Kapitel 47 ~ Schattenwelten

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4. November 37

Jedes Mal, wenn sich die Augen von Caligula und Aurelia trafen, wurde Gemellus von einer weiteren Welle der Eifersucht erfasst. Genauso schmerzte ihm das Herz, wenn die einfältige Menge den beiden zujubelte. Das alles sollte ihm gehören. Ihm und seiner süßen Persia. Doch seit jener schicksalshaften Nacht war sie wie vom Erdboden verschluckt.
Seit diese germanische Helena aufgetaucht war, war Gemellus in die Reihe hinter Caligula und Macro zu den drei unausstehlichsten Frauen seiner Familie, abgesehen von Caligulas neuem Spielzeug, gedrängt worden - dessen drei Schwestern. Nur Drusillas Gegenwart konnte man als so etwas wie erträglich bezeichnen, weil sie mit ihrer fast schon skandalös schamlosen Art wenigstens für etwas Unterhaltung sorgte, die nach seinem Geschmack war. Agrippina hatte ihm schon als Kind mit einem Blick einen kalten Schauer über den Rücken jagen können und Julia verprellte jegliche interessante Gesellschaft mit ihrer Moralität.
Gemellus konnte sich nicht einmal betrinken, weil irgendwer dafür gesorgt hatte, dass nur Saft serviert wurde. Wo lag denn da der ganze Spaß? Auf jeden Fall wurden ihm die Ludi Plebi nach alle Sitten der Kunst vermiest. Dabei hatte er sich eigentlich auf diese Spiele gefreut, da sie von den Ädilen veranstaltet worden und er nicht gedacht hatte, dass Caligula diese Spiele zu seiner Inszenierung nutzen konnte. Doch alle Ädilen huldigten diesem aufgeblasenen Erbräuber und das Volk sprang jedes Mal voll darauf an. Wie dumm die Welt doch war. Aber jeder hörte nur das, was er hören wollte.
Seine Gedanken kehrten zu Persia zurück. Ob er sie jemals wiedersehen würde? Mit jedem weiteren Tag ohne ein Wort von ihr schwand die Hoffnung, dass sie noch am Leben war. Ganz gleich wo sie sich versteckt hielt, früher oder später würde sie Macros Männer in die Hände fallen und Macro würde sie nicht am Leben lassen. Sie wusste zu viel und daran war Gemellus Schuld, weil er sie in ihren Plan einbezogen hatte. Sein Blick landete wieder auf Caligula, weil Aurelia diesem gerade durch eine leise Bemerkung zum Lachen gebracht hatte. Liebevoll betrachtete Calgula sein hübsches Spielzeug. Kalter Hass stieg in Gemellus auf. An Persias Abwesenheit traf ihn keine Schuld, sondern allein Caligula, der ihm sein Erbe gestohlen hatte. Denn statt den letzten Wunsch seines Großvaters zu respektieren, hatte Caligula Gemellus als unfähig und zu jung dargestellt - als ob diese lächerlichen sieben Jahre Altersunterschied so einen gigantischen Unterschied machen würden!
Wenn er daran dachte, dass er die nächsten dreizehn Tage ebenfalls auf seinem miserablen Platz diese absolut maue Posse ertragen musste, wünschte er sich sehnlich an den Hof seines Großvaters auf Capri zurück. Sein Großvater hatte ihn in seinen Gelüsten mit allen Kräften angefeuert und ihm nicht wie Caligula alles verdorben, was auch nur halbwegs Spaß machte. Stumm grollend leerte Gemellus seinen Becher und redete sich ein, ein alter Falerner würde seine Kehle hinunter rinnen.

Kaum waren die Spiele für den heutigen Tag beendet, nutzte Gemellus die entstandene Unruhe, zog sich in die Schatten zurück und warf sich einen einfachen Mantel über die feine Tunika. Für einen Tag hatte er sich lange genug mit seinem Platz im mickrigen Schatten von Caligulas Glanz begnügen müssen. Jetzt wollte er sich einfach nur frei bewegen können, ohne dass Caligulas Schwestern oder ein Prätorianer jeden seiner Wimpernschläge genauestens beobachten.
Rasch senkte er den Kopf und verschwand in der Zuschauermenge, die aus dem Amphitheater strömte. Diese Dummköpfe um ihn hatten keine anderen Gesprächsthemen als Caligula und diese Schnepfe Aurelia. Gemellus konnte einfach nicht verstehen, was alle Welt an dieser Schlampe fand. Er fand sie jetzt nicht abstoßend und wenn sie ihn damals in Misenum nicht so von oben herab behandelt hätte, hätte er ihr gewiss den Hof gemacht, um der Langeweile des Alltags zu entfliehen. Aber sie hatte für eine Frau zu konkrete Ansichten, die sie ungebeten in die Welt hinausposaunte wie ein zweiter Cicero.
Als Gemellus Roms Schattenwelt betrat, begann sich sein Körper zu entspannen. Hier fühlte er sich Zuhause. Hier konnte er Caligulas Glanz für einige Stunden verlassen und er selbst sein. Selbstbewusst öffnete er die Tür zu einer dieser billigen Kneipen. Jede gute Mutter würde ihrem Sohn verbieten jemals auch nur in die Nähe dieses Schandflecks Roms zu kommen.
Gemellus nickte dem mürrisch dreinblickenden Wirt zu und setzte sich in eine Nische. Kurz darauf standen eine dampfende Schüssel puls, die breiige Nahrung der Unterschicht und ein großer Becher vom schlechtesten und billigsten mulsum, einer Art Honigwein, vor ihm. Lächelnd stürzte er das Gesöff hinter und wischte sich die Reste vom Mund. Der Wirt nickte ihm verständnisvoll zu und stellte einen großen Krug vor ihn. Genau das brauchte er nach diesem schrecklichen Tag.
Langsam füllte sich die Schanke und die vertrauten Geräusche beruhigten seinen aufgebrachten Körper, während der Wein seine Gedanken ablenkte. Vielleicht würde er sich später sogar noch einer der Huren bedienen, auch wenn ihm keine eine solche Befriedigung bescheren konnte wie die gute Persia. Sie verstand es einem Mann das Gefühl zu geben wahrhaft mächtig zu sein, während die anderen Frauen nur die Beine breit machten und auf einen schnellen Geschäftsabschluss hofften.
Irgendwann, als Gemellus sich gerade über den dritten Krug her machte, glitt eine Gestalt zu ihm in die kleine Nische und sein Herz setzte einen Schlag aus. Sicher war es einer von Macros Spürhunden, die Caligula ihm auf den Hals gehetzt hatte, um ihn zurück in die langweilige Spießigkeit der gehobenen Gesellschaft Roms zurück zu schleifen. Doch zuvor würde er seinen Wein leeren, immerhin hatte er ihn ja auch bezahlt. Trotzig ignorierte er die Gestalt, leerte seinen Becher mit einem Zug und knallte ihn auf den Tisch. Feindselig funkelte er die Gestalt an, deren Gesicht misslicher Weise im Schatten ihrer Kapuze verborgen blieb. Ein süßliches Parfum drang in seine Nase, aber er hatte früh gelernt, dass dieser Geruch keinesfalls nur den Weibern vorbehalten war. Rüde blaffte er, wer ihn störte und schenkte sich nach.
„Wir haben eine gemeinsame Freundin, die unsere Hilfe braucht", antwortete die sanfte Stimme einer Frau und Gemellus hielt mitten in der Bewegung inne. Die Gestalt sah sich in der vollen Kneipe diskret um und ließ dann ihre Kapuze ein kleines Stück nach hinten gleiten, damit Gemellus einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen konnte. Ihre Züge waren hübsch, auch wenn er persönlich eine Perserin jederzeit einer Thrakerin vorziehen würde. Ihre dunklen Augen schienen ihm tief in die Seele zu blicken. Auf ihren Lippen erschien ein feines Lächeln, dann zog sie die Kapuze wieder an ihren alten Platz. Verstohlen beugte sie sich zu ihm.
„Komm in der Nacht zum Vortag der Nonen des Dezembers zu der siebenbogigen Brücke der Via Praenestina", raunte sie, dann stand sie auf und verschwand unauffällig in der Masse. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Selbstgefällig führte er den Becher an die Lippen. Wenn es jemand schaffen würde sich unbemerkt an diesem Tag davonzuschleichen, dann er. Schon bald würde er wieder das besitzen, was ihm zustand.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt