Kapitel 11 ~ Auf der Flucht

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Mit einem lauten Krachen fiel die Tür hinter Gaius ins Schloss und vor Schreck zuckte sie so heftig zusammen, dass sie ihr Gleichgewicht verlor. Auch wenn sie es vor Gaius niemals zugeben wollte: Seitdem sie jede Nacht auf der Speiseliege schlief, war ihr Nacken höllisch verspannt. Verwundert musterte Aurelia sein panisches Gesicht und begab sich wieder in den verwehten Baum. Yoga hatte sie schon immer geliebt und nur weil es noch nicht erfunden war, weigerte sie sich darauf zu verzichten.
„Du musst sofort hier weg!", platzte er vollkommen außer Atem heraus. Gelassen zog Aurelia eine Augenbraue hoch, gab genervt ihre Pose auf und machte Anstalten Gaius Wein in einen Kelch einzuschenken. Mit wenigen großen Schritten war er bei ihr und hielt sie an den Händen fest.
„Mein Gott, Gaius! Was ist denn heute in dich gefahren?", fuhr sie ihn an, doch er schien sie gar nicht wirklich zu hören. Etwas in seinen Augen beunruhigte sie. Noch einmal, aber sanfter, fragte sie, was los sei. Voller Entsetzen erwiderte er ihren Blick und antwortete: „Tiberius weiß Bescheid. Du musst Capri sofort verlassen. Ich habe schon mit Clemens gesprochen, bei Einbruch der Dunkelheit bringt er dich mit einem kleinen Boot zu einem Schiff, welches dich sicher zu meinen Schwestern bringen wird. So bald ich kann, werde ich sie wie geplant besuchen"
Wie betäubt blickte sie zu ihm auf. Sie waren doch so vorsichtig gewesen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf und entzog ihm sanft ihre Hände. Sie ließ ihren Blick auf das Meer hinaus schweifen und plötzlich stieg Panik in ihr auf. Sie war noch gar nicht bereit auf andere Römer zu treffen. Es gab noch so vieles, was sie lernen musste. Sie war dafür noch nicht bereit.
Behutsam legten sich seine Hände um ihr Gesicht und sanft zwang er sie ihm wieder in die Augen zu sehen. Seine Finger fuhren ihr zärtlich über die Wangen. Seine Berührung konnte ihr nur einen kleinen Teil der Angst nehmen. Hastig senkte sie ihre Lider, damit sie nicht anfing zu weinen. Sie wollte noch nicht von ihm weg. Seit sie ihm endlich die Wahrheit über sich erzählt hatte, waren ihre Gefühle für ihn nur noch stärker geworden.
„Aurelia", flüsterte er ernst. „Sieh mich an!"
Sofort trafen sich ihre Blicke und in ihrem ganzen Körper bereitete sich Wärme aus. Sein Gesicht war voller Ernst und Sorge. Ob sie den nächsten Tag überleben würden?
„Ich lasse nicht zu, dass mein Onkel auch nur einen Finger gegen dich rührt", versprach er. „Meine Großmutter hat mir schon vor einem Monat mitgeteilt, dass alle Beweise für deine Geschichte an ihren Stellen sind. Es war selbstsüchtig von mir dich länger in meiner Nähe haben zu wollen. Vergib mir, Aurelia"
Der Schmerz in seinen letzten Worten schnitt ihr wie ein Messer ins Herz. Mit gleichem Ernst flüsterte sie zurück: „Es gibt nichts zu vergeben. Ich möchte dich ebenso wenig jetzt verlassen wie ich es gestern, letzte Woche oder vor einem Monat wollte. Wir werden das überleben"
Er zog sie an sich und Aurelia vergrub ihr Gesicht an seiner Brust. Bis in alle Ewigkeit hätten sie so verweilen können, doch es klopfte drei Mal kurz und einmal lang. Rasch lösten sie sich voneinander, bevor Sophia ins Zimmer trat.
„Es ist Zeit, Herr", murmelte sie und Gaius nickte gequält. Hastig zog er sich einen Ring von seinem kleinen Finger und schob ihn behutsam auf ihren Mittelfinger. Seltsam, bis jetzt war ihr überhaupt nicht aufgefallen, dass er an jeder Hand einen Ring trug: auf dem linken Zeigefinger einen goldenen Siegelring und bis eben einen kleinen Ring mit einem dunkelblauen Edelstein. Traurig blickte sie ihm wieder ins Gesicht. Ein letztes Mal musterte er Aurelia und nach einigem Ringen mit sich selbst beugte er sich vor und drückte ihr einen leichten Kuss auf die Stirn.
„So bald ich kann, werde ich zu dir kommen", versprach er. Aurelia schenkte ihm ein besorgtes Lächeln und erwiderte: „Pass auf dich auf, Gaius"
Dann kehrte sie ihm den Rücken zu und schritt erhobenen Hauptes zu Sophia. Ein letztes Mal blickte sie lächelnd in Gaius' besorgtes Gesicht.
„Mögen die Götter auf dich aufpassen, Aurelia", wisperte er so leise, dass Aurelia sich nicht sicher war, ob er tatsächlich noch etwas gesagt hatte. Sobald die Mauer sie trennte, fiel Aurelias Lächeln in sich zusammen und ihr war elend zumute. Doch sie schluckte ihre Angst hinunter und folgte Sophia durch die Finsternis. Während des ganzen Weges war sie so nervös, sodass sie kein einziges Wort an die alte Sklavin richten konnte.
Seit ein paar Wochen war Gaius mit ihr den langen, verschlungenen Weg jeden Tag entlanggelaufen, damit er sich in ihr Gedächtnis einbrannte. Jetzt fehlte ihr seine vertraute Gegenwart. An der vereinbarten Stelle angekommen, wandte sich die alte Sklavin zu ihr um und drückte sanft Aurelias Hand.
„Mögen die Götter ihre schützenden Hände über Euch halten", wisperte die alte Frau leise, dann verschwand sie in der Finsternis und Aurelia setzte sich müde auf den Boden. Jetzt konnte sie nur noch warten und hoffen, dass dieser Gang vergessen blieb.

Stumpf vom langen Warten in der Dunkelheit ließ sich Aurelia von Clemens in das kleine Boot und über das Meer in Richtung Schiff schaffen. Immer wieder blickte er nervös zurück zur Villa, aus der immer wieder der leise Widerhall von Musik und Gelächter vom Wind zu ihnen getragen wurden. Berechnend musterte Aurelia den jungen Mann, der ihr gegenüber saß. Er riskierte einfach so sein Leben, seine politische Zukunft und das Leben seiner Familie für sie. Warum?
Kaum hatten sie das Schiff erreicht, wurde ein Seil nach unten gelassen. Zögernd griff sie danach. Ein letztes Mal drehte sie sich zu Clemens um und bedankte sich leise.
„Mögen die Götter über Euch wachen", antwortete der junge Mann und Aurelia meinte den Hauch eines Lächelns in seinem Gesicht aufblitzen zu sehen. Dann nickte er jemandem an der Reling des Schiffes zu, Aurelia wurde nach oben gezogen und Clemens verschwand aus ihrem Blickfeld.
Bald packten raue Hände nach ihr und zogen sie an Deck. Missbilligend musterte der Captain ihre dünne Tunika und wies den gerade vorbeikommenden Matrosen an ihr eine Decke zu bringen. Der junge Mann tauchte schon bald neben ihr auf und legte ihr vorsichtig etwas um die Schultern. Dankend zog Aurelia die Decke enger um sich und sofort breitete sich Wärme in ihrem Inneren aus. Lange beobachtete sie die immer kleiner werdende Villa am Horizont.
Plötzlich frischte der Wind auf. Irritiert blickte sie nach oben, als die ersten Tropfen auf sie niederfielen. An Deck wurde es augenblicklich hektisch, Befehle und auch der ein oder andere Fluch wurde gebellt. Das Schiff begann immer mehr zu schwanken. Ohne zu zögern setzte sie sich in Bewegung.
„Was ist los?", fragte Aurelia den Kapitän, doch dieser war zu sehr damit beschäftigt ein Seil festzubinden. Rasch nahm sie ihm diese Aufgabe ab. Als Kind war sie fasziniert von allerlei Knoten gewesen und erst vor kurzem hatte sie ihren Bootsführerschein gemacht. Verwundert beobachtete der Seemann ihre kundigen Handgriffe, dann antwortete er brüllend, ein Sturm sei aufgekommen und dränge sie nun vom Festland zurück. Aurelia fragte, wie sie helfen könnte, doch seine Antwort hörte sie nicht mehr. Ein Blitz krachte in den Hauptmast des Schiffes, dieser kippte mit einigem Ächzen um und riss ein Loch in die Reling direkt hinter der jungen Frau. Aurelia hatte keine Zeit mehr zu reagieren, als die nächste Welle das Schiff traf, wurde sie von Bord geschleudert.
Reflexartig versuchte sie Ruhe zu bewahren und wieder an die Oberfläche zu kommen. Doch sie wusste nicht mehr, was oben oder unten war. Verzweifelt versuchte sie dem Drang zu atmen zu widerstehen und das Bewusstsein nicht zu verlieren. Langsam benebelte die Kälte des Wassers ihre Sinne und sie begann in die Dunkelheit abzudriften. Gaius lächelndes Gesicht tauchte vor ihr auf, dann wurde alles schwarz.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt