Kapitel 27 ~ Landleben

1.1K 70 13
                                    

Vespasians Landgut in Cosa war ein kleines Paradies auf Erden. Es lag so friedlich und abgeschieden, dass keine bedeutende Familie in der Nähe wohnte, die man hätte besuchen oder bewirten müssen. Aurelia war zutiefst überrascht, mit was für einer Freude und Leidenschaft sich Vespasian der Verwaltung seines Besitzes widmete. Der Mann war ein wandelnder Taschenrechner.

Die ersten Tage hatte sie vergeblich nach einer Bibliothek gesucht. Doch schon bald hatte sie enttäuscht feststellen müssen, dass Vespasian nicht einmal Caesars Gallischen Krieg besaß. Bereits nach drei Tagen kannte Aurelia jeden der Sklaven und Sklavinnen beim Namen und am vierten Tag hatte sich eine ziemlich verblüffte Sklavin, Munica, bereit erklärt ihr ein paar Hosen zu schneidern. Vespasian hatte ihr versprochen, sobald er mit der Überprüfung der Finanzen fertig sei, ihr das Reiten beizubringen und das wollte sie definitiv nicht in einem ihrer guten Kleider durchführen. Am fünften Tag trafen die Briefe von ihrem Adoptivvater und Gaius' Schwestern aus Rom ein. Vespasius zeigte sich wie immer sehr verständnisvoll und hatte ihnen ihre kleine Täuschung bereits verziehen. Drusilla berichtete ihr den neuesten Klatsch, Agrippina beschwerte sich über ihren Ehemann und Julia erkundigte sich besorgt nach Aurelias Gesundheit. Diese Briefe zu beantworten fiel ihr leicht. Anders sah es mit Gaius' Brief aus, der einen Tag später von Vespasians älterem Bruder Sabinus überbracht wurde.
Sabinus und Vespasian hätten nicht unterschiedlicher sein können. Obwohl sie äußerlich mit ihren rundlichen Gesichtern und den ausgeprägten Nasen große Ähnlichkeit aufwiesen, war Sabinus verschwenderischer und launischer als sein jüngerer Bruder. Außerdem brachte er seine hübsche Frau Clementina mit sich auf das Landgut seines kleinen Bruders. Mit ihr verbrachte Aurelia die meiste Zeit, während die Männer geheimnistuerisch die Köpfe zusammensteckten oder ausritten. Ihren Reitunterricht hatte Vespasian bis zur Abreise seines Bruders verschoben, weshalb sie ihre Zeit anders nutzen musste. So spazierten die beiden Frauen stundenlang durch den Garten oder ließen Liegen auf die überdachte Terrasse bringen und saßen dort beisammen. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb und je besser sie sich kennenlernten, desto mehr schätzten sie einander. Clementinas dunkles Haar stand in einem starken Kontrast zu der Blässe ihrer Haut, die ihr etwas Zartes verlieh. Sie erinnerte Aurelia stark an ihren Bruder Clemens.

Am Abend nach Sabinus' und Clementinas Abreise, fasste Aurelia endlich den Mut Gaius' Brief zu lesen. Nervös entrollte sie die Schriftrolle und stutze.

Weil ich dich liebe, werde ich auf dich warten.

Mehr nicht. Aurelia blinzelte ihre Tränen fort. Am liebsten wäre sie in die Stallungen geeilt und sofort nach Rom zurückgereist. Aber sie war noch nicht bereit. Sobald sie die Augen schloss, sah sie wieder sein grausames Lächeln und seine perverse Freude vor sich. Wie konnte so ein kultivierter Mensch wie Gaius bei etwas so Grausamen Vergnügen empfinden?
Entschlossen rollte sie den Brief wieder zusammen und legte ihn unter ihr Kopfkissen. Was sollte sie auch antworten, wenn alles gesagt war?

Am nächsten Tag erschien Munica aufgeregt in ihrem bescheidenen Zimmer und überreichte ihr voller Stolz die Hose aus weichem, aber strapazierfähigem Stoff. Glücklich zog Aurelia sie an - sie passte wie angegossen. Stumm dankte sie den Göttern, dass Unterwäsche bereits erfunden war. Dann warf sie sich eine kurze Tunika über, zog sich ihr neues Paar lederner Stiefel an und eilte zu Vespasian, der gerade frühstückte. Irritiert blickte er auf, als sie sich neben ihn setzte. Ihm klappte der Mund auf. Verblüfft musterte er sie immer wieder von Kopf bis Fuß, als würden sein Bild von ihr und ihre Kleidung nicht zusammen passen. Kichernd klappte sie ihm mit der Hand den Kiefer wieder zu.
„Bringst du mir heute bei, wie man reitet?", fragte sie ungerührt und er nickte perplex. Zufrieden nahm sie sich Brot und Käse und begann gemächlich zu essen. Schon bald überwand Vespasian seine Überraschung und widmete sich wieder seinem Essen. Aus dem Augenwinkel ertappte sie ihn immer wieder dabei, dass er sie verstohlen musterte. Es waren ja nur Hosen.
Sobald sie ihr Frühstück beendet hatten, machten sie sich auf zu den Stallungen. Es dauerte fast eine Stunde bis Vespasian ein geeignetes Pferd für sie ausgesucht hatte: eine gutmütige, schwarze Stute. Ihre erste Lektion bestand darin sich mit ihrem Pferd anzufreunden, das auf den Namen Nox hörte. Nach einer Woche musste sie nicht mehr nach Nox pfeifen, denn kaum näherte sich Aurelia den Stallungen, kam die Stute auf sie zu und stupste sie verspielt an. Plötzlich trat Vespasian zufrieden lächelnd aus dem Schatten und warf ihr ein Paar Handschuhe zu. Verwirrt fing Aurelia sie auf.
„Eine Anweisung deines Vaters, damit deine Hände ihre weibliche Zartheit nicht verlieren", erklärte Vespasian sachlich. Widerwillig streifte sie die Handschuhe über. Dann blickte sie ihn erwartungsvoll an. Vespasians Lächeln wurde breiter.

Die nächsten Wochen lernte Aurelia jede Gangart ihres Pferdes und einen Monat nach Beginn ihrer Ausbildung unternahmen sie ihren ersten gemeinsamen Ausritt über das Gut. Für Aurelia ging ein Traum in Erfüllung.
Im Mai bat sie Vespasian ihr beizubringen sich zu verteidigen. Denn obwohl sie niemals eine ausgezeichnete Reiterin abgeben würde, so waren ihre Fähigkeiten mittlerweile ganz passabel. Natürlich lehnte Vespasian ihre Bitte zunächst ab.
Am selben Abend schrieb Aurelia in einem Brief an Julia: Wenn ich es nicht besser wissen würde, dann würde ich denken, mein lieber Vetter habe ein Großteil seines Lebens in Germanien verbracht und nicht ich. Poesie kann er nicht genießen, Rhetorik ist für ihn nur ein Mittel im Senat und bei Literatur zieht er Caesars Nüchternheit jederzeit der Verworrenheit der geschliffenen Sätze Ciceros vor. Dennoch kann man an ihm kaum einen anderen Makel finden, als dass er vielleicht zu sehr darauf bedacht ist sein Geld zusammenzuhalten.

Eine Woche später erklärte sich Vespasian bereit Aurelia in Selbstverteidigung zu unterrichten. Ohne die Erlaubnis seines Onkels, ihres Vormundes, hatte er ihr eine so umstrittenen Kunst nicht lehren wollen. Kämpfen war männlich und so war es auch Aufgabe der Männer die Frauen zu verteidigen. Wieder waren diese albernen Handschuhe Vespasius' Bedingung für den Unterricht. Schon bald bekam ihr Tag wieder eine Routine. In aller Früh begann ihr Selbstverteidigungkurs, gegen Mittag hörten sie auf und nahmen eine Stärkung zu sich, bevor sie am Nachmittag ausritten oder eine weitere Kampfeinheit abhielten.
Vespasian war ein geduldiger, aber erbarmungsloser Selbstverteidigungslehrer. In den Einheiten zeigte er keine Gnade. Immer wieder preschte er mit einem Holzschwert auf sie ein und jeden Abend fiel sie erschöpft und ausgelaugt ins Bett. Aber Aurelia arbeitete hart und nach zwei Monaten war sie Vespasian zwar immer noch haushoch unterlegen, aber nicht mehr wehrlos. Nun trug auch er einige blaue Flecken davon. Aufgrund der steigenden Temperaturen mussten sie ihre Übungen verkürzen und schließlich wurde es so heiß, dass sie selbst auf ihre Ausritte verzichten mussten. Dennoch hatte sich Aurelia noch nie so sorglos und frei gefühlt, seit sie in der Antike gelandet war. In der Abgeschiedenheit des kleinen Gutes fühlte sie sich sicher. Doch sobald sie die Augen schloss, tauchte sein Gesicht vor ihr auf und sie sehnte sich zurück in das unsichere, sorgenvolle Rom zu ihm.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt