Kapitel 54 ~ Perduellio

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„Ich muss dem Volk mitteilen, was geschehen ist“, sagte Gaius bedrückt und verschlafen erwiderte Aurelia seinen Blick. Das Volk würde doch sicher noch einen Tag warten können. Statt zu antworten hob sie nur fragend die Augenbraue und schloss dann wieder die Augen. Vorsichtig wagte Gaius den Versuch aufzustehen, doch sofort klammerte sich Aurelia fester an ihn. Leise lachend lehnte er sich zurück und fuhr zärtlich über ihren nackten Rücken.
„Wir haben bereits einen Tag verschwendet, meine Liebe“, erinnerte er sie. „Mittlerweile werden die Prätorianer ihren zweiten Präfekten aus den von mir vorgeschlagenen Kandidaten gewählt haben und im Volk werden die wildesten Gerüchte in Umlauf sein. Ich muss eine Rede halten und unsere Version schildern, sonst könnte sich die Stimmung gegen uns wenden“
Aurelia seufzte theatralisch, schlug die Augen auf und gab widerwillig ihren Mann frei. Dieser drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und schlüpfte rasch aus dem Bett. Den Tag nach dem Fest der Bona Dea hatten sie beide verschlafen.
Doch nun mussten sie beenden, was sie angefangen hatten. Auch wenn jede Faser ihres Körpers liegen bleiben wollte, stand Aurelia auf und warf sich eine Tunika über, während Gaius bereits im Nebenraum in seine Toga gewickelt wurde. Für einen kurzen Moment verharrte ihr Blick auf dem Brustpanzer, der unachtsam in eine Ecke des Raumes geschleudert dalag und bedauerte, dass er nicht öfter getragen wurde. Doch im nächsten Augenblick fiel dieses Gefühl von ihr ab. Dies war immer noch das Kleidungsstück eines Kriegers. Sie konnte von Glück reden, dass Gaius ihn nicht oft anlegen musste.
Lautlos erschienen ihre Mädchen und verrichteten gewohnt heiter ihre Arbeit. Zeitgleich mit Gaius war Aurelia fertig und die Sklaven und Sklavinnen verließen die Gemächer. Langsam trat sie auf Gaius zu und legte ihm sacht eine Hand auf den Unterarm.
„Hast du mittlerweile entschieden, was nun mit den beiden geschehen soll?“, fragte sie leise und er wich ihrem Blick aus.
„Ich habe keine Ahnung“, gestand er und spielte unruhig mit seinem Siegelring. Beruhigend malte sie unsichtbare Muster auf seinen Arm und er entspannte sich langsam.
„Zu Beginn meiner Herrschaft habe ich die Hochverräterprozesse beendet“, fuhr er nachdenklich fort. „Doch die beiden sind schuldig und wenn der Senat auch nur das kleinste Anzeichen meinerseits zu erahnen glaubt, werden noch heute ihre Köpfe rollen und ihre Namen verdammt. Aber diese Prozesse haben meine Mutter und meine Brüder zerstört. Damit will ich einfach nichts zu tun haben“
Verständnisvoll nickte Aurelia und Gaius ergriff ihre Hand. Dann fragte er sie, was sie an seiner Stelle tun würde.
„Eure Gesetze kenne ich nicht besonders gut“, fing sie an und endlich blickte ihr Gaius erwartungsvoll in die Augen. „Aber ich würde unter keinen Umständen ein Urteil durch den Senat erwirken lassen. Der Senat ist kein Gericht, sondern eine Versammlung von Magistraten, die über Gesetze debattieren soll. Deshalb würde ich Klage gegen Macro und Gemellus an dem dafür zuständigen Gerichtshof einreichen. Somit würde das Volk bekommen, wonach es nach Nahrung am meisten lechzt: ein Spektakel und niemand würde mir jemals vorwerfen können, ich hätte meine Macht oder die des Senates missbraucht, weil ich nicht als Richter auftreten werde“
Perduellio“, murmelte Gaius und ein feines Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Das könnte funktionieren“

Beinahe zehn Tage waren bereits seit der Inhaftierung von Macro und Gemellus vergangen. Seitdem waren die beiden Gefangenen in eisernes Schweigen gefallen. Die Spannung innerhalb der Stadt wurde immer gereizter. Der Pöbel schrie nach dem Blut der Verräter: Doch die gegen die beiden erhobene Klage würde erst im neuen Jahr bearbeitet werden, wenn die neuen Prätoren ihr Amt antreten würden. Die Aussicht auf einen spektakulären Prozess schien Rom ein wenig zu besänftigen.
Gerade saß Aurelia gemeinsam mit ihren Schwägerinnen zusammen und versuchte ihren Worten zu folgen. Drusilla erzählte ihnen gerade von ihrer neuesten Eroberung, aber während die anderen die Erzählende eifrig ausfragten, verlor Aurelia immer wieder den Faden und hielt sich nachdenklich zurück. Eine andere Sache zog immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich. Seit einigen Tagen trug sie diese Sache nun schon mit sich herum und zerbrach sich den Kopf an ihr. Zu viele Puzzleteile fehlten ihr und so konnte sie das Bild einfach nicht durchschauen. Die Lösungen, die ihr einfielen, machten ihr Angst.
Plötzlich legte sich eine Hand auf ihren Arm und riss sie aus ihrer düsteren Fantasie. Blinzelnd begegnete sie Julias Blick.
„Geht es dir gut?“, erkundigte sich diese leise und die aufrichtige Besorgnis in ihrer Stimme vertrieben einen Teil von Aurelias dunklen Vermutungen aus ihrem Kopf. Lächelnd drückte sie Julias Hand und nickte. Julia setzte schon zu einer weiteren Frage an, wurde jedoch von Agrippina unterbrochen. Mittlerweile konnte das Kind jederzeit kommen. 
„Ich bin müde und werde mich in meine Gemächer zurückziehen“, erklärte sie und erhob sich mühsam. Im Scherz hob sie den Zeigefinger drohend vor Drusillas Gesicht und meinte, diese solle ja nicht ohne sie weiter von diesem neuen Kerl erzählen. Drusilla kicherte, während Julia nur die Augen verdrehte. Sie wusste nur zu gut, dass Drusilla die gleiche Geschichte später noch einmal in Agrippinas Gegenwart wiederholen würde.
Hastig stand Aurelia auf und erklärte, sie würde Agrippina gern ein Stück begleiten. Diese zuckte nur müde mit den Achsel und wandte sich zum Gehen. Drusilla zog einen Schmollmund, während Julias besorgte Augen ihnen folgte, bis sich die Zimmertür hinter ihnen schloss. Eine Weile liefen sie still nebeneinander, wobei Aurelia sorgfältig ihren Schritt an Agrippinas Tempo anpasste.
„Was bedrückt dich?“, fragte Agrippina leise, als sie in einen menschenleeren Flur einbogen. Aus Reflex sah sich Aurelia nach potentiellen Zeugen um und blieb dann mitten im Gang stehen. Müde schloss sie die Augen und atmete tief ein und aus.
„Du hast Macro im Carcer besucht“, brachte sie tonlos heraus, schlug im selben Moment die Lider auf und suchte in Agrippinas Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen, dass diese Information falsch war. Doch die Schwangere nickte nur. Entsetzt riss Aurelia die Augen auf und wich einen Schritt zurück. Fassungslos starrte sie Agrippina an, während ihre Gedanken rasten.
„Wieso?“, fragte sie und konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie ihre Schwägerin anschrie. Schuldbewusst legte Agrippina eine Hand auf ihren gewölbten Bauch.
„Bitte lass es mich dir erklären“, bat sie leise und Aurelias Gesicht wurde ausdruckslos. Erwartungsvoll verschränkte sie die Arme vor der Brust und wartete. Agrippina schluckte schwer, nahm all ihren Mut zusammen und öffnete den Mund, als plötzlich hastige Schritte durch die Gänge hallte. Verängstigt presste sie die Lippen aufeinander und sah sich wie ein in die Enge getriebenes Tier panisch nach allen Seiten um. Die Schritte wurden lauter. Über diese Störung genervt drehte Aurelia ihren Kopf in Richtung des Geräuschs, als im nächsten Moment eine vertraute Gestalt um die Ecke bog.
„Den Götter sei Dank!“, rief Clemens erleichtert aus. „Aurelia, du musst unbedingt mit mir kommen, bevor Gaius einen Fehler begeht, den er bis an sein Lebensende bereuen wird!“
Panik sprach aus Clemens‘ sonst so freundlichen Augen. Aurelia verstand sofort und alles andere wurde bedeutungslos. Voller Angst, ihre schlimmsten Alpträume würden nun wahr werden, wandte sie sich von der überrumpelten Agrippina ab und stürmte los. Während sie rannte, betete sie, es möge nicht bereits zu spät sein.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt