Kapitel 96 ~ Fere

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28. April 45 n. Chr.

Der milde Frühlingswind säuselte in den Ästen der Bäume des prächtigen Gartens, der in voller Blüte stand. Aber Aurelia war blind für die Schönheit der Natur vor ihrem Fenster. Mit jedem weiteren Tag näherte sich Gaius Rom und jeden Morgen schlug sie die Augen in dem Wissen auf, dass er bald bei ihr sein würde.
Doch mit der schwindenden Entfernung nahmen die Briefe zu, die er dem Senat schickte und in denen er seine Wünsche für den Triumph äußerte. Ihr Mann hatte sehr genaue Vorstellungen, wie sein Einzug in Rom ablaufen sollte - natürlich hatte er diese. Immerhin hatte er sein Leben lang von diesem Augenblick geträumt. Welcher Römer teilte diesen Traum nicht wenigstens für ein einziges Mal die Ehre eines Triumphzuges durch Rom zu erfahren?
Erst vor wenigen Augenblicken war ein weiterer dieser Briefe angekommen, den Aurelia ohne zu murren dem Boten abnahm. In letzter Zeit wurde sie mehr und mehr daran erinnert, dass sie offiziell nur das Sprachrohr ihres Mannes in Rom war. Mit jedem schwindenden Meter verlor sie an Entscheidungsfreiheit. Aber sie verschwand gern wieder in seinem Schatten, wenn Gaius dafür wieder an ihrer Seite war.
So unterdrückte Aurelia ein Seufzen, hauchte ihren winkenden Kindern eine Abschiedskuss auf die Wange, verließ die Villa und machte sich auf den Weg zum Senat. Abgesehen von ihrer schwindenden Entscheidungsgewalt hatte sich ihr Alltag nicht verändert. Sie arbeitete noch immer sehr viel, damit die Übergabe an Gaius leichter von Statten gehen würde. So war sie bestens über die Situation in den Provinzen informiert und hatte eine kleine Überraschung für Gaius' Triumphzug vorbereitet.

Lächelnd betrat sie den Tempel und begrüßte die Senatoren. Sie war spät dran, aber immerhin nicht zu spät. Claudius war noch nicht erschienen und solange sie vor ihm eintraf, war sie zufrieden. Abgesehen von Gaius hatte Claudius mit Abstand die meisten Klienten und so war kurz nach seiner Rückkehr aus Britannien ein kleiner, geheimer, täglicher Wettbewerb entstanden, wer die Flut an Klienten bei der salutatio am besten von ihnen zu bewältigen vermochte. Die meiste Zeit gewann Claudius, denn es spielte keine Rolle, wie früh Aurelia ihre Türen für die Angelegenheiten und Probleme ihrer Klienten öffnete. Die Zahl ihrer Klienten war einfach viel größer.
Gerade als sie sich auf ihren kurulischen Stuhl niederließ und ein Gespräch mit Claudius' Schwager begann, betrat Claudius selbst den Tempel und blickte sich unauffällig um. Als sich ihre Blicke kreuzten, verzog sie ihr höfliches Lächeln für eine Sekunde zu einem triumphalen Grinsen. Ungerührt setzte Claudius seinen Weg fort und ließ sich auf den freien Platz neben ihr fallen.
„Du hast geschummelt", warf er ihr leise wispernd vor und Aurelia war gerade im Begriff ihm zu antworten, als Konsul Corvinus sich erhob und Ruhe gebot. Die Sitzung des Senats hatte begonnen.
Nachdem sie die lebensnotwendigen Punkte wie die Getreideversorgung der Stadt besprochen hatten, gab Corvinus ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie nun an der Reihe sei. Würdevoll erhob sich Aurelia von ihrem kurulischen Stuhl, zog die Schriftrolle hervor und spürte, wie die Spannung im Saal stieg. Routiniert brach sie das Siegel, entrollte den Brief und begann Gaius' neueste Anweisungen vorzulesen, über die der Senat diskutieren sollte.
Aurelias Stimme war klar und ruhig, während sie die Vorschläge verlas, die sie in ihren privaten Nachrichten gemeinsam beschlossen hatten. Weder Gaius noch sie zweifelten daran, dass der Senat auch nur einem einzigen Wunsch nicht nachkommen würde.
In diesem Brief äußerte Gaius seine Bitte, dass die kleine Delegation, die ihn vor der Stadt empfangen werde, von ihrem Sohn Julius begleiten werden würde. Gaius begründete diesen Wunsch damit, dass seinem Vater Germanicus ebenfalls seine Familie entgegengeschickt worden sei, damit sie gemeinsam auf dem Streitwagen für den großen Triumph des Vaters in die Stadt einziehen konnten. Aber anders als sein Vater wollte Gaius nur mit seinem Sohn nach Rom einfahren. Antonia schmollte noch immer, dass sie länger als ihr großer Bruder auf ihren Vater warten musste.
„Was ist mit Euch?", rief ein junger Senator verwirrt dazwischen und Aurelias Stimme verstummte mitten im Satz. Stirnrunzelnd senkte Aurelia den Brief und fixierte den jungen Mann, Gnaeus oder Gaius rief sie sich ins Gedächtnis. Er war erst bis zum Ädil aufgestiegen und hätte sie rein formal nicht unterbrechen dürfen.
„Ich verstehe die Frage nicht", gab sie unschuldig zurück und von den hochrangigeren Senatoren waren missmutige Laute zu hören. Augenblicklich schoss dem Ädil das Blut in die Wangen, als er begriff, dass er sich gerade dem öffentlichen Spott der Senatoren preisgegeben hatte. Nervös sah sich der junge Mann im Raum um und einer seiner Nebenmänner versuchte ihn zurück auf seinen Platz zu ziehen, um ihm weitere Peinlichkeiten zu ersparen. Gelassen fuhr Aurelia fort: „Der Senat wird meinen Mann am Fuße des Jupitertempels in Empfang nehmen. Es ist meine Pflicht ihm die Stadt zu überreichen, die ich in seinem Namen verwaltet habe. Eine kleine Delegation wird Caesar vor den Toren unserer Stadt die Aufwartung machen, an der auch mein Sohn teilnehmen wird. Genau so steht es hier geschrieben und so wird es geschehen"

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt