Seit ihm der eingeschleuste Sklave seiner Großmutter berichtete hatte, dass man aufgrund der Dunkelheit weder das Wegfahren des Bootes noch dessen Ankunft vor einer halben Stunde bemerkt habe, konnte Gaius zum ersten Mal, seit Aurelia in sein Leben getreten war, wieder genauso ausgelassen an den berauschenden Festen seines Großonkels teilnehmen wie zuvor. Hemmungslos flirtete er mit den schönen, reichen Frauen und riss einen Witz nach dem anderen. Wie ein paar dunkle Wolken im November einem das Herz erleichtern konnten. Endlich war sie in Sicherheit.
Macro, der sich schon kurz vor Einbruch der Dunkelheit mit einem vielsagenden Lächeln bei Tiberius entschuldigt hatte, war auch noch nicht wieder aufgetaucht. Sollte er doch die ganze Villa nach einem Mädchen durchsuchen, das schon längst sicher auf dem Festland war.
Lächelnd trank Gaius aus seinem Kelch, während die reizende Livinia auf seinem Schoß saß, mit der einen Hand seinen Arm streichelte und mit der anderen seinen Nacken massierte. Spielerisch griff sie nach seinem Kelch, doch Gaius war geistesgegenwärtig genug ihn schnell wegzuziehen und in einem Zug zu leeren. So hübsch die gute Livinia auch war, so hörig war sie seinem Großonkel und dieser sollte nun wirklich nicht wissen, dass sich in Gaius‘ Kelchen kein Wein befand. Nur Tiberius brachte es fertig ein dummes Mädchen auf Gaius anzusetzen, von dem er ganz genau wusste, dass der alte Lustmolch sie jede Nacht zu sich rief, nachdem er die Eroberung des Abends fortgeschickt hatte.
„Das ist zu stark für dich, Süße“, raunte Gaius ihr ins Ohr und ließ seine Stimme besonders verführerisch klingen. Obwohl sie ihn nur schmollend ansah, lief ihr bei seinen Worten ein Schauer über den Rücken. Bei den Göttern, war sie einfach zu reizen. Innerlich verlor Gaius den letzten Rest Achtung vor der jungen Frau auf seinem Schoß. Auch wenn er auf Capri nur wenig Entscheidungsfreiheit in der Wahl seiner Partnerinnen gehabt hatte, so hatten ihn diese ganzen jungen, naiven Dinger, die sich ihn an den Hals geschmissen hatten, immer nur gelangweilt. Aurelia hingegen, mit ihrem geheimnisvollen Lächeln und dem verträumten Ausdruck in den meerblauen Augen, wenn sie über die Dinge sprach, die ihren scharfen Verstand und ihr riesiges Herz bewegten, hatte ihn vollends in den Bann gezogen, auch nachdem er ihr Geheimnis endlich gelüftet hatte. Sie war so anders als diese jungen Dinger in seiner Zeit, die sich nicht einmal für die Briefe ihrer ebenso oberflächlichen Freundinnen begeistern konnten. Mit Aurelia hatte er sich stundenlang über Philosophie, Geschichte, Politik und Literatur unterhalten können und immer wieder hatte sie ihn mit ihrer Klugheit überrascht. Gaius zwang sich seine Aufmerksamkeit wieder auf die Spionin auf seinem Schoß zu richten, die noch immer schmollend vor sich hin stierte und immer wieder heimliche Blicke mit seinem Großonkel wechselte. Als ob Gaius das nicht bemerken würde. Innerlich verdrehte er die Augen, doch er gab sich einen Ruck und schenkte ihr sein entwaffnenstes Lächeln. Sofort gehörte ihre Aufmerksamkeit ihm allein.
„Tanz mit mir“, bat er sie flehend und sie zog den köstlichen Moment des Schmollens weiter in die Länge, bis sie sein Lächeln zaghaft erwiderte und nickte. Bei Jupiter, spielte sie gerade ernsthaft die Jungfrau, während sie sich eng an ihn schmiegte? Eilig winkte er einen Sklaven herbei und drückte ihm seinen Kelch in die Hand.
Strahlend erhob sich Livinia und zog Gaius mit sich vor die Musiker, die ein langsames Lied zum besten gaben. Sie wollte sich doch nicht ernsthaft schon wieder an ihn pressen. Kurz löste er sich von ihr und flüsterte den Musikanten etwas ins Ohr. Diese nickten und hielten kurz inne, damit er zurück zu dem kleinen Flittchen gehen konnte.
„Was hast du ihnen gesagt?“, fragte Livinia vollkommen aufgekratzt. Wie viel sie wohl schon getrunken hatte? Doch Gaius lächelte sie nur geheimnisvoll an und gab den Musikanten ein Zeichen. Diese schlugen ein schnelles, berauschendes Lied an. Verwundert blickten ihre großen braunen Augen zu ihm auf, die ihn an die Farbe von Schlamm erinnerten.
„Wir sind jung und dies ist ein Fest. Warum sollten wir zu einem Lied tanzen, das man auch auf einer Trauerfeier spielen könnte?“, erwiderte er lachend und begann sich zur Musik zu bewegen. Zögerlich passte Livinia ihre Bewegungen der Geschwindigkeit der Musik an. Gaius stellte sich ihr Gesicht vor und gab sich ganz dem Rhythmus hin. Immer mehr Gäste folgten ihrem Beispiel und bald waren sie ein bunter Haufen lauter umherspringender, lachender und singender Leiber.
Als Gaius an diesem Abend in sein Zimmer zurück kam, machte er sich nicht mal die Mühe die Lampe auszupusten. Eins musste er den Prätorianern lassen: Wenn er nicht wüsste, dass heute morgen ein Sallust und kein Ennius auf der kleinen Truhe neben seinem Bett gelegen hatte, hätte er an der Existenz der Durchsuchung gezweifelt. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er ein.„Großonkel?“, fragte Gaius unbekümmert. „Du wolltest mich sehen?“
Mit einem Schmatzen verspeiste Tiberius eine Weintraube, dann stand er auf und packte seinen Großneffen vergnügt am Arm.
„Ich möchte dir etwas zeigen, mein Junge“, flötete der Alte und zog den jungen Mann mit sich durch die Villa in Richtung des Gartens.
„Ist es nicht etwas zu kalt, um rauszugehen, Avunculus?“, erkundigte Gaius sich besorgt und wollte wissen, ob er einen Sklaven damit beauftragen sollte Mäntel für sie beide zu holen. Doch Tiberius winkte ab.
„Ach, das wird nicht nötig sein“, kicherte der alte Mann. „Ich habe eine Überraschung für dich, mein lieber Junge“
Widerstandslos lief Gaius neben dem mächtigsten Mann im Reich her und unterhielt sich angeregt mit ihm über das letzte Fest, wobei er dem Älteren natürlich gehörig schmeichelte. Durch die Gärten jagte zwar ein heftiger, aber für November überraschend milder Wind. Die dunklen Wolken der vergangenen Tage hatten sich verzogen und die Sonne tauchte alles in ihr weißes Licht. Überall herrschte nichts als Frieden und Eintracht. Doch je weiter sie sich von den Gebäuden entfernten und auf die Klippen zusteuerten, desto mulmiger wurde dem jungen Mann zumute. Unauffällig musterte er den Mann zu seiner Rechten und beschloss, dass weitere Fragen vergeudeter Atem wäre.
„Ist das Meer nicht wunderschön?“, fragte Tiberius, als sie die Klippe erreichten. Augenblicklich begann Gaius die Schönheit der Insel zu preisen, immer darauf bedacht einen gewissen Abstand zwischen sich und der Kante zu wahren.
„Ah“, unterbrach Tiberius seine Ergüsse erfreut. „Da kommt ja endlich meine Überraschung“
Verwundert riss Gaius sich vom Anblick der winterlichen See los und setzte sofort eine Maske höflichen Interesses auf. Schnellen Schrittes kam Macro auf sie zumarschiert, die widerstandslose Aurelia fest im Griff. Vor Tiberius blieb er stehen und zwang das Mädchen sich so tief zu verbeugen, dass dem Princeps und dessen Großneffen einen hervorragenden Blick in den weiten Ausschnitt ihrer elfenbeinfarbenen Stola gewährt wurde. Stolz richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und erwiderte gelassen den Blick der beiden Adligen. Ihre einst so kunstvoll drapierte Palla hatte sich gelöst und flatterte nun zusammen mit ihren offenen Haaren im Wind wie ein goldenes Banner. Niemals zuvor hatte sie so römisch und fremd zugleich gewirkt. In diesem Moment war sie mehr als die junge Frau aus der Zukunft, sie war die römische Göttin, die Gaius im ersten Moment in ihr gesehen hatte.
Tiberius trat vor und seine alten Hände bohrten sich in ihr zartes Gesicht, während er es zum begutachten hin und her drehte. Aurelia zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Du bist wirklich ein ausgewöhnlich hübsches, zartes Ding“, gurrte Tiberius, als er sie endlich losließ. „Was sagst du, Caligula? Wir werden unseren Spaß mit der Kleinen haben. Wie lange es wohl dauern wird, bis wir sie brechen?“
Gaius nickte eifrig und musterte sie noch einmal von Kopf bis Fuß, während er fieberhaft überlegte, wie er sie aus dieser ausweglosen Situation retten konnte. Eher würde er streben, als sie Tiberius freiwillig zu überlassen.
Plötzlich erfüllte Aurelias leises Lachen die entstandene Stille. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke und er meinte in ihren wundervollen Augen neue Entschlossenheit aufblitzen zu sehen, dann baten sie ihn um Vergebung.
„Niemand kann mich brechen!“, erwiderte sie spöttisch. Bevor einer von ihnen reagieren konnte, wand sie sich geschickt aus Macros lockerem Griff, trat flink einen Schritt zurück, verlor siegesgewiss lächelnd das Gleichgewicht und fiel. Ihre Kleider bauschten sich um sie herum und Tiberius wahnsinniges Lachen hallte über die ganze Insel, während Gaius keuchend und vollkommen verschwitzt aus dem Schlaf hochfuhr immer noch das Lachen seines Großonkels im Ohr. Es war bereits Mittag und die Sonne schien grell in seine vom Alptraum immer noch geweiteten Augen. Panisch blickte er neben sich, dann auf die Speiseliege, schließlich im ganzen Zimmer umher. Doch sie war nicht mehr da, als wäre sie nur ein wunderschöner Traum gewesen.
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Aurelia
Ficción históricaIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...