Kapitel 98 ~ Incognita I

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Natürlich hatte Gaius vor seinem Zimmer zwei Wachposten positioniert und Aurelia versuchte fieberhaft sich die Namen der beiden jungen Männer ins Gedächtnis zu rufen. Aber sie waren ihr gänzlich unbekannt. Aurelia unterdrückte ein frustriertes Stöhnen und zog sich ihren Siegelring vom Finger. Selbstbewusst trat sie aus dem Schatten und zeigte sich den beiden Wachen. Überrascht standen die Männer stramm, bevor sie sich entspannten und sie voller Unglauben anstarrten. Mit wiegenden Hüften schritt sie auf die Prätorianer zu und spielerisch rutschte ihre Kapuze kaum merklich zurück. Sofort sogen die Männer gierig ihren Anblick in sich auf und Aurelia musste an sich halten sie nicht in ihre Schranken zu weisen. Irgendwie hatte sie es sich einfacher vorgestellt in die Gemächer ihres Mannes zu gelangen. Aber vielleicht war Gaius auch der einzige Mann, der auf ihre Reize zuverlässig reagierte.
Gaius, dachte sie sehnsüchtig. Sie war ihm so nah. Jetzt konnte und durfte sie einfach nicht scheitern. Indem sie hierher gekommen war, hatte sie schon so viel riskiert.
„Meine Herrin Aurelia Vespasia schickt mich mit einer streng vertraulichen Botschaft für den Princeps", erklärte sie und bemühte sich ihren fremdländischen Akzent besonders deutlich hervorzuheben, wie Clemens es ihr beigebracht hatte. „Lasst mich ein!"
Einer der Männer streckte bereits die Hand nach dem Türgriff aus, doch sein Kollege hielt ihn zurück.
„Entschuldige, aber wir haben die strikte Anweisung niemanden einzulassen, vor allem keine Frauen", erwiderte der pflichtbewusstere Prätorianer. Ungeduldig schlug Aurelia sich die Kapuze aus dem Gesicht und funkelte den Mann an. Sein Gesicht zeigte keine Regung, also war er entweder einfach nur ein sehr pflichtbewusster Soldat oder er hatte sie noch nie gesehen. Letzteres würde erklären, weshalb sie seinen Namen nicht kannte. Ungeduldig holte sie ihren Siegelring aus ihrer Tasche und ein Blick darauf genügte, dass beide Männer erbleichten.
„Wie gesagt, meine Botschaft ist streng vertraulich", säuselte sie und lächelte den weniger pflichtbewussten Prätorianer strahlend an. „Doch wie es scheint, befinden wir uns in einem Interessenkonflikt, meine Herren. Warum holt ihr nicht Euren Vorgesetzten, der Euch meine Zugangsberechtigung zu diesen Räumen bestätigen kann?"
Der weniger pflichtbewusste Prätorianer nickte artig, machte auf dem Absatz kehrt und eilte in Richtung der Musik davon. Mit neutraler Miene ließ Aurelia ihren Ring zurück in ihre Tasche gleiten, dann trat sie einen Schritt zurück. Der pflichtbewusstere Prätorianer reagierte sofort. Mit einem Satz war er bei ihr, packte ihren Arm und zog sie zurück ins Licht. Fragend hob sie die Augenbraue.
„Bete zu jeder Gottheit, die dir einfällt, dass Suetonius dir diese lächerliche Geschichte abkauft, Sklavin", drohte ihr der Soldat und Aurelia wandte schnell den Blick ab, damit er ihr nicht ansah, wie sehr seine Worte sie amüsierten. Seine Finger verstärkten schmerzhaft ihren Griff um ihren Oberarm und sie betete tatsächlich zu jeder Gottheit, die ihr einfiel, Suetonius möge diesem Irrsinn ein rasches Ende bereiten.
Nach einer Ewigkeit hörten sie die genagelten Sandalen von den Wänden der nahen Gänge widerhallen und Aurelia entspannte sich. Kurz darauf traten Suetonius und der weniger pflichtbewusste Prätorianer aus dem Schatten. Die Jahre an Gaius' Seite in Britannien hatten Suetonius gut getan. Er sah gesund und stark aus. Mit seiner freien Hand salutierte der pflichtbewusstere Prätorianer vor seinem Präfekten. Gelangweilt musterten Suetonius' Augen Aurelias einfache Kleider und ihrer Perücke. Als sich ihre Blicke kreuzten, weiteten sich seine Augen vor Überraschung kaum merklich. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen.
„Lasst sie unverzüglich eintreten", befahl Suetonius und der pflichtbewusstere Prätorianer ließ sie los, als hätte sie ihn verbrannt. Subtil nickte sie dem Prätorianerpräfekten dankbar zu und als der weniger pflichtbewusstere Prätorianer die Tür hinter ihr schloss, hörte sie einen weiteren Befehl, der ihr Herz einen Schlag aussetzen ließ.
„Sie war niemals hier!"

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt