Kapitel 16 ~ Unliebsame Verzögerung

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Sorgfältig beobachtete Gaius jeden Handgriff der Sklaven. Es war so unglaublich albern, dass er sie für die wenigen Kleidungsstücke hatte herbeirufen müssen. Aber seine Sachen für die Reise selbst zu packen geziemte sich einfach nicht und so saß er auf seinem Stuhl, bewachte die herumwuselnden Sklaven und gab vor in einem Codex zu lesen.
Drei Wochen waren seit Aurelias Flucht vergangen und aus den Briefen seiner Schwestern war er nicht schlau geworden. Gaius war einfach nur erleichtert die Saturnalien mit seinen Schwestern verbringen zu können. Agrippinas Geburtstag hatte er leider schon verpasst. Er wollte nur mal wieder Zeit mit seinen Schwestern verbringen und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, wollte er Aurelia endlich wieder um sich haben. Sie fehlte einfach. Nachts schlief er nur noch schlecht. Wenn er überhaupt schlief, dann waren seine Albträume wieder da.
Sobald alles zu seiner Zufriedenheit verstaut war, schickte er die Sklaven fort. Erleichtert schloss er die Augen. Durch den Schlafmangel plagten ihn seit Tagen dröhnende Kopfschmerzen. Ob er sich vor der Schifffahrt noch einmal hinlegen sollte?
Ein leises Klopfen an der Tür nahm ihm die Entscheidung ab. Seufzend erhob sich Gaius, setzte eine freundliche Miene auf und öffnete die Tür. Stirnrunzelnd musterte er Clemens.
„Der Princeps möchte Euch gern sehen, Herr", sagte Clemens ernst. Gaius nickte, überprüfte die Falten seiner Toga und machte sich auf den Weg zu seinem Großonkel. Clemens folgte ihm wie ein Schatten. Überraschenderweise befand sich Tiberius weder im Trinclinium noch im Garten. Einer der Sklaven murmelte der Princeps befände sich im Bad und möchte nicht gestört werden. Gaius solle im Arbeitszimmer des Princeps warten. Natürlich begab er sich sofort dorthin und wurde von Tiberius' Sekretär ohne Verzögerung eingelassen. Der Sklave machte sich auf den Weg, um dem Princeps Bescheid zu sagen, während Gaius es sich auf einem der Stühle gemütlich machte. Jetzt konnte er nur noch abwarten.

Drei Stunden später erschien endlich der frisch parfümierte Tiberius und setzte sich wortlos seinem Neffen gegenüber.
„So so", unterbrach Tiberius nach einer Weile das Schweigen und beugte sich weiter vor. Gaius, der bis eben erleichtert über den durch den Tisch zwischen ihnen gewährleisteten Abstand war, juckten die Öle unangenehm in der Nase und nur mühsam konnte er sich ein Niesen verkneifen. „Man hat mich unterrichtet, dass du uns verlassen möchtest"
Gaius stutzte. Sofort erinnerte er Tiberius daran, dass er ihn schon vor Monaten um Erlaubnis gebeten hatte die Saturnalien mit seinen Schwestern zu begehen. Tiberius lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und sah ihn abschätzend über die Hände hinweg an.
„Mein lieber Junge", seufzte Tiberius und sah ihn mitleidig an. „Es tut mir furchtbar leid, aber ich weiß nicht wie ich dieses unsägliche Fest ohne deine Späße überstehen soll. Deine jüngste Schwester, Julia, hat doch in ein paar Wochen Geburtstag. Wie alt wird sie noch mal?"
„19, Avunculus", antwortete Gaius selbstsicher und Tiberius nickte bedächtig. Er ließ sich die Zahl genüsslich auf der Zunge zergehen.
„Da wird sie sich sicher freuen, wenn wir mit ihr gemeinsam in Missenum feiern", überlegte Tiberius laut und Gaius überspielte gekonnt seine Überraschung, indem er natürlich seinem Großonkel von ganzem Herzen beipflichtete.
Innerlich stellte er sich Julias entsetzten Blick vor, wenn sie seinen nächsten Brief in den Händen hielt. Seine Schwester würde sich sicherlich nichts schlimmeres für ihren Geburtstag vorstellen können als ihren alten, perversen, wie ein Barbar saufenden Großonkel als Ehrengast empfangen zu müssen.
Tiberius lächelte versonnen und nach einer Weile räusperte Gaius sich vorsichtig. Sein Großonkel schrak aus seinen Gedanken hoch und musterte ihn misstrauisch. Gaius schob ihm sacht einen Brief über den Tisch. Tiberius grabschte neugierig nach dem Papyrus, las andächtig jedes Wort und sobald er zum Ende gekommen war, starrte er ihn verblüfft an.
„Das ist eine überaus interessante Bitte, die deine Großmutter da an dich gerichtet hat", brachte Tiberius heraus. Flink setzte Gaius eine ernste Miene auf und nickte bekümmert.
„Avunculus", begann er sachlich. „Dies ist nicht nur ein Klient meiner werten Großmutter Antonia. Seinen jüngster Neffe ist ein guter Freund von mir, sonst hätte ich dir diese Bitte niemals weitergeleitet"
Nachdenklich nickte Tiberius und wollte schließlich wissen, wie Gaius sich an seiner Stelle verhalten würde. Gaius lehnte sich in seinem Stuhl zurück, umfasste nachdenklich sein Kinn und zählte innerlich bis hundert. Dann setzte er sich ruckartig auf seinem Stuhl auf und fixierte mit einem sicheren Lächeln seinen Großonkel wie ein Schüler, der endlich die Lösung für seinen Grammaticus parat hatte.
„Da ich mich bereits freundschaftlich mit dieser Familie verbunden fühle, würde ich diesem Wunsch nachkommen", plapperte er eifrig, aber nicht zu schnell, damit Tiberius auch jedes Wort aufnehmen konnte. „Doch das Vermögen der Aurelii ist beachtlich und einer Frau steht kein Besitz zu. Da ihre Herkunft allerdings so einwandfrei belegt ist, verpflichtet uns das Gesetz ihrem Vormund, ihrem Adoptivvater, ihr Erbe anzuvertrauen. Doch damit sich dieser Senator aus einer so unbedeutenden kleinen Familie nicht Dinge aneignet, die ihm nicht gehören, würde ich ihm das Vermögen nicht auszahlen, sondern auf seinem Namen sicher bei einem Bankier lagern. Das Erbe der Tochter aus einem so edlen Geschlecht muss geschützt werden, denn nur so kann eine Mitgift geleistet werden, die ihrer Familie gebührt"
In dem folgenden Schweigen wurde Gaius betont immer unsicherer und meinte schließlich kleinlaut, dass es nicht seine Aufgabe sei diese Dinge zu entscheiden. Da verzogen sich Tiberius' Lippen zu einem selbstgefälligen Lächeln.
„Ich werde darüber nachdenken", meinte er würdevoll und entließ Gaius mit einer ungeduldigen Handbewegung. Dieser machte sich sofort auf den Weg zum nächsten Bad. Bevor er seinen Schwestern davon berichten konnte, musste er seine Wut ausschwitzen. Seit Monaten freute er sich auf dieses lustige Fest mit seinen Schwestern fernab von Capris Finsternis und nun würde er noch drei lange Monate warten müssen, bis er sie endlich wieder sehen konnte und dann hätte er auch noch Tiberius mit dessen Hofstaat im Gepäck.
Noch drei Monate bis er Aurelia aus der Ferne betrachten konnte. Irgendwie musste er das ertragen.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt