Kapitel 88 ~ De Coniuratione

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Obwohl bereits Stunden dahingeschmolzen waren, hallten ihre Schreie noch immer in seinen Ohren und brachten seinen Körper zum Beben. Selbst die vertraute Stille seines Gemachs verschaffte ihm keine Linderung, sodass Clemens mit dem Gedanken spielte Zerstreuung in dem teuren Wein zu suchen, den Gaius und Aurelia im Überfluss besaßen. Aber er war noch immer im Dienst und zu Trinken verstieß gegen seine tiefsten Überzeugungen. Niemals durfte er seine Pflicht vernachlässigen, gleich wie sehr ihm etwas zusetzen mochte. Mit einem Seufzen schloss er die Augen, aber das Echo ihrer schmerzverzerrten Stimme wollte nicht verstummen.
Ein nervöses Klopfen gegen das massive Holz seiner Tür drang in seine Gedanken und schoben seine Erinnerungen in den Hintergrund. Mit neuer Entschlossenheit schlug Clemens die Augen auf, erhob sich und ging mit festen Schritten zur Tür. Auf der Schwelle stand ein kleiner Junge, der nicht viel älter als sein Sohn sein konnte und mit einem Mal durchströmte ihn eine Welle der Sehnsucht nach seinem einfacheren Leben bei dem anderen Teil seiner Familie auf dem Land.
Bevor er den Jungen fragen konnte, weshalb er ihn aufgesucht hatte, sagte das Kind, ohne ihm in die Augen zu blicken: „Stadtpräfekt Quintus Sanquinius Maximus hat mich mit dieser Nachricht zu Euch geschickt, Herr. Ich soll Euch ausrichten, dass diese Angelegenheit von höchster Dringlichkeit sei und er sich auf Eure Diskretion in dieser Sache verlassen möchte"
Vor Nervosität zitternd drückte ihm der Junge eine dünne Schriftrolle in die Hand, machte auf dem Absatz kehrt und huschte in die Dunkelheit der langen Gänge des eindrucksvollen Palastes.
Kurz sah Clemens sich nach allen Seiten um, aber er konnte niemanden entdecken, der die Szene hätte beobachten können. Mit gerunzelter Stirn zog er sich in die Stille seines Gemachs zurück, brach das Siegel, entrollte den Papyrus und überflog mit wachsender Bestürzung die schnell hingekritzelten Worte.

„Und Ihr seid Euch sicher, dass dies keine Fälschung ist?", wollte Julia erneut wissen, während ihre Großmutter tief in Gedanken versunken mit der kurzen Mitteilung des Stadtpräfekten in ihren Händen spielte.
„Ich habe das Siegel des Stadtpräfekten bereits mehrfach für Euch überprüft, Herrin", warf Caenis, Antonias Privatsekretärin, leise ein, während sich Clemens zum wiederholten Male wünschte, Julia hätte nicht darauf bestanden ihre Großmutter zu begleiten, als er sie zu sich rufen ließ. Je weniger Menschen wussten, dass der Arzt, der das Kind der mächtigsten Frau des Staates zur Welt gebracht hatte, nur kurze Zeit nach der Geburt in der Suburba ermordet worden war, desto besser konnte Clemens seiner Pflicht nachgehen die Familie seines Caesars zu beschützen. Da Aurelia noch immer fest in Somnus' sanften Händen lag, um neue Kraft zu schöpfen, hatte Clemens keine andere Wahl gehabt als sich in dieser Angelegenheit an Antonia zu wenden.
In einer Ecke saß Aurelias Privatsekretärin und protokollierte die Unterhaltung für ihre Herrin. Vermutlich würde Aurelia die Wachstafel nach dem Lesen vernichten. Abgesehen von den beiden Sklavinnen und Aurelias engsten weiblichen Angehörigen war der Raum leer. Dennoch waren für ihn bereits zu viele Menschen in diese Angelegenheit verwickelt. Aber diese Sache konnte und durfte nicht länger aufgeschoben werden, bis er sich nur an Aurelia wenden konnte. Sie mussten jetzt eine Lösung finden.
Clemens holte tief Luft und lenkte das Gespräch auf die eigentliche Frage, die ihn beschäftigte. Denn in seinen Augen war es am leichtesten die Echtheit des Briefes zu untersuchen, indem er so viele Informationen wie möglich über das Ableben von Aulus Aemilius Paetus sammelte. Als Präfekt der Prätorianergarde war er wie seine Vorgänger zwar durchaus in der Lage diese Ermittlungen ohne Rücksprache mit Gaius' Familie zu treffen. Aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern hatte er nicht vor das Vertrauen dieser Familie zu verlieren und so zog er es vor solche Entscheidungen gemeinsam zu treffen.
„Am liebsten wäre es mir, wenn Ihr unverzüglich Eure Männer zusammenrufen und das Haus des Arztes gründlich durchsuchen würdet", gab Antonia zu und fügt eine Sekunde später klagend hinzu, dass dies leider nicht möglich sei, weil eine Untersuchung nur ihre Feinde aufschrecken würde. Caenis sah aus, als würde auch sie intensiv überlegen, während Julia nach einem Becher Wein griff und einwarf: „Ich verstehe nicht, was an einem Mord in der Suburba so besonders sein soll. Der Mann hatte viel Geld bei sich, weil wir ihn großzügig belohnt haben. Wahrscheinlich war er auf dem Weg nach Hause, als irgendwelche Verbrecher auf ihn aufmerksam geworden sind und weil er seinen Geldbeutel nicht hergeben wollte, haben sie ihn umgebracht"
„Der Mann wohnte nicht in der Suburba, nicht einmal in ihrer Nähe", klärte Caenis leise auf und Antonia schnalzte ungeduldig mit der Zunge.
„Hatte der Mann seinen Geldbeutel noch bei sich?", wollte Antonia wissen und Clemens zuckte nur die Schultern. Er wusste nicht mehr, als der Stadtpräfekt ihm mitgeteilt hatte. Noch einige Minuten stritten die beiden Frauen über die Bedeutung und die Tragweite, die man dem Mord an Aurelias Arzt zukommen lassen könne und Clemens begann sich innerlich zu winden. Diese Diskussion drehte sich im Kreis und sie verschwendeten kostbare Zeit. Warum war Julia überhaupt hier, wenn sie doch am Ende keine Ergebnisse beitragen konnte?
„Warum warten wir nicht einfach bis Aurelia erwacht?", schlug Clemens vor, der mittlerweile bereute nicht doch auf Aurelia gewartet zu haben. Mit ihr hätte er schon längst eine gemeinsame Lösung gefunden. Antonia musterte ihn kühl und schüttelte gereizt den Kopf.
„Ich verstehe nicht, weshalb wir Aurelia überhaupt darüber informieren sollten. Sie hat gerade erst ein Kind zur Welt gebracht. Wir müssen sie schonen und dürfen sie nicht unnötig aufregen. Immerhin wird sie in weniger als einer Woche wieder im Senat erscheinen und sie darf nicht als schwach erscheinen", meinte Julia und sie hätte noch mehr gesagt, wenn Antonia ihr nicht eine schallende Ohrfeige verpasst hätte. Ungläubig starrte Julia ihre Großmutter an und rieb sich die Wange, wodurch sie jünger wirkte.
„Ich habe dich besser erzogen, Kind", sagte Antonia kalt und schüttelte enttäuscht den Kopf. „Wie kannst du nur eine solche Ignoranz und einen so großen Mangel an politischem Gespür an den Tag legen? Verstehst du wirklich nicht, dass dies keine Kleinigkeit ist? Deine eigene Schwester wurde auf ihr Landgut verbannt, weil sie hinter Aurelias Rücken Entscheidungen für sie getroffen hat. Willst du die Nächste sein, die auf die Gnade ihres Bruders angewiesen ist? Außerdem habe ich dir beigebracht, dass man als Frau Stärke nur durch Wissen erreichen kann. Unwissenheit führt zu Nachlässigkeit und Nachlässigkeit zu Unachtsamkeit und Unachtsamkeit kann für jede von uns tödlich sein. Wenn Aurelia fällt, bricht in Rom ein neuer Bürgerkrieg aus. Kannst du dir auch nur annähernd vorstellen, was das für unsere Familie bedeutet?"
Mit großen Augen starrte Julia ihre Großmutter an. Ihr Mund stand leicht offen, als würde sie widersprechen wollen, aber sie blieb stumm. Mehr denn je erinnerte sie Clemens an ein kleines Mädchen, das von ihrer Mutter getadelt worden ist. Was für ein gewaltiger Widerspruch zu der starken und intelligenten Frau, die sie in Aurelias Gegenwart war. Mehr denn je verstand Clemens, wie wichtig Aurelia für den Bestand dieser Familie war. Sie übte nicht nur das Amt ihres Mannes aus und schützte somit die Stellung ihrer Familie innerhalb der römischen Gesellschaft. Nein, Aurelia bewahrte diese Familie davor auseinanderzubrechen und Krieg gegeneinander zu führen. Augustus mag dem römischen Volk Frieden gebracht haben, aber Aurelia brachte den zerstrittenen und miteinander wetteifernden Nachfahren des Augustus Frieden.
„Meine Herrin würde anordnen die Sache diskret zu überprüfen", warf Prunia leise ein und Julia funkelte die Sklavin böse an, weil diese unerlaubt gesprochen hatte. Aber Antonia nickte nur nachdenklich und rieb sich mit dem Zeigefinger den Nasenflügel. In Caenis' Augen blitzte ein Anflug von Stolz auf, immerhin hatte sie Prunia ausgebildet.
„Ich werde die Sache selbst überprüfen", erklärte Clemens ruhig. Bedrohlich langsam wandten sich Großmutter und Enkelin ihm zu und augenblicklich trafen ihn all ihre angestauten Gefühle. Antonia schüttelte den Kopf und beharrte darauf, dass es bereits zu spät sei, während ihm Julia vorwarf, dass er Aurelia ungeschützt zurücklassen würde. Clemens knirschte mit den Zähnen und versuchte seine Gefühle zu kontrollieren, aber als die beiden Frauen sich nicht beruhigten und ihn mit weiteren Vorwürfen überhäuften, schlug er mit der Faust auf den teuren Eichenschreibtisch. Schlagartig herrschte Stille.
„Bei den Göttern, Frauen, könnt ihr mich nicht einmal ausreden lassen?", herrschte er sie barsch an. „Meine Pflicht steht für mich an oberster Stelle und ich werde niemals etwas unternehmen, was die Sicherheit eurer Familie gefährden würde. Im Moment befinden sich meine besten Kämpfer vor Aurelias Gemächern und ich habe anordnen lassen, dass ihre Kinder zu ihr gebracht werden. Ich empfehle euch nach unserer Unterhaltung ebenfalls dorthin zu gehen, weil dies im Augenblick der sicherste Ort in ganz Rom ist. Ich habe nicht vor auch nur einen einzigen Mann von seinem Posten abzuziehen, ich werde diese Angelegenheit allein überprüfen. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren. Werdet ihr mich meiner Pflicht nachgehen lassen oder wollen wir noch mehr Zeit mit sinnlosen Streitereien verschwenden?"

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt