Kapitel 42 ~ Das trojanisches Pferd

942 57 2
                                    

„Roms Helena", schäumte Ennia rasend vor Eifersucht, sobald die Tür ihrer Gemächer ins Schloss fiel. Hinter ihrem Rücken verdrehte Macro die Augen über seine Frau. Wann würde sie sich endlich mit ihrem Alter abfinden? Während sie sich weiter über die Ungeheuerlichkeit dieses Titels ausließ, versperrte Macro seine Ohren, legte sein Schwert auf eine Truhe neben seinem Bett und schlüpfte aus seinen Stiefel. Routiniert löste er die Verschlüsse seiner Uniform.
Ennias Problem war nicht, dass Aurelia vom Volk gefeiert, bewundert und verehrt wurde oder dass sie überall die Aufmerksamkeit beider Geschlechter auf sich zog. Ebenso wenig machte es ihr zu schaffen, dass Aurelia aus dem Nichts im Herzen der römischen Gesellschaft aufgetaucht war. Gerade über die letzte Frage hätte er sich gerne mit ihr unterhalten, denn diese bereitete ihm große Kopfschmerzen, vor allem seit er Agrippina nicht mehr fragen konnte.
Doch das Problem seiner Frau lag schlicht darin, dass sie sich Aurelia einfach nicht wie alle anderen, vorherigen Frauen klein reden konnte. Ein Blick in diese unendlichen blauen Augen ließen die Intelligenz dieser Frau erahnen. Ihr ganze Erscheinung war so perfekt, als wäre sie eine zum Leben erwachte Statue der Proserpina oder der Venus. Selbst der leichte Akzent, der in ihrer Stimme mitschwang, minderte ihre Faszination nicht, sondern verlieh ihr etwas Menschliches. Neben ihr wurde Ennia als die enttarnt, die sie war: eine eingebildete, eitle Frau, an der Nichts dem Zufall überlassen worden war.
Macros größtes Problem war, dass er kaum etwas über diese Frau wusste. Wieder und wieder rief er sich alle Fakten in Erinnerung: Ihre Familie hatte sich bis zu ihrer Geburt sehr bedeckt gehalten. Danach begann erst die Karriere ihres Vaters. Dann waren ihre Eltern mit ihr ohne ersichtlichen Grund nach Germanien aufgebrochen und in Grenznähe von aufständischen Germanen abgeschlachtet worden. Die Leiche des Kindes wurde nie gefunden. Man nahm an, die Germanen hätten sie für eines ihrer barbarischen Opfer benötigt. Das gesamte Vermögen fiel an Tiberius. Vor fast einem Jahr wurde sie an die Küste Italiens direkt vor Julias Füße gespült. Sie hatte ihr gesamtes Erbe nach der Adoption durch einen Prätor aus einer unbedeutenden Familie komplett zurückerhalten. Rom hatte sie nach nicht einmal vierundzwanzig Stunden verlassen und tauchte genauso unerwartet wieder auf. In der ganzen Zeit hatte Caligula nie wirkliches Interesse an ihr gezeigt.
Plötzlich tauchte ein grausames Lächeln auf seinem Gesicht auf und Ennia verstummte abrupt. Aurelia war vor allem eines: Roms reichste Erbin. Die Festessen, die Spiele, die Unterhaltung der Soldaten, die Bestechungsgeschenke zu seinem Amtsantritt – Caligula brauchte Geld. Viel Geld. Caligula war der berechnendste Mann, den Macro je getroffen hatte. Natürlich würde er eine Fremde heiraten, wenn sie ihm genug Geld einbringen würde. Dass sie auch noch so hübsch war, machte alles natürlich einfacher. Aurelias neue Familie hätte den Antrag des Princeps niemals ablehnen können.
„Du hast etwas übersehen, meine Liebe", schnurrte er und näherte sich ihr gelassen. „Aurelia ist erst seit Kurzem wieder in Rom. Ihren Ehemann kann sie höchstens seit einer Woche näher kennenlernen. Aber Caligula hatte bisher und wird auch weiterhin so viel zu tun haben, dass sie noch eine ganze Weile Fremde füreinander sein werden. Wir aber kennen die Gerüchte um Caligulas Ruf. Wir müssen sie auf unsere Seite bekommen, bevor sie eine tiefe Beziehung zueinander aufbauen können. Verwenden wir ihre Unkenntnis gegen sie"
Gedankenversunken spielte Ennia an ihrem Ohrring. Wie er es hasste, wenn sie das tat. Kleinlaut wollte sie wissen, ob er wirklich glaube, dass Aurelia und Caligula eine romantische Ehe führen könnten.
„Ich weiß kaum etwas über sie", erinnerte Macro seine unsichere Frau. „Aber ich habe ihr heute in die Augen gesehen: Früher oder später wird sich Caligula in sie verlieben, weil sie mehr zu bieten hat als Reichtum und Schönheit"
Ennia schnaubte.
„Gefiel dir nicht immer die Variante der Trojasage am besten, in der Helena die Tore öffnet?", wollte er wissen. „Wir brauchen kein trojanisches Pferd. Wir brauchen eine römische Helena"
„Und wie gedenkst du sie gegen ihn aufzubringen?", schleuderte Ennia ihm frustriert entgegen. „Wie willst du sie verführen mit uns zusammenzuarbeiten?"
Macros Lächeln wurde noch grausamer und über Ennias Gesicht huschte ein Hoffnungsschimmer.
„Womit man jede Frau gegen ihren Mann aufbringen kann", erwiderte er listig. „Mit Eifersucht"

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt