrer Hose und warf die Tunika daneben, dann glitt sie auch schon durchs Wasser. Als Teenager war sie eine leidenschaftliche und gute Schwimmerin gewesen, doch irgendwann hatte sie es aufgegeben. Schule ging damals einfach vor. Jetzt genoss sie jeden Augenblick im Wasser.
Nachdem sie sich halbwegs beruhigt hatte, schwamm sie zurück ans Ufer, setzte sich auf den warmen Stein und wrang die Haare aus. Dann zog sie eilig ihre Kleidung wieder über und eilte zurück zu Vespasian, der ihr Essen und die Decke mittlerweile verstaut hatte.
„Wir sollten langsam zurückkehren. Ich muss noch ein paar dringende Angelegenheiten mit Ambrosius klären", sagte er freundlich und half ihr aufs Pferd. Aurelia zog ihre Handschuhe über, band geschickt ihren albernen Strohhut vom Sattel und versteckte ihre langen Haare darunter. Immer wenn sich ihre Ausritte nicht auf Vespasians Besitz beschränkten, musste sie ihn zusätzlich zu den Handschuhen tragen. So erschufen sie nach Außen das Bild eines Edelmannes, der mit seinem Sklaven unterwegs war. Welcher Römer würde auch freiwillig eine Hose tragen?
„Wer zuerst da ist!", rief sie übermütig und gab Nox die Sporen. Hinter sich hörte sie Vespasian fluchen. Er war immer noch nicht im Sattel, während die Welt um sie herum verschwamm. Höchst konzentriert lenkte sie ihre treue Stute durch das vertraute Gelände. Als sie die Straße zum Landgut erreichte, hörte sie zum ersten Mal Vespasian hinter sich. Sofort trieb sie ihr Pferd weiter an. Obwohl sie hörte, dass ihr Verfolger immer näher kam, drehte sie sich nicht um. Das hatte ihr die letzten Male den Sieg gekostet und dieses Mal wollte sie endlich gewinnen. Der Wind riss ihr den Hut vom Kopf und ihre Haare flatterten wild umher. Der Wald lichtete sich. Noch ungefähr fünfhundert Meter und sie hatte das Tor erreicht. Lachend feuerte sie Nox an. Sie war durchs Tor. Aufgeschreckte Sklaven sprangen rasch aus dem Weg, während sie langsam das Tempo verringerte. Triumphierend drehte sie sich um und sah wie Vespasian gehetzt durch das Tor raste. Sofort bremste er seinen Fuchshengst. Als sie auf gleicher Höhe waren, presste er zwischen den Zähnen hervor, dass sie betrogen habe. Aurelia warf den Kopf in den Nacken und lachte befreit auf. Liebevoll tätschelte sie den Hals ihrer nachtschwarzen Gewinnerin.
„Kann da jemand etwa nicht verlieren?", zog sie ihn auf und er bedachte sie mit einem so finsteren Blick, dass sie erneut lachen musste. Inzwischen hatten sie den Innenhof erreicht und einige Sklaven eilten herbei, um ihnen die Pferde abzunehmen.
„Wie schön zu sehen, dass dich meine Niederlage so sehr erfreut", antwortete er gereizt und sprang vom Pferd. Aurelia gab Nox das Zeichen anzuhalten und setzte sich aufrechter in den Sattel. Hoheitsvoll blickte sie auf ihren Vetter hinab, der missmutig an ihrer Flanke auftauchte.
„Natürlich. Mein kleiner Sieg wird bis in alle Ewigkeit in die Geschichte eingehen, als die einzige und entscheidende Niederlage, die den großen Vespasian in die Knie gezwungen hat", witzelte sie und ergriff dankbar seine Hand. Gekonnt schwang sie sich aus dem Sattel. Vespasian schmunzelte. Irgendetwas vor sich hin brummend ließ er ihre Hand los, stapfte in Richtung Haus und blieb wie vom Blitz getroffen stehen.
„Was ist los?", fragte Aurelia verwundert und überreichte Persius die Zügel. Als der Körper ihrer Stute ihr endlich nicht mehr die Sicht versperrte, entdeckte sie die Zeugen ihres Sieges. Das Entsetzen in seinen wunderschönen, himmelblauen Augen ließ ihre Eingeweide gefrieren.
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Aurelia
Historical FictionIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...