22. Dezember 41
Normalerweise waren die Saturnalien ein ausgelassenes und überaus lebhaftes Fest. Bevor Aurelia in der Zeit gereist war, hatte sie sich die Saturnalien immer wie eine Art antiken Karneval vorgestellt. Immerhin tauschten für einen Tag Sklaven und Herren ihre Rollen. Es war eine Zeit, in der Scherze erlaubt waren, weshalb nicht jedes Wort automatisch für bare Münze gehalten werden konnte. Aber dies waren die ersten Saturnalien ohne Gaius und Agrippina und beide fehlten Aurelia mehr, als sie zugeben wollte. Es war ein seltsames Gefühl zu sehen, wie wenige Mitglieder ihrer Familie Zuhause waren. Denn neben Gaius fehlten vor allem Claudius, Sabinus und Vespasian, die es immer geschafft hatten sie zum Lachen zu bringen und diesen Feierlichkeiten eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen. Dass sie alle im Krieg waren, versetzte für Aurelia der ausgelassenen Stimmung einen kleinen Dämpfer.
Dennoch versuchte sie das Beste aus diesen wenigen freien Tagen am Ende des Jahres herauszuholen und schenkte ihrem Sohn ihre ganze Aufmerksamkeit. Stundenlang saßen sie beisammen, während Aurelia ihm vorlas oder sie gemeinsam Geschichten erfanden. Julius besaß eine blühende Fantasie und schon jetzt ein großes Talent für Wörter. Aus ihm würde eines Tages ein hervorragender Redner werden.Eines Abends, nachdem all ihre Gäste bereits wieder in ihren eigenen Villen waren, saß Julius mit angewinkelten Knien auf seinem Bett und starrte ungewohnt bedrückt hinaus auf die von Fackeln beleuchtete Stadt unter ihnen. Dass seine Mutter sein Zimmer betrat, bemerkte er nicht. Der Junge war zu tief in die Welt seiner eigenen Gedanken versunken. Besorgt legte Aurelia das Buch, aus dem sie ihm vor dem Einschlafen eigentlich vorlesen wollte, auf einem Schränkchen ab. Behutsam trat sie näher, ehe sie sich behutsam auf die Bettkante setzte und ihre Hand sanft auf seine kleine Kinderhand legte. Julius schrak nicht zusammen, aber er verflocht ihre Finger miteinander. Den Blick hielt er stur auf die Stadt unter ihnen gerichtet. Einige Minuten verstrichen, doch der Junge verharrte in seiner nachdenklichen Position. Gerade als Aurelia sich erkundigen wollte, was ihn so sehr bedrückt, meinte Julius plötzlich mit seltsam lebloser Stimme: „Titus hat mir heute erzählt, dass sein Vater im Kampf verwunden worden ist, weil er einen Treffer abgefangen hat, der für Papa bestimmt gewesen war"
Aurelias Inneres gefror zu Eis. Gaius hatte sie darum gebeten Julius nichts davon zu erzählen, was sehr schwierig gewesen war. Immerhin hatte er Vespasians Einsatz in seinem letzten Tatenbericht nicht verschwiegen, den sie vor dem gesamten Senat verlesen hatte. Seitdem hatte niemand im Senat mehr über Vespasians hohen Posten hinter ihrem Rücken getuschelt. Vespasian war nun ein Held. Es war nur natürlich, dass Titus stolz auf seinen Vater war. Aber es beunruhigte Aurelia zutiefst, wie ihr Sohn mit dieser Neuigkeit umging. Julius war sehr wissbegierig und aufgeweckt, aber er neigte nicht zur Melancholie.
„Es gibt noch so viele Dinge, die Papa mit mir unternehmen will", murmelte der Junge mehr zu sich selbst. „Was ist, wenn er wie sein Vater stirbt, bevor er die Gelegenheit dazu hat"
Ihr ganzer Körper verkrampfte sich. Am liebsten hätte Aurelia ihren Sohn in den Arm genommen und ihm versprechen, dass alles gut werden würde. Wie gern würde sie ihm sagen, dass Gaius schon sehr bald wieder bei ihnen sein würde und er all die Dinge mit Julius unternehmen würde, die er seinem Sohn versprochen hatte. Aber das konnte sie nicht und dieses Wissen zerriss sie innerlich. Niemand von ihnen war sicher – weder Gaius ihm Krieg noch sie Zuhause.
Aurelia nahm all ihre Kraft zusammen und behielt die Kontrolle über ihren Körper. Schwach war sie nutzlos und Julius brauchte sie, damit er diesen dunklen Teil seines Verstandes verlassen konnte und nicht eines Tages an ihm zerbrach.
„Was auch geschieht. Wie viel Zeit uns auch trennen mag. Papa ist nie mehr als einen Herzschlag entfernt", wisperte Aurelia und stupste mit dem Zeigefinger sacht gegen seine Brust. Mit großen Augen blickte der Junge auf die Stelle, die sie berührte. Dann hob er ruckartig den Kopf und lächelte sie zaghaft an. In seinen goldenen Augen lauerten immer noch dunkle Schatten.
„Sind deine Eltern auch nur einen Herzschlag entfernt?", wollte er wissen und seine naive Frage war wie ein Schlag ins Gesicht. Brennende Tränen stiegen ihr in die Augen, während ihr Geist das langsam verblassende Bild ihrer Eltern heraufbeschwor. Ob sie sie jemals wiedersehen würde? Und wenn ja, zu welchem Preis? Sie fehlten ihr so sehr. Sie vermisste die Wärme und den Rat ihrer Mutter. Aber ebenso vermisste sie die Scherze ihres Vaters und ihre Gespräche. Was würden ihre Eltern nur sagen, wenn sie sie hier sehen könnten? Sie hatten immer nur gewollt, dass Aurelia glücklich war und dieses Leben in dieser Zeit machte sie so unendlich glücklich, auch wenn sie dafür auf die Liebe der Menschen verzichten musste, die für sie immer ihre wichtigsten Bezugspunkte gewesen waren. Denn genau hier war der Ort, an den sie schon immer gehört hatte.
„Ja, mein Schatz. Manche Bänder sind so stark, dass keine Kraft auf Erden sie zu trennen vermag", erwiderte sie mit erstickter Stimme und öffnete die Arme. Sofort kuschelte sich Julius an sie und ein Teil ihrer Traurigkeit verblaste.
„Unsere Liebe wird dich immer begleiten, Julius", flüsterte sie und drückte ihm einen Kuss aufs Haar. „Und auch wenn du uns nicht immer siehst, so werden dein Vater und ich immer bei dir sein. So wie meine Eltern mich überall und jederzeit begleiten"
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Aurelia
Fiksi SejarahIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...