Prolog

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                                                                                                                                                   Misenum, März 37 n. Chr.

Nach Jahren der Angst und des Hasses war er endlich ruhig. Stundenlang saß er nun schon hier neben ihrem Bett. Keine Sekunde wandte er die Augen von ihr ab, damit sich jedes kleine Detail dieses Augenblickes tief in sein Gedächtnis einbrannte. Ab morgen würde alles anders sein. Morgen würde er sie gehen lassen müssen, sonst würde er sie mit sich ins Verderben reißen. Er war verloren, nicht einmal sie würde ihn jetzt noch retten können.
Im Schlaf wirkte sie jünger und weniger widerspenstig. Weder Mädchen noch Frau. Sie war einfach nur friedlich und wunderschön. Er hatte sie nicht verdient. Sie hatte etwas Besseres verdient als ihn. Jemand, dessen Zukunft weniger düster wäre als die seine. Und doch fragte er sich immer wieder, ob er sie nicht doch weiterhin um sich haben konnte. Wie gerne würde er seine Lippen auf ihren zarten Mund legen. Wie gern würde er eine glückliche Zukunft mit ihr haben. Aber wie sollte er ihr Glück und Frieden spenden, wenn er selbst nur Angst und Zerstörung kennengelernt hatte? Wenn sie bei ihm bliebe, würde er sie nur immer wieder neuen Gefahren aussetzen.
Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, steckte er eine verirrte Haarsträhne zurück hinter ihr Ohr. Wie silbern ihre Haare im Mondschein doch wirkten. Er erstarrte, als sie sich bewegte, doch ihre Augen blieben geschlossen und nach einer Weile beruhigte sich sein Puls.
Federleicht fuhr er mit seinen Fingern über ihre Wange und ein selbstsüchtiger, kleiner Teil von ihm wünschte sich, sie würde die Augen aufschlagen und ihm all seine Pläne ausreden. Doch sie hatte sicher nichts von den Ereignissen des heutigen Tages mitbekommen. Verzweifelt vergrub er das Gesicht in den Händen, nur um gleich wieder den Blick zu heben und sich für seinen Egoismus zu verfluchen. Je länger er sie ansah, desto mehr fragte er sich, wie lange sie an seiner Seite wirklich überleben konnte.
Nach einer Weile beugte er sich weiter vor, saugte begierig ihren wunderbar berauschenden Duft ein und küsste sanft ihre Stirn. Zärtlich raunte er ihr leise ins Ohr: „Ich habe dir versprochen, dass ich dich vor allen Gefahren beschütze. Jetzt muss ich dich vor mir beschützen"
Schweren Herzens erhob er sich und ging geräuschlos zur Tür.
„Gaius", murmelte plötzlich ihre Stimme. Ertappt fuhr er herum. Doch ihre Augen waren noch immer geschlossen. Da seufzte sie, flüsterte noch einmal im Schlaf sehnsüchtig seinen Namen und drehte sich auf die andere Seite des Bettes, weg von ihm. Etwas in ihm zerbrach und eine einzelne Träne stibitze sich aus seinem Augenwinkel. Unwirsch wischte er sie fort, die Stimme seiner Großmutter im Ohr: „Ein Mann weint nicht!"
Lautlos glitt er hinaus in die Schatten der Villa, wohlwissend, dass er sein Herz für immer bei ihr in diesem dunklen Zimmer gelassen hatte.

AureliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt