Kapitel 17 ~ Die Saturnalien

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Summend tanzte Aurelia durch die geräumige Küche. Das Kochen hatte ihr gefehlt. Obwohl die Küche normalerweise von tüchtigen Sklaven und Sklavinnen nur so wimmelte, hatte sie sie heute ganz für sich allein. Denn heute fand das Fest der Saturnalien statt, welches traditionell Ende Dezember um Weihnachten gefeiert wurde. Doch dieses Fest war ganz anders als das besinnliche Zusammensein in der Familie, wie das Weihnachtsfest in ihrer Zeit. An diesem einen Tag der Saturnalien tauschten Sklaven und Besitzer die Rollen. So statteten Julia, Agrippina und Drusilla gerade ihre Zofen für das Festessen aus, während Aurelia sich um das Festessen kümmerte. Obwohl Festessen übertrieben war. Da Zutaten wie Kartoffeln, Tomaten und sogar Paprika alle ihren Ursprung in Lateinamerika hatten und Columbus erst in über 1400 geboren werden würde, konnte sie viele ihrer Lieblingsrezepte nicht umsetzen. Aurelia hatte vor Erleichterung geweint als sie Zwiebeln, Knoblauch, Wurzelwerk und Möhren gefunden hatte. Jetzt köchelte eine Hühnersuppe auf dem Herd, Nudeln hatte sie mehr schlecht als recht dafür schon fertig. Gerade versuchte sie sich an Teigtaschen, die sie mit Schinken und Käse füllte. Die Möhrensoße verfeinert mit Knoblauch und Zwiebeln hielt sie in der Nähe des Herdes in einem Topf warm. Als Nachtisch hatte sie Joghurt kaltgestellt, in den sie kurz vorm Servieren Honig und Rosinen mischen würde.
Beschwingt huschte sie durch die Küche, schmeckte ab, verfeinerte und sang leise ihre Lieblingslieder. Heute würde sie Gaius wiedersehen. Zumindest hatte Drusilla erwähnt, dass er heute Abend wahrscheinlich an dem Fest teilnehmen würde. Bis jetzt hatte Aurelia ihn noch nicht zu Gesicht bekommen und sie konnte sich auch nur schwer vorstellen wie er unterwürfig einen Sklaven bediente.
„Das Lied klingt schön“, erklang plötzlich Julias Stimme hinter ihr und vor Schreck hätte Aurelia beinahe die heiße Brühe verschüttet. Fluchend stellte sie den Topf ab und musterte Julia nachdenklich. Diese wollte natürlich wissen, was die Worte zu bedeuten hätten. Verlegen dachte Aurelia nach. Wie sollte sie Wincent Weiss‘ Regenbogen nur erklären, wenn dieses Lied von seiner Stimme und seinen Gefühlen so sehr lebte? Wie sollte Julia das Lied verstehen, wenn sie nur Aurelias mickrige Version gehört hatte. Am liebsten hätte sie ihr Handy gezückt und Julia alles über ihre Welt erzählt. Doch sie hatte hier weder ihr Handy noch durfte sie Julia davon erzählen – dies hatte sie Gaius versprechen müssen.
Ich in dein, du in meinen und wir zwei in unseren Arm“, übersetzte sie schließlich holprig vom Deutschen ins Latein. „Du am träumen, ich am warten. Bis die Tage wieder werden, wie sie früher einmal waren. Bis wir die Farben wieder sehen und der Regen einen Bogen macht. Ich wünschte, du könntest das Original hören. Seine Stimme malt wunderschöner Bilder und ist so voller Sehnsucht nach Leben“
„Auch bei dir klingt es wirklich wunderschön, Aurelia“, lächelte Julia sanft. „Hast du das geschrieben?“
Aurelia lachte. Musik war nicht ihr Ding. Sie konnte ja noch nicht mal wirklich gut singen. Rasch fragte sie, ob das Mahl nun serviert werden soll. Julia nickte und Aurelia füllte sorgfältig die Schüsseln mit Suppe. Drusilla erschien genervt neben Julia.
„Protos hat mir allen Ernstes befohlen beim Auftragen der Speisen zu helfen, während Agrippina den ganzen Abend über ein bisschen an der Lyra zupfen und singen darf“, meckerte sie auch gleich los. Julia und Aurelia wechselten einen kurzen Blick und prusteten zeitgleich los. Drusilla steckte ihnen trotzig die Zunge raus, schnappte sich zwei Schalen und marschierte davon. Schnell versuchten Julia und Aurelia sich wieder zu beruhigen, sahen beflissentlich an der anderen vorbei, schnappten sich ebenfalls Schüsseln und folgten Drusilla ins Trinclinium.
Mit jedem Gang, den sie ins Speisezimmer brachten, versuchte Aurelia sich unauffällig nach Gaius umzusehen. Als sie den Joghurt mischte, stellte Julia einige kleine Dessertschälchen auf die Arbeitsfläche und meinte zögerlich: „Gaius ist nicht da“
Sofort hielt Aurelia in der Bewegung inne. Julia sah sich ängstlich um und fügte noch leiser hinzu: „Er hat mir heute morgen geschrieben. Tiberius hat ihn nicht gehen lassen. Angeblich würde er ihn für das Fest nicht entbehren können“
„Aber du denkst, er ahnt etwas“, hauchte Aurelia zurück. Ihre Antwort spiegelte sich in Julias dunklen Augen. Betreten wandte Aurelia den Blick ab. Wenn Gaius etwas zustoßen sollte, dann war es ihre Schuld. Hastig teilte sie den Joghurt und die Rosinen auf die Schälchen auf. Den ganzen Abend legte sich das Zittern nicht mehr und das Fest erschien ihr mit einem Mal weniger spaßig. Sobald der letzte Gang serviert war, zog sie sich zurück. Von ihrem Balkon aus konnte sie Capri sogar sehen. Ob er wohl gerade an sie dachte? Lange starrte sie hinaus auf die Insel und betete zu jeder antiken Gottheit, die ihr einfiel, sie möge Gaius vor Tiberius beschützen.

Der Morgen nach den Saturnalien war der Erste, an dem Aurelia erlebte, dass Agrippina und Drusilla genauso früh wie Julia wach waren. Denn als Aurelia auf die jüngste Schwester für ihren mittlerweile täglichen Morgenspaziergang im Atrium wartete, staunte sie nicht schlecht, als die beiden älteren Schwestern Julia begleiteten.
„Soll ich euch allein lassen?“, fragte Aurelia umsichtig. Sofort zogen die Schwestern sie zwischen sich, sodass Aurelia und Julia in der Mitte, Agrippina und Drusilla an den Außenseiten spazierten. Ihre Gespräche waren weder zu albern noch zu ernst, sodass sie einfach nur die Gegenwart der jeweils anderen genossen. Die Schwestern gaben Aurelia das Gefühl eine von ihnen zu sein.
Plötzlich stupste Julia Aurelia sanft mit dem Ellbogen an und deutete zum Himmel. Über ihnen schien die Sonne, im Landesinneren regnete es.
„Schau mal, dort macht der Regen einen Bogen“, begeistert deutete Julia auf den wunderschönen Regenbogen. Lächelnd legte Aurelia den Kopf in den Nacken und während sie die wunderschönen Farben betrachtete, fragte sie sich, ob in dieser Zeit, in der die alten Götter so glühend verehrt wurden, einer von ihnen ihr ein Zeichen sandte, dass er oder sie ihre Gebete erhört hatte. Was für eine schöne Vorstellung den Regenbogen als Brücke zwischen Menschen und Göttern zu betrachten. Zum ersten Mal seit Aurelia in dieser Villa aufgewacht war, fühlte sie sich nicht mehr allein. Tief in sich spürte sie, dass alles gut werden würde.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt