Kapitel 53 ~ Vale

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Noch immer dröhnte Macros Schädel von Rufus‘ Schwertknauf. Dieser elende Verräter. Macro hätte es besser wissen müssen. Wie zum Hades hatte man ihn nur so in eine Falle locken können? Schon seit einer Weile hockte Macro in der Dunkelheit seiner Zelle und versucht eine Erklärung zu finden. Sobald er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, hatte er seine Schmerzen ignoriert und sich gegen die grobe Steinwand seiner Zelle gelehnt. Doch das Pochen in seinem Kopf erschwerte ihm noch immer das Denken. Was auch immer Caligula mit ihm vorhatte, er würde damit nicht durchkommen. Ob der Senat bereits tagte? Diese alten Säcke würden Macro sicher mit Freuden beseitigen, wenn sie sich dadurch bei Caligula beliebter machen konnten. Aber damit würden sie ihren eigenen Untergang besiegeln. Zwar hatte Caligula die Hochverräterprozesse ausgesetzt, aber wenn der Senat sie gegen Macro wieder aufleben lassen würde, so war es nur noch eine Frage der Zeit bis Caligula getrieben von seiner Verschwendungssucht und seinem Mangel an Geld bald eine neue Geldquellen auftreiben musste.
Plötzlich wurde mit einem leisen Klicken die Lucke geöffnet, Licht fiel spärlich in seine kleine, schmucklose Zelle und eine Gestalt glitt an einem heruntergelassenen Seil lautlos zu ihm herab. Gelassen musterte Macro die dunkle Gestalt, die sich langsam aufrichtete, sich in der Zelle umsah und ein paar kleine Schritte auf ihn zukam. Langsam erfüllte ihr Parfüm den Raum.
„Was machst du hier?“, fragte Macro gereizt und erwiderte herausfordernd ihren Blick. Mit einem Seufzen schlug die Gestalt ihre Kapuze zurück und ihr wunderschönes Gesicht kam im spärlichen Licht zum Vorschein. Begierig sog er den Anblick ihres ausdruckslosen Gesichts in sich ein und beugte sich interessiert vor. Das Klimpern seiner Ketten und der aufblitzende Schmerz in seinem Kopf ließen ihn in der Bewegung innehalten.
„Ich musste mich vergewissern, ob mein Bruder dich wirklich in seiner Gewalt hat“, gab Agrippina nach einer Weile leise zu.
„Was hat dein Bruder mit mir vor?“, erkundigte er sich. Leise erwiderte Agrippina, dass sie es nicht wisse und wandte sich zum Gehen.
„Einen wunderbaren Nachfolger hat dein Bruder rausgesucht“, spottete Macro und zu seiner Befriedigung erstarrte sie. „Ich gebe zu, ohne seine Verschwägerung über gefühlte hundert Ecken mit der kleinen Aurelia wäre seine Familie immer noch absolut bedeutungslos, aber vielleicht reicht dir das ja, um dich in ihn zu verlieben. Oder vielleicht ist ja auch schon eine deiner Schwestern scharf auf ihn – immerhin haben die Frauen deiner Familie ja eine Schwäche für Prätorianerpräfekten
Ihr Schlag kam aus dem Nichts. Hart schlug sein Kopf gegen die Mauer und bevor er sie an sich ziehen konnte, um noch einmal den herrlichen Geschmack ihrer Lippen zu kosten, war Agrippina auch schon wieder außerhalb seiner sehr begrenzten Reichweite. Eine Hand hatte sie bereits wieder auf das Seil gelegt. Fassungslos starrte er sie an.
„Clemens ist nur eine Übergangslösung“, erklärte Agrippina kalt. „Aurelia hat Gaius überzeugt, dass ein einziger Präfekt eine zu große Machtfülle innehat, die so niemals vorgesehen war. In diesem Moment wird von den Prätorianern ein zweites Oberhaupt gewählt“
Macro brach in hysterisches Gelächter aus. Wie hatte er nur so blind sein können? Irgendwie schien sich immer wieder alles um diese Frau zu drehen, die so plötzlich auf der Bildfläche erschienen war. Überall schien sie ihre Finger im Spiel zu haben, doch nie so, wie er es vorher gesehen hatte. Agrippina verschränkte gereizt die Arme über dem gewölbten Bauch. Nach einer Weile bekam Macro die Kontrolle über sich selbst zurück und blickte bedeutungsschwer auf ihren Bauch.
„Was hat dich dazu gebracht uns aufzugeben?“, fragte er leise und sie fuhr überrascht zusammen. Nachdenklich tippte sie sich mit dem Zeigefinger auf die wundervollen Lippen. Beherrscht beobachtete Macro ihr Mienenspiel, welches er so lange zu durchschauen geglaubt hatte. Ihre Züge wurden weich, als hätte sie ein Geheimnis gelüftet, welches ihm auf ewig verschlossen bleiben würde.
Familia super omnia“, flüsterte sie kaum hörbar und zupfte an dem herabhängenden Seil. Seit wann stellte sie die Familie über sich selbst?
„Warte!“, bat Macro und aus tränenverschleierten Augen blickte sie zu ihm auf.
„Ich liebe dich“, hauchte er. Vorsichtig straffte sich das Seil.
„Ich liebe dich auch“, raunte Agrippina. Langsam zog das Seil sie nach oben. „Aber meinen Bruder liebe ich ebenfalls und ich kann ihn nicht für dich opfern“
Im nächsten Moment verschwand sie und die Lucke wurde mit einem dumpfen Knall geschlossen. Noch eine Weile hallte das Geräusch durch die Dunkelheit seiner Zelle. Federleicht hing ihr Parfüm im Raum. Gequält schloss Macro die Augen und versuchte vergeblich seine Erinnerungen an sie in die hinterste Ecke seines Gedächtnissses zurückzudrängen. Hatte er wirklich zu viel von ihr verlangt? Wie hatten ihn sein Verstand nur so im Stich lassen können?

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt