Das leise Klopfen gegen die Tür ließ sie herumfahren. Eilig wischte sie sich die albernen Tränen aus dem Gesicht und huschte schnell an ihren Schreibtisch. Wahllos griff sie sich eines der Schriftstücke und tat so, als würde sie seit Stunden darin lesen. Geistesabwesend rief sie herein und machte sich nicht einmal die Mühe von ihrem Schriftstück aufzusehen. Immerhin zitterten ihre Hände nicht mehr. Parfum stieg ihr in die Nase. Ihr unangekündigter Besucher war eine Frau. Dem Schweigen nach tippte sie auf ihre andere Schwägerin.
„Es gibt nichts, was du sagen könntest, dass mich von meiner Entscheidung abbringen könnte", sagte Aurelia und hoffte inständig Julia würde sie mit ihren Gedanken allein lassen.
„Ich bin nicht hier, um für meine Enkelin um Gnade zu bitten", erwiderte eine Stimme sanft und überrascht sah Aurelia von ihrem Dokument auf. Ihr gegenüber saß Antonia und musterte sie aufmerksam. Fragend hob Aurelia eine Augenbraue und vergewisserte sich rasch, dass die Tür geschlossen war.
„Ich bin hergekommen, um mich zu entschuldigen", fuhr Antonia leise fort. „Aber ich habe von Agrippinas Plan erst erfahren, als eine vollkommen aufgelöste Julia vor ein paar Stunden in meiner Villa aufschlug und mich anflehte zwischen euch zu vermitteln. Es tut mir leid, dass es so weit kommen musste. Ich hätte Agrippina aufhalten müssen"
Müde strich sich Aurelia eine Haarsträhne aus dem Gesicht, erhob sich langsam und trat ans Fenster, damit Antonia ihre Gefühle schwerer lesen konnte.
„Sie hat mir keine andere Wahl gelassen", meinte Aurelia tonlos und war überrascht wie kräftig sich ihre eigene Stimme anhörte. Das Rascheln von Stoff und das Knarren des Polsters verrieten ihr, dass Antonia ihrem Beispiel folgte.
„Ich habe dich unterschätzt", gab die Ältere zu und Aurelia wandte den Kopf, um der Großmutter ihres Mannes in die Augen sehen zu können. Antonia wrang nervös ihre Hände, dann fügte sie hinzu: „Ehrlich gesagt, wusste ich nie, was ich von dir halten soll. Gaius hat sich nie die Mühe gemacht mir zu erklären, was es mit dir auf sich hat und eine Zeit lang habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. Ich weiß, dass du unser Gespräch am Abend vor seiner Abreise belauscht hast. Ich habe gesehen, wie du im Schatten verschwunden bist. Aber er hatte recht. Du kannst dich selbst beschützen und das bewundere ich. Nur die Wenigsten hätten mit Agrippina so verfahren. Das war sehr weise von dir und auch wenn du meine Hilfe nicht brauchst, kannst du jederzeit auf meine Unterstützung zählen"
Vollkommen überwältigt nickte Aurelia und wandte den Blick ab. Still blickten sie auf das pulsierende Rom und hingen ihren Gedanken nach. Nach einer Ewigkeit legte sich eine Hand auf ihren Arm und überrascht blickte sie auf Antonia hinunter.
„Herzlichen Glückwunsch", meinte Antonia warm und deutete verschwörerisch auf Aurelias Bauch. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass dies die erste positive Reaktion aud ihre Schwangerschaft war. Eine weitere Welle der Traurigkeit drohte über ihr zusammenzubrechen, aber sie zwang sich zu einem Lächeln und bedankte sich.
„Weißt du, meine Liebe", fuhr Antonia sanft fort. „Manche Entscheidungen werden uns unser Leben lang verfolgen und wenn ich mir das Schicksal meiner Kinder ansehe, muss ich feststellen, dass ich meine Rolle als Mutter nicht so erfüllen konnte, wie sie es verdienen. Über mein Goldkind habe ich die anderen übersehen und als er nicht mehr da war, verstand ich, dass ich die Beziehung zu Livilla und Claudius nicht mehr retten konnte. Ich weiß noch immer nicht, was ich von Claudius denken soll. Aber für Livilla war meine Erkenntnis definitiv zu spät, sie hatte sich längst gegen ihre Familie und ihre Pflicht entschieden. Wäre es nicht meine Pflicht gewesen, sie von Anfang an auf einen anderen Weg zu führen? Aber als ich Sejanus in meinem Verlangen nach Rache für die Ermordung meines geliebten Germanicus und seiner Frau endlich zu Fall bringen konnte, fiel Livilla mit ihm. Meine eigene Tochter musste fallen, damit meine Enkel leben konnten. Ich bin sehr froh, dass Gaius und Julius dich haben. Du machst deine Sache in jederlei Hinsicht besser als ich. Du gibst allen Frauen Hoffnung, dass ihre Stimme etwas zählt, weil deine Stimme gehört wird und solange ich lebe, werde ich nicht zulassen, dass jemand dich zum Schweigen bringt"
Aurelia seufzte tief und gerade als sie etwas erwidern wollte, öffnete sich ihre Tür und Clemens steckte den Kopf herein. Knapp meldete er, dass Agrippina und Lucius sich gut bewacht auf dem Weg an ihren vorläufigen Verbannungsort befanden. Sie nickte nachdenklich und Clemens ließ sie wieder mit Antonia allein.
„Wann wird diese Familie endlich aufhören sich selbst zu zerstören?", murmelte sie und Antonia musterte sie traurig, denn auch sie kannte die Antwort nicht.
DU LIEST GERADE
Aurelia
Historische RomaneIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...