Kapitel 50 ~ Collabefactat

762 51 4
                                    

Caligula war so langweilig geworden seit Großvaters Tod. Auf Capri hatte er noch gewusst, was es hieß zu leben wie ein wahrer Fürst. Doch spätestens seit Aurelia wieder aufgetaucht war, mutierte Caligula zu einem dieser faden Römer, deren Feste kurz vor Anbruch der Nacht beendet waren. Gemellus vermisste sein altes Leben. An manchen Tagen fiel es ihm schwer zu glauben, dass Caligulas Vater tatsächlich der Bruder seiner Mutter Livilla gewesen sein sollte.
Aber heute sorgte seine Vorfreude auf seine kleine Persia für genügend Zerstreuung auf dieser Parodie eines römischen Festes. Zwar hatte seine Großmutter Antonia für ein hervorragendes Essen gesorgt, doch die Stimmung blieb bieder und zäh. Der heutige Abend wäre eigentlich die perfekte Gelegenheit für Caligula unbemerkt Spaß außerhalb seiner Ehe mit dieser Barbarin zu haben und was tat er? Wie ein Langweiler brachte er die Mahlzeit hinter sich und verzog sich zeitig in seine Gemächer – ohne die verführerischen Blicke der Sklavinnen wahrzunehmen. Was stimmte mit ihm nicht? Caligula hatte alles, was sich Gemellus ersehnte. Wie konnte er das nur nicht nutzen?
Doch heute kam es ihm ganz gelegen, dass Caligula nicht mehr so lange feiern wollte. Denn so verschwanden die anderen Männer rasch einer nach dem anderen und Gemellus konnte sich in seine Gemächer schleichen. Nur mit Mühe gelang es ihm seinen Schritt zu mäßigen und einen müden Ausdruck auf sein Gesicht zu legen. Kaum schloss sich die Tür hinter ihm, verfiel er in Eile. Rasch schlüpfte er in seine einfachen Kleider, warf sich den Mantel über und huschte unbemerkt durch die beinahe verlassene Stadtvilla seiner Großmutter. Endlich in den Stallungen angekommen, vergewisserte er sich, dass ihm niemand gefolgt war. Dann erst schnappte er sich Zügel und Zaumzeug und bereitete in Rekordgeschwindigkeit allein eines der schnellen Pferde vor. Er würde an mehr als einer der Wechselstationen anhalten und sein jeweiliges Pferd gegen ein Frisches eintauschen müssen. Aber nur so hatte er eine Chance rechtzeitig und vor allem vor allen anderen am vereinbarten Treffpunkt zu sein. Denn er war sich sicher, dass Macro Persia dicht auf der Spur war, sonst hätte sie Gemellus nicht so dringend um ein Treffen gebeten.
Wenig später ritt er wachsam durch die kleinen Gassen zur Porta Praenestina und passierte sie unerkannt und mit falschem Namen mit dem letzten Licht des Tages. Mit einem Grinsen wandte er sich zu der nun von Fackeln beleuchteten Stadt um. Alles war ruhig und friedlich. Bis jemand sein Fehlen bemerken würde, wäre er längst über alle Berge. Selbstsicher kehrte er Caligulas Stadt den Rücken, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte zielgerichtet in die Nacht hinaus. Niemand würde ihn jetzt noch aufhalten können.

Mit pochendem Herzen glitt Gemellus aus dem Sattel und ließ sein Pferd an einen Baum gebunden am Waldrand zurück. Der Vollmond tauchte die siebenbogige Brücke in sein silbriges Licht. Das Rauschen des Flusses vermischte sich mit dem leisen Säuseln des Windes. Nebel kroch aus der Tiefe empor. Von Persia fehlte jede Spur. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie endlich wieder vor ihm stehen würde. Er hatte es geschafft. Er war hier.
Ungeduldig löste sich Gemellus aus dem Schatten des Waldes, betrat die Straße und schlenderte auf die Mitte der Brücke, wobei er eine Hand vorsichtshalber auf den Griff seines Dolches legte. Verloren blieb er mitten auf der Brücke stehen und schaute sich hoffnungsvoll um. Er war immer noch allein. Eine Welle von Einsamkeit schwappte über ihn und er lehnte sich seufzend gegen das Geländer. Nervös blickte er herab auf den Nebel, der mittlerweile die Brücke einzuhüllen begann und wartete. Der Schrei einer Eule schreckte ihn kurz auf, doch seine Unruhe wuchs auch so mit jeder weiteren Minute, die er auf dieser von allen Göttern verlassenen Brücke stand und auf sie warten musste. Doch sein Herz wusste, dass sie ihn brauchte und bald erscheinen würde.
