Kapitel 43 ~ Fama

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Schon bevor Aurelia die Augen aufschlug, spürte sie, dass irgendetwas anders war. Irgendetwas Wichtiges fehlte. Verschlafen richtete sie sich in ihrem Bett auf. Für antike Verhältnisse war es überdurchschnittlich groß, sodass zwei Personen darin schlafen konnten, ohne sich übereinander zu stapeln.
Doch der Platz neben ihr war leer und kalt. Durch den Spalt der halb geöffneten Tür fiel Licht aus Gaius' Arbeitszimmer in ihr Schlafgemach. Aurelia lehnte sich ein Stück vor und entdeckte ihn an seinem Schreibtisch über seinen Dokumenten brüten.
Müde fuhr sie sich durchs Haar, wickelte sich in ihre warme Bettdecke und tappte barfuß zu ihm. Als er ihre Schritte hörte, blickte er auf und lächelte sie entschuldigend an.
„Warum schläfst du nicht?", fragte Aurelia besorgt, trat hinter ihn und legte ihm eine Hand in den Nacken. Erschöpft lehnte er sich gegen sie und schloss die Augen, so als quälten ihn starke Kopfschmerzen. Sanft begann Aurelia seine Schläfen zu massieren und blickte über seine Schulter auf die Dokumente. Zwar hatte sie sich mittlerweile an Transcript gewöhnt, die fortlaufende Schreibweise der Römer ohne Trennung von einzelnen Wörtern, aber im Moment war sie noch zu müde und so verschwammen die Buchstaben vor ihren Augen zu einer undurchschaubaren Masse.
Langsam entspannte sich Gaius. Nach einer Weile schlug er die Augen auf und sein typisches schiefes Grinsen lag wieder auf seinem Gesicht. Als Aurelia ein Stück von ihm zurückwich, um sich auf einem Stuhl ihm gegenüber niederzulassen, legten sich plötzlich seine Hände auf ihre Hüften und zogen sie auf seinen Schoß. Lachend legte Aurelia ihre Arme um seinen Hals. Dann fiel ihr Blick auf die Ringe unter seinen Augen und mit einem Schlag wurde sie wieder ernst.
„Was beunruhigt dich?", fragte sie leise und musterte besorgt sein ausgelaugtes Gesicht. Gaius seufzte tief und begann mit einer ihrer Haarsträhnen zu spielen. Federleicht stupste sie ihn an und ein freudloses Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Dann murmelte er etwas so leise, dass sie ihn nicht verstand. Streng hob sie die Augenbraue. Gaius ließ ihre Haare los und strich sanft über ihre Wange.
„Das Warten macht mich wahnsinnig", gestand er leise und sah ihr fest in die Augen. „Jede weitere Stunde, die verstreicht, ohne dass Macro und Gemellus ihren nächsten Zug ausführen, bist du in Gefahr. Wenn sie mich immer noch beseitigen wollen, können sie dich nicht verschonen. Ich möchte endlich gezielt gegen sie vorgehen können und ihre Pläne zunichte machen, aber dafür muss ich wissen, was sie vorhaben"
Kurz schwieg Aurelia und dachte nach. Dann wollte sie wissen, wie er die von Macro und Gemellus ausgehende Gefahr zu eliminieren gedenke.
„Das Einfachste wäre ihnen Selbstmord zu befehlen", antwortete Gaius prompt und sie starrte ihn entsetzt an.
„Aber am Sinnvollsten wäre ein Gerichtsverfahren", fuhr er schnell fort und versuchte ihr anhand der Prozesse seiner beiden älteren Brüdern zu erklären, wie sie vorgehen mussten.
„Wir könnten diese Perserin benutzen", warf Aurelia ein, doch Gaius schnaubte nur, dass kein Römer dem Wort einer ausländischen Hure mehr glauben würde als einem römischen Bürger – selbst wenn die Aussage der Hure von römischen Bürgern beglaubigt wäre.
„Ich verstehe, dass die Beweise unantastbar sein müssen", erwiderte sie. „Aber wir sind uns einig, dass Macro das größere Problem darstellt. Wenn ich daran denke, dass unsere Sicherheit von ihm abhängt... Mina ist immer noch im Gefängnis deiner Großmutter. Ihr wurde kein Haar gekrümmt. Keiner weiß, wo sie sich befindet. Wir haben das Mädchen bereits in der Hand und sie ist vor allem eines: eigennützig. Wenn wir ihr geben, was sie will, wird sie alles für uns tun. Gemellus hat eine Schwäche für sie. Wenn sie sich bei ihm meldet und um ein Treffen bittet, werden Macro und er darauf eingehen. Wenn wir Gemellus zu einem Geständnis überreden können, wird Macro fallen"
„Das sind ganz schön viele Wenns", murmelte Gaius müde und zog sie näher an sich. Liebevoll fuhr ihm Aurelia durchs Haar.
„Ich weiß, mein Herz", hauchte sie. „Und dafür brauchen wir all unsere Kräfte. Also komm wieder ins Bett und schlaf!"
Wortlos stand Gaius mit ihr in seinen Armen auf und schritt zum Bett. Darauf setzte er sie behutsam ab und da ihre Hände immer noch in seinem Nacken verschränkt waren, zog sie ihn mit sich auf das große, einladende Bett.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt