21. September 37
Gelangweilt fläzte Gaius auf seiner Liege und beobachtete das Treiben. Seit beinahe sieben Monaten war er nun schon Princeps und er fühlte sich gefangener denn je. Was er auch tat, jeder einzelne Schritt schien schwer bewacht zu sein. In jedem Augenblick ruhten die Augen aller auf ihm. Jeder wollte etwas von ihm. Doch ein wunderschönes Paar Augen suchte er vergeblich. Wohin er auch ging, mit wem er sich auch unterhielt, wie lang sie nun schon fort war, sie kehrt nicht zurück. Sie kehrte nicht zurück, als der Senat die Stadt wegen des heißen Sommers in ihre Ferienvillen verließ. Sie kehrte nicht zurück, als es langsam kälter wurde und die Ferien des Senats sich dem Ende zu neigten. Sie kehrte nicht zurück. Er wartete und wartete, doch sie war nicht da und mit jedem weiteren Tag schwand seine Hoffnung, sie würde zu ihm zurückkehren. Er hatte ihr ja auch immer wieder gesagt, sie solle sich von ihm fernhalten. Doch jetzt hasste er sich dafür, dass er sie damals immer wieder weggestoßen hatte. Vielleicht wäre sie dann gar nicht erst gegangen. Nur aus den wenigen Briefen, die sie seinen Schwestern schrieb, wusste er, dass seine Erinnerungen an sie echt waren. Immer wenn ein neuer Brief kam, schlich er sich nachts heimlich in das Schreibzimmer seiner Schwestern und las immer wieder ihre Worte, als ob er dadurch wenigstens einen Teil von ihr wiederbekommen würde. Sie wirkte glücklich ohne ihn und das machte ihn fertig. Vorm Einschlafen sah er ihr Gesicht, in seinen Träumen sah er sie sterben und wenn er aufwachte, war sie nicht da und für einen furchtbaren Augenblick glaubte er sie wirklich tot.
Gut gelaunt ließ sich Drusilla auf ihren Platz neben ihn fallen, ihre Wangen waren noch gerötet vom Tanz. Genervt schloss er die Augen, doch sie lachte nur. In den vergangenen Monaten war sie noch flatterhafter und vergnügungssüchtig geworden, während sich Gaius immer mehr in seine öffentlichen Aufgaben verkroch.
„Bruder, du brauchst Sex", erklärte sie und entgeistert starrte Gaius sie an. Doch sie kicherte nur und deutete auf ein hübsches Mädchen, welches gerade versuchte lieblich ein Gedicht von Catull vorzutragen. Ihr Haar war pechschwarz, ihre Augen waren dunkel und die Lippen zu voll. Gaius musterte sie kurz von oben bis unten, dann sagte er kalt: „Nicht mein Typ"
Drusilla verdrehte nur die Augen und brummte etwas Unverständliches. Gereizt warf er ihr einen Blick zu, bevor er noch einen tiefen Schluck aus seinem Kelch nahm. Selbst nachdem Tiberius als Gefahr gebannt war, konnte er sich immer noch nicht durchringen Wein anstelle von Traubensaft zu trinken. Sein Verstand musste immer noch jederzeit klar und wachsam sein. Beschwichtigen legte Drusilla ihre Hand auf seinen Unterarm.
„Es ist doch egal, wie sie aussieht, solange sie dir Vergnügen bereitet. Du bist der Princeps, sie wird alles tun, um dich zufrieden zu stellen", flüsterte sie ernst. „Vergiss für einen Abend Aurelia. Ihre Abwesenheit frisst dich auf. Geh jetzt rüber und fordere die Kleine zum Tanzen auf!"
Noch eine ganze Weile blieb Gaius sitzen und ließ Drusillas Gerede über sich ergehen. Ein kleiner Teil von ihm gab ihr ja recht. Er musste dringend vergessen, wenn auch nur für einen Abend. Gelassen leerte er seinen Kelch, drückte ihn Drusilla in die Hand und schlenderte entspannt zu der Kleinen. Vollkommen überrumpelt gestattete sie ihm diesen Tanz und den nächsten und den darauf. Doch während er mit ihr flirtete, fühlte er sich immer noch leer. Jedes Mal wenn er sie ansah, fiel ihm nur auf, dass sie nicht sie war. Auch wenn die Kleine, ihren Namen hatte er immer noch nicht herausgefunden, wirklich ein hübsches Ding war, berührte sie ihn nicht. Sein Inneres blieb kalt und tot.
„Wie kann ich Euch dienen, mein Princeps?", raunte sie ihm leise ins Ohr. Lockend beugte er sich zu ihr hinab und schnurrte verführerisch, ob sie das wirklich wollte. Auf ihrem Körper bereitete sich ein wohliger Schauer aus und sie nickte kichernd. Forsch griff sie seine Hand und führte ihn aus dem Saal. Beim Verlassen des Saals zwinkerte Gemellus Drusilla verschwörerisch zu. Doch Gaius blieb keine Zeit groß darüber nachzudenken. Denn kurz darauf erreichten sie eine kleine Kammer, die nur von einer spärlichen Öllampe beleuchtet wurde.
Sobald sich die Tür hinter ihm schloss, presste sie ihren Körper an ihn und drückte hart ihre Lippen auf seinen Mund. Überrumpelt überließ er ihr die Führung. Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln.
„Dann bringen wir Euch mal auf andere Gedanken, mein Herr", keuchte sie und stieß ihn bestimmend aufs Bett. Gedämpft drang die sanfte Melodie der Lyra in die winzige Kammer. Das Mädchen begann verführerisch ihren Körper zur Musik zu bewegen, während langsam ein Kleiderstück nach dem anderen zu Boden glitt. Aus dem Augenwinkel musterte Gaius die offene Truhe. Ganz oben lag ein gelber Togastoff. Eine Hure. Wie reizend. Immerhin erklärte das ihren Umgang mit ihm, seit sie die Tür geschlossen hatte. Die Frage war nur, wer sie auf ihn angesetzt hatte. Würde Drusilla wirklich eine Hure für ihn arrangieren? Gaius wusste nicht, ob er sich gekränkt oder geschmeichelt fühlen sollte.
Aufreizend langsam kam sie zu ihm, setzte sich auf seinen Schoß und küsste ihn erneut. Während Gaius seine Hände über sie gleiten ließ, fühlte es sich falsch an. Sie schmeckte falsch, sie roch falsch, sie kicherte falsch, ihr Körper fühlte sich falsch an, ihre Stimme war falsch. Verzweifelt schloss Gaius die Augen und versuchte das Gefühl zu verdrängen. Und dann sah er sie. Wie ein göttlicher Schein leuchteten ihre goldenen Haare im Sommerlicht, ihre Augen glühten vor Liebe und ihr lebensfrohes Lachen vibrierte in seiner Brust. Plötzlich funkelten ihre meerblauen Augen schelmisch auf und sie streckte ihre linke Hand nach ihm aus, an deren Mittelfinger blitzte der Saphirring seiner Mutter.
„Wach auf, mein Herz", wisperte sie verführerisch und als Gaius nach ihrer Hand griff, bekam er sie nicht zu fassen.
„Wach auf, Liebster. Das bin nicht ich", murmelte sie traurig und schlagartig öffnete Gaius die Augen. An seinem Hals klebte ein Mädchen mit rabenschwarzem Haar und übersäte ihn mit federleichten Küssen, während sie langsam die Falten seiner Toga auseinanderwickelte. Nun verstand er, warum es sich so falsch anfühlte. Das Mädchen war einfach nicht sie. Ruckartig setzte er sich auf und das Mädchen wäre aus dem Bett gefallen, wenn sie sich nicht schon von vornherein wie eine blutsaugende Bestie an ihn festgeklammert hätte. Bestimmt schob er sie von sich und atemlos starrte sie ihn verwirrt an.
„Aber ich habe doch gespürt, dass Ihr mich wollt", keuchte sie und versuchte sich ihm zu nähern. „Was habe ich falsch gemacht?"
Gaius lachte leise auf. Nachdrücklicher schob er sie erneut von sich und Angst blitzte in ihren Augen auf.
„Du?", fragte er ernst. „Du hast nichts falsch gemacht. Es liegt ganz allein an mir. Du kannst mir einfach nicht geben, was ich brauche"
Dann stand er auf, richtete seine Toga und verließ ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen die kleine Kammer. Vor der Tür lehnte Clemens mit verschränkten Armen an der Wand. Rasch nahm er eine militärischere Haltung ein und entfernte sein Unbehagen von seinem Gesicht. Knapp nickte Gaius ihm zu und stürmte durch den Palast zu seinen Räumlichkeiten. Dort wies er Clemens an hereinzukommen. Wie immer befolgte der Prätorianer seine Befehle ohne Widerworte. Gaius begab sich in sein Arbeitszimmer und deutete wortlos auf einen der Stühle. Mit geradem Rücken setzte sich sein Prätorianer, während Gaius sich auf seinem eigenen Stuhl aus Elfenbein bequem zurücklehnte und sein Gegenüber musterte. Schließlich brach er das Schweigen.
„Ich will, dass diese Hure noch heute Nacht aus meinem Haus entfernt wird", erklärte Gaius und Clemens nickte knapp.
„Ich will, dass zuvor ihre Sachen durchsucht werden. Irgendetwas an ihr war seltsam", fuhr er fort. Wieder bekam er nur ein Nicken.
„Ich will wissen, wo Aurelia steckt"
Zum ersten Mal seit sieben Monaten brachte er ihren Namen über seine Lippen. Sofort schoss Clemens Kopf nach oben und seine freundlichen Augen blitzten besorgt auf. Lange Zeit hing ihr Name bedrückend zwischen ihnen. Dann schüttelte sein Leibwächter müde den Kopf.
„Warum willst du mir diesen kleinen Wunsch nicht erfüllen, Clemens?", verlangte Gaius zu erfahren und Clemens atmete tief durch und fragte vorsichtig, warum Gaius sich plötzlich dafür interessiere. Stumm reichte er ihm Aurelias einzigen Brief an ihn, den Clemens unbehaglich überflog. Mit jedem Wort vertiefte sich die Falte auf der Stirn des Prätorianers. Verwirrt rollte Clemens den Brief zusammen.
„Die Trennung treibt mich langsam in den Wahnsinn", seufzte Gaius und vergrub das Gesicht in den Händen. „Seit sie direkt vor mir an Land gespült wurde, sehe ich nur sie, wohin ich auch blicke. Sobald ich die Augen schließe, lächelt sie mich an und wenn ich träume, dann von ihrem qualvollem Tod, weil ich sie nicht beschützen kann. Die Berührung einer anderen ertrage ich nicht - das hat mich dieses Mädchen heute Nacht gelehrt. Kein andere Frau hat in mir jemals solche Gefühle ausgelöst wie sie und keine andere wird es je können. Deshalb befehle ich dir nicht als dein Princeps, sondern bitte dich als meinen Freund mir zu helfen mein Mädchen endgültig zu erobern"
Betroffen kratze sich Clemens hinterm Ohr. Sofort erkannte Gaius, dass er seinen treuen Prätorianer überzeugt hatte. Er würde ihm helfen. Nachdenklich rief Gaius einen seiner Sklaven herbei und befahl ihm zwei Pferde bereit zu machen. Der Junge eilte zugleich los. Stirnrunzelnd schaute Clemens dem Jungen nach. Dann blickte er wieder zu seinem Princeps.
„Habt Ihr schon einen Plan?", erkundigte sich der Prätorianer vorsichtig. Eilig kramte Gaius in einem Fach seines Schreibtisches, dann zog er ein kleines Kästchen hervor und schob es wortlos über den Tisch zu Clemens herüber. Vorsichtig klappte er es auf und wirkte einen Moment vollkommen verblüfft.
„Wollt Ihr sie mit teurem Schmuck bestechen Eure Geliebte zu werden?", wollte Clemens entgeistert wissen und Gaius lachte laut auf. Mit feierlichem Ernst beugte er sich über den Tisch und sprach: „Ich habe nicht vor Aurelia zu meiner Geliebten zu machen, sondern zu meiner Frau"
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Aurelia
Ficción históricaIhr ganzes Leben lang hatte sie so viele Dinge über zauberhafte Städte und Orte in Italien gelesen, dass sie diese nun einfach mit eigenen Augen sehen musste. Mehr hatte sich Aurelia von ihrer Reise durch Italien nie erträumen können. Doch als sie a...