Plötzlich mischte sich leise das Getrappel näher kommender Hufe in die nächtlichen Geräusche und Gemellus entspannte sich. Bald würde sie hier sein. Lächelnd hob Gemellus sein Gesicht zum Mond und badete mit geschlossenen Augen in dessen bleichem Licht.
Auf einmal brach das Hufgeklapper abrupt ab, ganz in der Nähe hörte Gemellus ein Pferd schnauben und einen Körper aus dem Sattel gleiten. Sofort ertönte das vertraute Geräusch von genagelten Sohlen auf Stein. Missmutig wandte sich Gemellus den unliebsamen Lauten zu und öffnete träge die Augen. Mittlerweile waren beide Enden der Brücke im Nebel versunken, doch es löste sich bereits die kräftige Gestalt eines Mannes heraus. Ohne zu zögern umfasste Gemellus fester den Griff seines Dolches.
„Was glaubst du eigentlich, was du hier tust, Junge?“, blaffte der Mann ihn wütend an und Gemellus erstarrte. Macro. Wie ein zorniger Stier schnaubend stampfte der Prätorianerpräfekt auf ihn zu und vor Überraschung ließ Gemellus seinen Dolch fallen. Ein leises Platschen bestätigte seine Befürchtung, dass von nun an die hiesige Flussgottheit besser bewaffnet war. Sobald Macro ihn erreicht hatte, packte er ihn grob am Arm und zog ihn energisch ein gutes Stück in Richtung ihrer Pferde.
„Du kommst jetzt sofort mit mir zurück nach Rom!“, knurrte Macro. Gemellus legte den Kopf schief und stemmte sich gegen den älteren Mann.
„Ich denke nicht“, erwiderte er bestimmt und befreite sich geschickt aus Macros Griff. Gereizt fuhr Macro zu ihm herum.
„Hast du ernsthaft geglaubt, deine Abwesenheit würde niemandem auffallen?“, zischte Macro hämisch. „Caligula selbst hat mich dir hinterher geschickt, weil die heutige Nacht nicht durch dein lasterhaftes Treiben in den liederlichsten Vierteln Roms befleckt werden sollte. Bete zu jeder Gottheit, die du kennst, dass ihm noch niemand gesagt hat, dass du Rom verlassen hast, um dich heimlich mit deiner kleinen Hure mitten im nebulösen Nirgendwo zu treffen!“
„Woher wisst Ihr, dass ich mich mit ihr treffen wollte?“, rutschte Gemellus heraus und das Gesicht des Prätorianerpräfekts nahm einen ungeduldigeren Ausdruck an, der Gemellus schlimmste Befürchtungen bestätigte.
„Ihr spioniert mir nach!“, entfuhr ihm entsetzt und wich vor diesem Mann zurück, den er offensichtlich unterschätzt hatte.
„Sei lieber dankbar, dass ich auf dich aufpasse, Junge“, knurrte Macro zurück und kam bedrohlich langsam auf ihn zu. „Sonst würde dein Kopf schon lange nicht mehr so eingebildet und dumm auf deinen schmalen Schultern sitzen“
Gemellus öffnete den Mund, um Macro jede beliebige Beleidigung an den Kopf zu werfen, die ihm in den Sinn kam, doch etwas anderes erregte die Aufmerksamkeit des Prätorianerpräfekts. Nervös spitzte Gemellus die Ohren, aber er konnte keine Veränderung feststellen und auch Macro entspannte sich wieder etwas.
„Mein Kopf wird noch viele, viele Jahrzehnte an seinem Platz ruhen“, erwiderte Gemellus hitzig und Macro schnaubte amüsiert. Was für eine Frechheit!
„Wie schön Euch zu sehen, meine Herren“, ertönte eine seidenweiche Stimme gelassen hinter ihnen und überrascht drehten sie sich zu der Sprecherin. Da stand sie gehüllt in den bleichen Schein des Mondes und betrachtete ruhig die beiden streitenden Männer.
„Persia!“, hauchte Gemellus und wollte zu ihr laufen und sie endlich wieder in seine Arme schließen, als er aus dem Augenwinkel neben sich eine Bewegung wahrnahm. Mit gezücktem Schwert rauschte Macro an ihm vorbei und Gemellus war gerade noch geistesgegenwärtig genug sein Bein auszustrecken, sodass der Prätorianerpräfekt strauchelnd aus dem Gleichgewicht geriet. Klirrend fiel der Gladius zu Boden und verschwand im Nebel.
„Hast du völlig den Verstand verloren?“, schrie Macro und wollte sich auf Gemellus stürzen, der im letzten Moment zur Seite ausweichen konnte.
„Wir sollten uns anhören, was sie uns zu berichten hat“, sagte Gemellus eindringlich und die Wut wich aus Macros Augen. Misstrauisch musterte er Persia, die neben Gemellus mit erhobenen Händen trat. Von ihr ging ein starker Geruch von Wald, Schmutz und Schweiß aus.
„Ich schwöre, dass ich keine Waffe bei mir trage“, versicherte sie den Blick unverwandt auf Macro gerichtet. Ihre wunderschönen Augen füllten sich mit Tränen. Im selben Moment zog eine Wolke vor den Mond und Gemellus brauchte eine Weile, bis er sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte.
„Aber ich kann so nicht mehr leben und ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte“, fuhr Persia lauter gegen das Rauschen des Flusses fort. „Als ich mich vor ungefähr einem Monat sicher genug fühlte, habe ich meine Freundin Daca aufgesucht, die eine kleine, einsame Villa in der Nähe von Tusculum besitzt. Ohne weitere Fragen zu stellen, hat sie mir versichert Gemellus diskret eine Nachricht von mir zukommen zu lassen und…“
Plötzlich schossen dreizehn Pferde aus dem Nebel und umzingelten sie diszipliniert und routiniert. Egal wie sehr er auch suchte, Gemellus fand keinen Ausweg. Leise fluchend tastete Macro nach seinem Dolch. Doch in diesem Moment wich die Wolke und Mondlicht erhellte die Reiter. Erleichtert erkannte Gemellus die vertrauten Zeichen der Prätorianergarde an jedem von ihnen.
„Ich bin Quintus Naevius Sutorius Macro, euer Präfekt! Wer hat euch den Befehl gegeben mich einzukreisen?“, bellte Macro. Der Reiter vor Macro löste langsam die Schlaufe seines Helmes und setzte ihn ohne Hast ab, wobei sein Gesicht vom Hals seines Pferdes verdeckt wurde. Als er sich im Sattel aufrichtete, drang ein ersticktes Keuchen aus Gemellus‘ Kehle.
„Ich“, erwiderte gelassen Caligula. Ruhig nickte er dem Reiter neben sich zu.
„Nehmt diese beiden Männer fest!“, befahl Caligula in seiner höflich-gelassenen Art und mit einem Schrei stürzte Macro auf Caligula zu und schwenkte seinen Dolch. Ohne zu zögern sprang eines der Pferde dazwischen und der Reiter ließ es steigen, sodass Macro durch die ausschlagenden Hufe des Tieres, die ihm den Dolch aus der Hand schleuderten, gezwungen war zurückzuweichen.
„An Eurer Stelle würde ich das lassen, Macro. Das ist Hochverrat“, ertönte die gespielt bestürzte Stimme von Caligulas Freund Vespasian. Mit hasserfüllten Augen sah Macro zu ihm auf. Der Reiter neben Vespasian schlug mit dem Schwertknauf kräftig auf Macros Kopf und der Prätorianerpräfekt sackte in sich zusammen. Entsetzt betrachtete Gemellus den bewusstlosen Körper des Mannes, der bis eben nach Caligula der zweitmächtigste Mann im Reich gewesen war. Vier der Prätorianer glitten von ihren Pferden. Zwei fesselten den bewusstlosen Macro, die anderen beiden näherte sich langsam Gemellus.
„Möchtest auch du Macros Vorbild folgen und auf mich losgehen?“, frage Caligula interessiert und Gemellus schüttelte langsam den Kopf.
„Ich würde mich nie gegen meine eigene Familie wenden“, beteuerte Gemellus und verfluchte die Scheinheiligkeit in seiner Stimme. Warum log er? Es war offensichtlich, dass Caligula über alles Bescheid wusste. Belustigt zuckten Caligulas Mundwinkel.
„Ach tatsächlich?“, bohrte er weiter. „Die Beweise sprechen leider gegen dich, Gemellus“
Die beiden Prätorianer hatten ihn erreicht, während der eine ihn festhielt, schnappte sich der andere seine Handgelenke und steckte sie blitzschnell in schweren, eisernen Handschellen. Dann zogen sie ihn mit sich. Verwirrt huschte sein Blick zu Persia, die gleichmütig das Geschehen beobachtete. Nein, das konnte nicht sein. Als hätte sie seinen Blick bemerkt, bohrten sich ihre Augen in seine und Gemellus konnte die Schuld in ihnen sehen.
Etwas in Gemellus zerbrach. Sie hatte ihn in eine Falle gelockt und verraten. Doch statt Hass oder Wut fühlte er Einsamkeit und Angst. Warum hatte sie ihre Liebe nur verraten?

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt