Kapitel 25 ~ Der neue Princeps

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Wann Gaius vergangene Nacht die Villa seiner Großmutter verlassen hatte, wusste Vespasian nicht. Dafür hatte er sich zu sehr auf seine Caenis konzentriert. Wie schade, dass er sie nicht heiraten konnte. Doch die Ehe zwischen einer Freigelassenen und einem Senator war nun mal verboten. Vespasian konnte die Pflicht gegenüber seiner Familie nicht verletzen und seinen Rang als Senator aufgeben. Dafür hatte er bereits zu hart gearbeitet. Nun blieb ihm nichts anderes übrig als aufzusteigen und das Ansehen seiner Familie weiter zu steigern. Seit einigen Monaten fragten seine Eltern ihn in jedem ihrer Briefe, ob er endlich eine passende Partie ausgemacht hatte.
Unauffällig musterte er Aurelia, die zwischen seinem Onkel und ihm auf der Tribüne des Zirkus saß. Im Sonnenlicht schimmerten ihre Haare wie frischer Honig, wie auch schon am Abend zuvor fielen sie ihr offen über die zarten Schultern. Ihr Gesicht war edel und nicht so rund wie sein eigenes, ihre Nase perfekt, die Lippen rosig und einladend. Ohne Zweifel würde sie eine ausgezeichnete Ehefrau und Mutter für ihn und ihre Kinder abgeben und ihre hohe Mitgift reizte ihn. Sie wirkte nicht wie eine Frau, die nicht mit Geld umgehen konnte. Vespasian hatte heimlich einen Blick in die Bücher seines Onkels geworfen und war erstaunt gewesen, wie gering der Betrag für Aurelias Unterhaltskosten ausgefallen war.
„Hast du schon mal einen richtigen Gladiatorenkampf gesehen, mein Kind?“, fragte Vespasius unbekümmert. Aurelias Lächeln gefror und ihr Gesicht verlor etwas von seiner Farbe. Schnell senkte sie den Blick und verneinte die Frage. Während sein Onkel ihr alles Wissenswerte über die Kämpfe erklärte, ließ Vespasian seinen Blick durch den Zirkus schwenken. Kein einziger Platz war frei. Sie alle waren zu Ehren ihres Kaisers erschienen und warteten aufgeregt. Aufgrund des überraschenden Frühlingsanfangs wurden Stoffplanen gerade ausgefahren, damit die vornehmeren Zuschauer nicht unter der Sonne leiden würden.
Plötzlich erschien Gaius in seiner Loge und das Volk jubelte ihm begeistert zu. Der junge Princeps suchte die Ränge der Senatoren ab und als er Aurelia entdeckte, schenkte sie ihm trotz ihrer Anspannung ein warmes Lächeln. Hatte Gaius ihr gerade zugezwinkert oder hatte sich Vespasian das eben nur eingebildet? Langsam bekam ihr Gesicht seine alte Farbe zurück und erinnerte Vespasian nicht länger an eine frischgewaschene Toga. Was war da nur zwischen den beiden, fragte er sich aus reiner Neugierde. So sanft hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Hatte Vespasians schöne Cousine etwa das Herz des Princeps gestohlen? Nachdenklich lehnte sich Vespasian zurück. In all den Jahren hatte er seinen Freund noch nie verliebt gesehen und niemals so unbedacht. Vespasian nahm sich vor Aurelia zu warnen, sobald sie das nächste Mal allein sein würden.
Dann betraten etwa fünfzig Gladiatoren die Arena unter ihnen und begrüßten ihren Princeps. Auf einen Wink des Caesaren begannen die Sklaven miteinander zu kämpfen. Bei jeder Attacke schrie das Volk seine Begeisterung heraus und auch die Senatoren um sie herum hielten sich kaum zurück. Fasziniert beobachtete Vespasian das Durcheinander. Er selbst hatte schon in einigen Schlachten gekämpft, doch die römische Kriegsmaschinerie ging methodisch, geordnet und diszipliniert vor. Dort unten kämpfte jeder gegen jeden und das absolute Chaos regierte. So einen heftigen, unerbittlichen und brutalen Gladiatorenkampf hatte er noch nie zuvor gesehen.
Als der erste Gladiator auf dem Boden aufschlug und die Menge johlte, hätte er beinah Aurelias Schrei überhört. Widerwillig drehte er sich zu ihr. Sie war bleich wie der Tod, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen. Krampfhaft klammerte sie sich an der Steinkante der Sitzbank fest. Ihr Blick huschte immer wieder zwischen den Kämpfenden und Gaius hin und her. Der Princeps feuerte die Gladiatoren gemeinsam mit seinem Volk leidenschaftlich an. Aurelias Atmung erinnerte ihn an einen Sprinter kurz vorm Zusammenbruch. Ihr bleiches Gesicht nahm einen grünen Farbton an. Ungeachtet des Protests der Senatoren sprang sie von ihrem Platz auf, stieß unsanft gegen Vespasian, dann drängte sie sich an den anderen Zuschauern vorbei zum Ausgang. Ohne zu Zögern folgte Vespasian ihr und entschuldigte sich zu allen Seiten. Am Ausgang taumelte sie gegen einen der Prätorianer. Als er an ihm vorbeiging, fühlte er die dunklen Augen seines langjährigen Feindes: Macro. Was tat er hier? Wieso beschütze er nicht den Princeps? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen fehlte Vespasian die Zeit. Aurelia hatte jetzt seine oberste Priorität, um Macro würde er sich später kümmern.
In der Dunkelheit des Aufgangs wäre er fast über sie gestolpert. Zusammengekauert saß sie dort, die Arme fest um sich geschlungen, den Kopf gegen die kalte Wand gelehnt, die Augen geschlossen. Vorsichtig hockte er sich neben sie. Rasch gewöhnten sich seine Augen an das schummrige Licht. Gedämpft drang der Lärm der Arena zu ihnen. Langsam beruhigte sich ihr gehetzter Atem.
„Geh wieder rein, Vespasian“, bat sie ihn mit kraftloser Stimme. „Ich möchte dich nicht von diesem Spektakel fernhalten“
„Ich kümmere mich um meine reizende Cousine. Das ist jetzt wichtiger als die Spiele, die finden morgen auch noch statt“, erwiderte er und Aurelia sah ihn erschrocken an. Dann lachte sie freudlos auf.
„Brot und Spiele“, murmelte sie immer wieder bitter. Plötzlich wurde Vespasian bewusst, dass Aurelia weinte. Hilflos blickte er sie an. Nie zuvor hatte er eine Frau weinen sehen – schon gar nicht bei einem solch aufregenden Ereignis wie den Spielen. Unbeholfen tätschelte er ihren Rücken.
„Was ist los?“, fragte er leise und Aurelia schluchzte leise auf.
„Ich kann das nicht“, meinte sie verzweifelt und vergrub das Gesicht in den Händen. Behutsam fragte er nach, was sie nicht könnte.
„Ich kann nicht zusehen, wie er sich selbst zerstört“, sagte sie stockend und schluchzte noch einmal herzzerreißend auf. Verwundert schaute Vespasian auf sie herab. Meinte sie etwa Gaius? Geduldig wartete er, doch kein weiteres Wort kam ihr über die Lippen.
Plötzlich tauchte einer der Knaben seines Onkels neben ihnen auf und erkundigte sich nach der jungen Herrin.
„Sagst du meinem Vater bitte, dass es mir nicht gut geht und ich mich auf den Weg nach Hause gemacht habe, Esteban“, antwortete sie und wischte sich die Tränen fort. Der Knabe verbeugte sich vor ihr und eilte zurück zu seinem Herrn. Zittrig stand sie auf und klopfte sich den Dreck von ihrer Stola. Eilig erhob Vespasian sich ebenfalls und nahm ihren Arm.
„Du kannst ruhig wieder reingehen, Vespasian. Ich finde den Weg schon allein zurück“, sagte sie überrascht und Vespasian lachte leise auf.
„Ich werde meine teure Cousine ganz sicher nicht alleine nach Hause gehen lassen“, erwiderte sanft. Am Eingang wartete bereits Magnus mit einem seiner Jungs. Während des Weges beteiligte sich Aurelia nicht an ihrem Gespräch. Blass wie ein kleiner Geist glitt sie neben ihnen her ohne etwas wahrzunehmen. Sie war vollkommen gefangen in der Welt ihrer düsteren Gedanken.
Im Atrium brachte ihr ein überraschter Knabe einen Becher mit Wasser verdünnten Wein. Dankend nahm Aurelia ihn entgegen und setzte sich auf den steinernen Brunnenrand. Gedankenverloren starrte sie ins Wasser und nippte immer wieder an ihrem Becher. Zögernd setzte sich Vespasian neben sie. Leise fragte er, ob es ihr gut ginge. Aurelia wich seinem Blick aus und nach kurzem Hadern hob sie den Kopf.
„Ich weiß es nicht“, gestand sie verwirrt. „Noch nie in meinem Leben hab ich etwas derart grässliches und brutales gesehen. Wir nennen unsere Sklaven Barbaren, doch selbst lassen wir andere Menschen auf Leben und Tod zu unserem Vergnügen kämpfen“
Vespasian legte den Kopf schräg und sie seufzte. Ihr Gesicht verschloss sich langsam vor ihm.
„Geh zurück zu den Spielen, Vespasian. Auf mich muss niemand aufpassen“, forderte sie ihn müde auf und stellte den Becher neben sich. Mit der Erhabenheit einer Göttin stand sie auf und setzte sich in Bewegung.
„Du hast gesagt, dass du nicht hierbleiben kannst“, rief Vespasian ihr hinterher und sie erstarrte. Widerwillig drehte sie sich zu ihm um und wartete. „Ein paar Meilen außerhalb von Rom befindet sich mein Landgut in Cosa. Eigentlich hatte ich vor erst in zwei Monaten, wenn der Sommer bevorsteht, mich dorthin zu begeben. Aber wenn du magst, können wir noch heute abreisen. Dort könntest du dich sammeln und erst einmal herausfinden, was du willst“
Die Verwunderung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Vespasian zögerte kurz, dann fügte er erklärend hinzu: „Mit Gaius bin ich schon sehr lange befreundet und er kann sehr charmant sein, wenn er etwas will. Wenn du bleibst, wird er dich zu allem überreden, was er will. Möchtest du das wirklich?“
Zögerlich schüttelte sie ihren hübschen Kopf. Dann rief sie ein paar Sklaven zusammen und befahl ihnen in überraschend freundlichem Ton ihre Sachen zu packen.
„Dann auf nach Cosa“, sagte sie und in ihre Augen trat wieder dieser Glanz, den sie seit dem Beginn der Spiele verloren hatten. Lächelnd wandte sie sich ab und eilte in ihre Gemächer. Keine Stunde später befanden sie sich auf der verlassene Landstraße zu seinem Landgut. Aurelias Gepäck war so gering, dass es sich in ihrer Satteltasche verstauen ließ. Ab und zu drangen die Rufe, die Schreie und der Jubel aus dem Zirkus zu ihnen. Vespasian ließ sein Pferd anhalten und blickte zurück auf die Stadt unter ihnen. Aurelias Pferd gesellte sich zu seinem.
„Mein Leben lang habe ich von dieser Stadt geträumt und jetzt habe ich sie nicht einmal einen Tag ertragen“, sagte sie bedauernd. Forschend musterte er sie. In ihrem Gesicht entdeckte er eine alles verzehrende Sehnsucht, die ihm Angst machte.
„Wir werden zurückkehren“, versprach er sanft. Aurelia setzte sich aufrechter in den Sattel und wendete umständlich ihr Pferd.
„Bist du jemals geritten?“, fragte er sie verwundert. Verlegen schüttelte sie den Kopf. Verärgert runzelte Vespasian die Stirn.
„Dann sollte ich besser neben dir reiten“, erwiderte er und gemeinsam ließen sie Rom hinter sich.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt